19. Mai 2009 Was mir in den
großen Läden verlorengegangen ist: Der eigentümliche Geruch eines Geschäftes. In
Trafiken findet man das noch. Auch in Apotheken. Wie eigentümlich riecht ein
Messergeschäft! Große Buchhandlungen sind nicht mehr geeignet, einen eigentümlichen
Geruch zu behalten. Fleischhauereien! Was für magische Orte der Gerüche. Die
Kühlregal-Straßen in Supermärkten sind davon völlig abgeschnitten. Wertlos!
Was für ein kultureller Verlust, wenn sich das ohne Halten
fortsetzt. Und weil das Riechen sich in Nichtigkeiten verlieren darf, werden mir
ersatzweise die Ohren vollgeblasen. Es ist schwer, dem Mainsteam-Pop zu entkommen, dem
Musikmantsch, diesen akustischen Blödsinnen. Schmerzlich ist mir aber vor allem, daß
mich der Werbefunk verfolgt, daß dieses inhaltliche Drecks-Getöse kaum abzuschütteln
ist.
Doch es kann in manchen Nischen noch wesentlich härter
kommen als ich es für möglich gehalten hätte. Aber der Reihe nach! Immer mehr
öffentlicher Raum und seine Flächen werden mit Informationen bespielt. Auch das macht
mir -- halten zu Gnaden! -- einigen Kummer, denn ich möchte nicht fast überall und
jederzeit von anonymen Marktschreiern angesprochen werden.
Amüsant! In Gleisdorf wurde ein hoher Infokasten mit
Displays mitten in der Stadt gerade so aufgestellt, festgemauert, daß er den Leuchtkegel
einer Straßenlaterne weitgehend abdeckt. (Das wüßte mir ein Philosoph sicher gut zu
deuten.) Öffentlichkeiten und öffentliche Diskurse ...
Also:
Gestern die Notiz über den vaterländischen Hace
Strache, welcher depperte Nazi-Buben als "dumme Lausbuben" zu entlasten
versucht, was aber in Wahrheit das Essenzielle der ganzen Nazi-Geschichte betont und
bekräftigt: Kohorten dummer Lausbuben, die über ihre Mitmenschen herfallen.
Nun aber die oben angedeutete harte Nische. Heute: Die
Ergänzung dieses Bildes einer furchterregenden österreichischen Gemütlichkeit. Das
sanfte Gegenüber der nazistischen Lausbubengeschichten, quasi die historische
Arbeiterbewegung auf das Format einer Soap-Opera gebracht. Der sozialpartnerschaftliche
General-Lebensentwurf rund um die kulturelle Grundidee vom röhrenden Hirschen, endlich
als Liedchen erhältlich.
Als ob es nicht genügen würde, daß Christian Kolonovits
für so allerhand ober- und unterhalb Rainhard Fendrich zuständig, ja verantwortlich ist,
jetzt auch noch diese Verknüpfung einer Attacke der Wiener SPÖ auf die eigenen
historischen Wurzeln, deren heute intergalaktische Ferne so ausgedrückt sein mag:
>>Beschlossen wurde der Parteitag mit der
Verkündung des Wahlergebnisses und einer weiteren Premiere, der Uraufführung vom
"Lied der Arbeit" und von der "Internationale", neu arrangiert von
Christian Kolonovits.<< [Quelle]
Wenn sich folglich ein Weichspüler und Schnösel über die
Geschichte der Arbeiterbewegung hermachen darf, dann klingt es so: Die
Internationale [mp3, 10Mb] Eine ästhetische Grausamkeit, durch die sinnvolle
Möglichkeiten verkehrt werden.
Statt den Menschen heute zu empfehlen, daß sie sich mit
einem Klang aus der Vergangenheit vertraut machen mögen, um etwas von unseren
Vorgeschichten zu begreifen, wird die Vergangenheit trivialisiert, verschnöselt, geföhnt
und muß offenbar Ö3-tauglich klingen.
Das erinnert mich an einen steirischen Jux, als die
vormalige Landeshauptfrau Waltraud Klasnic aufrief, die miserabel gedichtete Landshymne
der Steiermark neu zu dichten. Und prompt stürmte einiges Personal des heimischen
Literaturgeschehens los, um die Hymne noch zu verschlimmern ... Siehe dazu einige
Einträge ab dem 4. April 2004
und "Lob der Heimat in höchsten Tönen" [link]
Die "Internationale" in völliger
Verschnöselung, als würde Jeanette Biedermann in einer Vorabendserie die toughe
Sekretärin geben, die einen Karaoke-Wettbewerb gewinnt ...
[Wir Kinder des Kalten Krieges]
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