19. Mai 2009

Was mir in den großen Läden verlorengegangen ist: Der eigentümliche Geruch eines Geschäftes. In Trafiken findet man das noch. Auch in Apotheken. Wie eigentümlich riecht ein Messergeschäft! Große Buchhandlungen sind nicht mehr geeignet, einen eigentümlichen Geruch zu behalten. Fleischhauereien! Was für magische Orte der Gerüche. Die Kühlregal-Straßen in Supermärkten sind davon völlig abgeschnitten. Wertlos!

log177a.jpg (19555 Byte)

Was für ein kultureller Verlust, wenn sich das ohne Halten fortsetzt. Und weil das Riechen sich in Nichtigkeiten verlieren darf, werden mir ersatzweise die Ohren vollgeblasen. Es ist schwer, dem Mainsteam-Pop zu entkommen, dem Musikmantsch, diesen akustischen Blödsinnen. Schmerzlich ist mir aber vor allem, daß mich der Werbefunk verfolgt, daß dieses inhaltliche Drecks-Getöse kaum abzuschütteln ist.

log1377b.jpg (12967 Byte)

Doch es kann in manchen Nischen noch wesentlich härter kommen als ich es für möglich gehalten hätte. Aber der Reihe nach! Immer mehr öffentlicher Raum und seine Flächen werden mit Informationen bespielt. Auch das macht mir -- halten zu Gnaden! -- einigen Kummer, denn ich möchte nicht fast überall und jederzeit von anonymen Marktschreiern angesprochen werden.

Amüsant! In Gleisdorf wurde ein hoher Infokasten mit Displays mitten in der Stadt gerade so aufgestellt, festgemauert, daß er den Leuchtkegel einer Straßenlaterne weitgehend abdeckt. (Das wüßte mir ein Philosoph sicher gut zu deuten.) Öffentlichkeiten und öffentliche Diskurse ...

Also:
Gestern die Notiz über den vaterländischen Hace Strache, welcher depperte Nazi-Buben als "dumme Lausbuben" zu entlasten versucht, was aber in Wahrheit das Essenzielle der ganzen Nazi-Geschichte betont und bekräftigt: Kohorten dummer Lausbuben, die über ihre Mitmenschen herfallen.

Nun aber die oben angedeutete harte Nische. Heute: Die Ergänzung dieses Bildes einer furchterregenden österreichischen Gemütlichkeit. Das sanfte Gegenüber der nazistischen Lausbubengeschichten, quasi die historische Arbeiterbewegung auf das Format einer Soap-Opera gebracht. Der sozialpartnerschaftliche General-Lebensentwurf rund um die kulturelle Grundidee vom röhrenden Hirschen, endlich als Liedchen erhältlich.

Als ob es nicht genügen würde, daß Christian Kolonovits für so allerhand ober- und unterhalb Rainhard Fendrich zuständig, ja verantwortlich ist, jetzt auch noch diese Verknüpfung einer Attacke der Wiener SPÖ auf die eigenen historischen Wurzeln, deren heute intergalaktische Ferne so ausgedrückt sein mag:

>>Beschlossen wurde der Parteitag mit der Verkündung des Wahlergebnisses und einer weiteren Premiere, der Uraufführung vom "Lied der Arbeit" und von der "Internationale", neu arrangiert von Christian Kolonovits.<< [Quelle]

Wenn sich folglich ein Weichspüler und Schnösel über die Geschichte der Arbeiterbewegung hermachen darf, dann klingt es so: Die Internationale [mp3, 10Mb] Eine ästhetische Grausamkeit, durch die sinnvolle Möglichkeiten verkehrt werden.

Statt den Menschen heute zu empfehlen, daß sie sich mit einem Klang aus der Vergangenheit vertraut machen mögen, um etwas von unseren Vorgeschichten zu begreifen, wird die Vergangenheit trivialisiert, verschnöselt, geföhnt und muß offenbar Ö3-tauglich klingen.

Das erinnert mich an einen steirischen Jux, als die vormalige Landeshauptfrau Waltraud Klasnic aufrief, die miserabel gedichtete Landshymne der Steiermark neu zu dichten. Und prompt stürmte einiges Personal des heimischen Literaturgeschehens los, um die Hymne noch zu verschlimmern ... Siehe dazu einige Einträge ab dem 4. April 2004 und "Lob der Heimat in höchsten Tönen" [link]

Die "Internationale" in völliger Verschnöselung, als würde Jeanette Biedermann in einer Vorabendserie die toughe Sekretärin geben, die einen Karaoke-Wettbewerb gewinnt ...

[Wir Kinder des Kalten Krieges]


[kontakt] [reset] [krusche]

21•09