23. Februar 2011 Der Weg über die Dörfer von Kroatien läßt nur bescheidenes
Reisetempo zu. Die Wiesen hinter Vinkovci sind nach wie vor vermint. Wer wird all die
Leute bezahlen, die nötig wären, um den explosiven Abfall wieder aus dem Boden zu holen?
Die Narben von Vukovar scheinen unverändert. Im Mai 2006 bin ich das erste Mal dort
gewesen, um diesen Ort einstiger Massaker zu sehen: [link]
Als wäre es eine Art des notwendigen Vergewisserns? Als
wären die Bücher und Berichte nicht hinreichend? Nein, es ist anders. Ich habe es
innerhalb meiner Biographie schon einmal erlebt, daß -- ob der unübersehbaren Spuren --
geleugnet wurde, was gewesen ist. Indem ich dieser Geschichte nachgehe, verstehe ich
vieles, was meine Leute sich herausgenommen haben. Ich verstehe besser, wie es gemacht
wurde.
Fast genau ein Jahr bevor ich Vukovar erstmals real besucht
hatte, erlebte ich diese sonderbare Nacht mit einem vormaligen Panzerkommandanten aus
Serbien, der dort im Einsatz gewesen war. (Siehe den Eintrag vom 8. Mai 2005!) Eine
Nacht unglaublicher Schilderungen. Ob dadurch etwas (be-) greifbarer wird? Für mich
schon. Es führt zu einem Mindesten an Distanzverkürzung.
Verkürzung der physischen und ideellen Distanz, die bei
uns zu diesem Kriegsgeschehen im vormaligen Jugoslawien meist bevorzugt wird. Es gibt für
mich eine Ebene der Ereignisse und Zusammenhänge, da ergeben Verdun, Auschwitz und
Srebrenica einzelne Kapiteln einer gemeinsamen Erzählung.
Der Panzer am Stadtrand von Vukovar wirkt mit seinem
abgesackten Fahrwerk merkwürdig flach. Auf dem Sockel dieses Mahnmals, hinter dem gerade
ein "Spomen Dom" gebaut wird, ein "Gedenkhaus", steht "Groblje
Tenkova": Panzer-Friedhof. (Panzer- und Artillerieverbände hatten Vukovar in
Schutt und Asche geschossen.)
Über dem von Bombenschäden gezeichneten Wasserturm nahe
dem Stadtzentrum breitete sich schon die Abenddämmerung aus. Der Weg hinein nach Serbien
gestaltete sich gestern etwas kompliziert. Der Raum um Schid hat seine Tücken.
Der "Srem" ist dort im Grenzverlauf von ineinander gefalteten Nationen
bestimmt. Wenn man nicht ortskundig ist, muß man innerhalb einer Stunde gleich wieder aus
dem Land raus, das eben erst erreicht hat, um an einer anderen Ecke wieder einzureisen. In
der Finsternis und bei Schneetreiben an einer Straßensperre zu landen, die ein einzelner
Polizist bewacht, das hat eine merkwürdige Geselligkeit. Ein Sattelschlepper, der auf
jener kleinen Straße nicht wenden konnte, war im Retourgang langsam unterwegs, um die
nächstbeste Kreuzung zu erreichen.
Ich spürte später eine Spur von Unmut, als ich an diesem
Tag zum dritten Mal an einen kroatischen Grenzer geriet, der mich aber nun in die Reihe
verwies. Diese Reihe bestand erst durch mich, als ich hinter jenem LKW aufschloß, dessen
Fahrer offenbar seine Angelegenheit etwas ausführlicher verhandeln mußte.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon neun Stunden Autofahrt
hinter mir, dazu eine kleine Irrfahrt im Srem, und stand nun an diesem Kleinstübergang
mit seinem Personal-Container, in dem eine Autobatterie eine sparsame Lichtanlage
speist.Genau da, wo vermutlich gerade einmal drei oder vier Fahrzeuge pro Tag die Grenze
passieren, mußte also genau dann ein LKW im Weg herumstehen.
Das hat irgendwie seine Richtigkeit. Die Verlangsamung des
Reisens gibt dem Weg selbst eine ganz andere Bedeutung, obwohl für mich diesmal
natürlich das Ziel das Ziel ist. Was ich von der anderen Strecke weiß: Über die
Autobahnen geht es schnell, ist aber nicht weniger erschöpfend ... |