11. Jänner 2011 Was will Europa sein? Diese Frage stand am Anfang
des vorigen Eintrags. Ich denke, das haben wir
auch auf den Feldern unseres Alltags zu klären. Kulturelle und politische Prozesse.
Dürfen wir das? Nämlich im Alltag so auf politische und kulturelle Fragen bezogen sein.
Können wir das? Kann man dafür einen Coach buchen? (Kleiner Scherz!)
Solche Fragen führen auch zu
Grundsätzlichem, das nicht national gebunden ist. Welchen Konventionen fühlen wir uns
verpflichtet? Sind die international verbindlich? Erachten wir sie als universell? (Das
ist ja was anderes als "international".)
Was will eine "Gemeinschaft der
Menschen" sein? Zum Beispiel: "Wurden Terrorverdächtige von
US-Geheimdiensten mit Hilfe der NATO-Verbündeten in illegale Verhörzentren verschleppt
und mißhandelt?" (Eintrag vom
24.2.2008) Sind solche Passagen aus Zeitungsberichten noch erinnerlich? In Deutschland
gab es vor einiger Zeit den Fall, daß ein Polizei-Chef zur Debatte stellte, unter
"gewissen Umständen" könnte Folter vertretbar sein. Das Thema ist längst
wieder vom Tisch öffentlicher Debatten verschwunden.
Gavin Hood hat das 2007
thematisiert. In "Rendition"
wird ein Verdächtiger aus Amerika nach Nordafrika verfrachtet, um unter Beobachtung eines
CIA-Beamten gefoltert werden zu können. Jake Gyllenhaal spielt den Agenten Douglas
Freeman, der schließlich die Situation kippt, weil er zum Schluß kommt, daß Antworten
unter Folter keinen Informationswert haben und daß es völlig unannehmbar sei, das
generelle Folterverbot zu brechen. (Meryl Streep spielt seine Kontrahentin Corrine
Whitman.)
Gregor Jordan ging heuer in "Unthinkable" noch
einen Schritt weiter. Er läßt den von der Behörde eingesetzten Folterknecht Henry
Herald Humphries (Samuel L. Jackson) alle Grenzen überschreiten und auch das
"Undenkbare" tun. Wie legitimiert man diese Schritte und welchen Nutzen bringen
sie? Was ist, wenn sie in ihren Konsequenzen mehr zerstören?
Bruce Springsteen hatte im Titelsong
seines 2005er-Albums "Devils & Dust" genau diese Überlegung
aufgegriffen: "What if, what you do to survive / Kills the things you love"
[link] und fügt
an: "Fear's a powerful thing ..."
In unserer Populärkultur finde ich
keine Hinweise, daß solche Themen erwähnenswert aufgegriffen würden. Da dürfen die
"Vaterländischen" sich auf einen beunruhigend breiten gesellschaftlichen
Konsens stützen, daß irgendwelche "Anderen" schuld sein mögen, wenn wir
gesellschaftlich in Probleme kommen.
Daß etwa eine beunruhigend hohe
Quote an Gewalt in der Familie und Gewalt gegen Frauen in Österreich eine Folterdebatte
mehr als nötig machen würde, liegt offenbar nicht nahe. Nein, da brauchen wir noch gar
nicht über Folterkeller zu reden. Kinder verprügeln, damit sie ihr Verhalten ändern,
was soll denn das anderes sein als Folter? Auch das konsequente und ausdauernde
Demütigen, für das noch gar nicht zugeschlagen werden muß, hat noch immer keine
verläßliche Ächtung in unserem Land erfahren.
Diese schwüle Klima der Verachtung,
in dem jeder Zeit Gewalt hervorbrechen kann, bleibt eines unserer Hauptprobleme. Da
brauchen dann bloß ökonomische Schwierigkeiten ausreichend zu eskalieren und plötzlich
werden Hälse durchgeschnitten. Wir haben es erst kürzlich am Zerfall Jugoslawiens
verfolgen können.
Mit den populären Legenden von den
angeblich blutrünstigen Balkan-Völkern bemänteln wir bloß, daß solchen Kriegen
Konfliktmuster zugrunde liegen, die auch bei uns präsent sind, virulent, und daß wir nie
genau wissen, ab welchem Punkt des Hochgehens solcher Konfliktlagen die ersten Toten
anfallen.
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