13. Mai 2010 Ich habe eben
einen launigen Befund überreicht bekommen. Eine engagierte Dame, die mir Lesestoff zum
Austritt Österreichs aus der EU empfahl, war merklich nicht meiner Meinung, daß das
ökonomischer und politischer Mumpitz sei.
Wir hatten einen kurzen Meinungsaustausch, der schnell beim
Thema "Nationalstaat" anlangte. Den müßten wir bewahren, meinte die Dame.
Über den müßten wir uns hinaus entwickeln, hielt ich dagegen. Warum? Weil er ein
historisch sehr junges Konzept sei, sagte ich, das uns erst nach Auschwitz geführt habe
und dann, nach all den "Nie wieder!"-Beteuerungen, in Srebrenica angelangt sei.
Wirtschaftlich betrachtet gebe es auf der Welt wohl bald 30
Jahre oder länger keine nationale Ökonomie mehr, die eigene Regeln gegen den Lauf der
Dinge durchsetzen könne. Selbst einstige Giganten wie Amerika und Japan haben solche
Mythenbildung aufgeben müssen. Wie sehr einzelne Nationen heute lohnende Angriffsziele
für Finanz-Haie und Zocker seien, müsse ich wohl gerade jetzt nicht erläutern.
Sie sind ja "propagandaverseucht", meinte die
Dame. Sie durfte ihre Flugblätter behalten. Das "Bündnis Neutrales Freies
Österreich" wird in mir keinen Verbündeten finden. (Die haben online statt
einer Website eine "Netzseite" und statt Links "Permanente Verweise",
schon klar!)
Nation. Auch: Heimat. Bei unserer "Konferenz in
Permanenz" in Weiz betonte "regionale10"- Leiter Dietmar
Seiler, er begrüße an einigen Entwicklungen der Gegenwart, daß auf eine neue Art wieder
über den Begriff Heimat gesprochen werde. (Der Video-Mitschnitt unserer Debatte:
[link])
An einem eher ruhigen Ort, in Urscha, trafen sich bald
darauf Menschen aus verschiedenen Gemeinden rund um Gleisdorf zu mehreren Arbeitskreisen.
Dabei wurde einigermaßen deutlich, daß wir noch einiges tun sollten, um mehr Kenntnis
von einander zu haben. Und sei es bloß von Ort zu Ort.
In diesen Tagen absolvierten wir eine weitere "Konferenz
in Permanenz". Anlaß dafür war die Tatsache, daß bei der Frage nach
kulturellen Aspekten der Region EIN Begriff praktisch überall für Anknüpfungspunkte
sorgt: Kunsthandwerk. Darin laufen Erfahrungen mit alten und aktuellen sozialen
Gegebenheiten zusammen.
Die Skripten von Kamillo Hörner, der für uns in
Wetzawinkel dazu ein Impulsreferat gehalten hat, sind HIER abrufbar. Die
Vorleistungen anderer Menschen, mentalitätsgeschichtliche Prägungen, aber auch
wirkmächtige Alltgsmythen schaffen gemeinsam gesellschaftliche "Realitäten",
die wir besser nicht ignorieren, wenn kulturell neue Möglichkeiten erschlossen werden
sollen.
Heimat, das ist vermutlich ein groß angelegter
"Container-Begriff", der höchst legitim mit sehr unterschiedlichen, auch
gegensätzlichen Inhalten befüllt werden kann, muß. Damit aber solcher Kontrastreichtum
als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft Aussicht auf Bestand hat, damit Enge
vermieden wird, jene Art von Enge, die letztlich erstickend wirkt, bleibt wohl offener und
öffentlicher Diskurs unverzichtbar.
Ich hoffe, es erinnern sich noch möglichst viele Menschen
an die Ermordung des Publizisten Hrant Dink. Dieses Verbrechen war brutaler Ausdruck des
Unverständnisses, des Mangels an Verständigung. Genau im Nichtwissen wachsen die
Dämonen. Eine junge Türkin schrieb mir damals, was Hrant Dink gekonnt und seine Mörder
nicht gekonnt haben: "Reden, reden, reden, bis wir einander kennen." (Siehe
dazu meinem Eintrag vom 26.1.2007!)
Wir verlieren diese Möglichkeiten einander kennenzulernen,
und wir gehen längerfristig sehr hohe Risken ein, wenn für Kommunikationsprozesse keine
Zeit bleibt, wenn wir uns auf handliche Klischees zurückziehen, auf "knackige
Formulierungen", die den Menschen suggerieren, alles Wesentliche könne schnell
gesagt und flott erledigt sein.
Das klappt aber nicht. Verdun. Auschwitz. Srebrenica. Wie
viele dieser Belege brauchen wir noch, um der Verständigung mehr Platz und Zeit
einzuräumen, ohne ihr gleich bestimmte Ergebnisse aufzubürden?
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