1. April 2009 Wie gestern erwähnt, da ist ein originelles Rudel in
Graz unterwegs. Der Alltag liefert mir immer öfter Situationen, die mir deutlich machen,
weshalb die Youngsters sich oft auf provokante oder lapidare Ansichten zurückziehen,
gelegentlich mit grimmigem oder warmherzigen Humor zuschlagen.
Ich habe dieser Tage einen hochrangigen ÖVP-Politiker
gehört, der gefragt wurde, ob er nun für oder gegen nationale Volksabstimmungen zu
EU-Fragen sei. Da fing der Kerl zu schwadronieren an, statt klar zu antworten. Der
Reporter fragte nach: "Läßt sich die Frage nun mit ja oder nein beantworten?"
Da sagte der Mensch glatt: "Ich hab die Frage gerade beantwortet." Scheißkerl!
Diese von Medienberatern gebürsteten Schwätzer! Diese "Vorbilder" sind ein
Albtraum.
Genau das erleben ja auch unsere Kinder. Sie werden
verschaukelt. Sie werden von zynischen "Autoritäten", deren ständiges
Herumeiern mehr als deutlich macht, daß sie ihrer "Autorität" selbst nicht
trauen, um ganz einfache Dinge betrogen. Wie etwa um ein klares Gegenüber, bei dem
Denken, Reden und Tun wenigstens im Durchschnitt der Zeit zu einer Balance finden.
Das ist übrigens meine grundlegende Vorstellung davon, was
mit "Redlichkeit" gemeint sein könnte, sollte. Und wie sich Redlichkeit
beurteilen läßt. Ich hab am 26. März die
Mail von Physikerin Ilse Tweer zitiert, in der sie fragte:
>>Ich sehe da auch grundlegende Fragen: was sind eigentlich
die Kriterien für "Redlichkeit"?<<
Eben die genannten, von denen ich meine, daß sie keine
absolute Position markieren, wie das mit "Wahrheit" betrieben wird, sondern von
RELATIONEN handelt. Damit lassen sich weltliche Dinge sehr gut bearbeiten. Die Darstellung
und Bewertung von Relationen. (Während ich die "Wahrheit" der Theologie und
Philosophie überlassen möchte, ich kann danmit nichts anfangen.)
Dieses ständige Lavieren, das viele Erwachsene ihrer
Umgebung zumuten, das Drehen und Wenden, das ganz offensichtliche Offenhalten von
Hintertüren, das Vermeiden klarer Positionen und Anpatzen anderer Leute, dieses ganze
Theater wird uns von den Kindern überl genommen und einigermaßen deutlich quittiert.
In der Komödie "Little Miss Sunshine"
dachte ich stellenweise, ich seh meinen Sohn. Auftreten, Haltung, Frisur ... und was ich
bei den Youngsters gelegentlich erlebe, dieses undeutliche Sprechen, oft nur Nuscheln,
diese Art, für die ein antiquierter Begriff besteht: "maulfaul", ist offenbar
eine Art des Einnehmens von Distanz. Ein teilweises Abwenden. Dwayne (Paul Dano) geht im
Film wesentlich weiter. Er hat das Sprechen eingestellt, äußert sich bloß noch über
Gesten und knappe Notizen.
Wie soll einer sonst reagieren, wenn er merkt, daß er
beschissen wird, aber keine Möglichkeit sieht, diesen Beschiß abzuwenden? Ich ahne
inzwischen: Von Teenager lernen, das wäre gelegentlich eine sehr erfrischende Option.
Ich kenne von Erwachsenen solche Sätze im erregten bis
wütenden Tonfall: "Er redet nicht mit mir." Dann wird es vielleicht so
sein, daß er zum Schluß gekommen ist, das Reden sei sinnlos geworden, weil es ihm bloß
erlaubt, die Position des Mächtigeren zu bestätigen, anstatt die eigene Position
darzustellen.
Es wird aber erst dann richtig eng, wenn wir Erwachsene uns
gleich machtlosen Teenies verhalten ... gegenüber der Politik, der Werbebranche und
anderen Professionen, wo sich jemand uns als Autorität aufdrängt, ohne sich dabei
einfachster Redlichkeit zu verpflichten.
Aber das läuft sowieso nicht bloß "vertikal",
sondern auch "horizontal". Apropos Redlichkeit! Kommenden Freitag sitze ich zu
diesem Thema mit Franz Wolfmayr, dem Präsidenten der EASPD ("European Association of Service Providers for Persons
with Disabilities"), zur Debatte an einem Tisch in der Gleisdorfer Hubertus
Drogerie: [link]
Eine andere Debatte kommt gerade NICHT so recht in die
Gänge. Bei "kunst O.ST"
sind Frauen definitiv in KEINEM der Bereiche unterrepräsentiert. Dennoch taucht das Thema
"Parität" gelegentlich auf. Aber dann doch nicht im Plenum. Eine verwirrende
Halbherzigkeit. Dazu kommt: Ich staune immer wieder, in welchem Maße unter uns
Kulturschaffenden die Legendenbildung blüht und welche Kraft manche von uns entwickeln,
selbstgestrickte Legenden dann auch gleich zu glauben. So erreichte mich in den letzten
Tagen folgendes Bonmot:
>>Ich glaube, wenn mehr Frauen in der Politik und
in der Wirtschaft in führenden Positionen wären, dann gäbe es weniger Kriege.<<
Das wäre ja einfach. Oder doch nicht?
Vor allem aber: Woher wissen wir das denn? Und: Aus welchen
Lagern kämen denn genau diese "mehr Frauen" in Politik und Wirtschaft? In
welchen Zusammenhängen würden sie mit welchen Mitteln welche Politik machen? Und warum
genau würden sie die dominanten Tendenzen zum menschlichen Eigennutz übersteuern, um dem
Gemeinwohl zu neuer Blüte und Kraft zu verhelfen?
Ach, zu viele offene Fragen! Aber ich denke vor allem:
Würden Statements wie das oben genannte zutreffend sein, also von einer momentan
virtuellen, aber dann/dereinst aktuellen Realität handeln, dann würden wohl
auch folgende zwei Sätze stichhaltig sein ... (sie sind es jedoch nicht):
+) Die meisten Männer und überhaupt die meisten Menschen werden von Frauen großgezogen;
es sollte also leicht sein, den Lauf der Dinge zu ändern, falls "die Frauen"
das wollen.
+) In den meisten Demokratien überwiegen die wahlberechtigten Frauen; es sollte also
leicht sein, den Lauf der Dinge zu ändern, falls "die Frauen" das wollen.
Bestehende Machtgefüge und die Formen wechselseitiger
Abhängigkeiten lassen mich annehmen: Es ist alles ein wenig komplizierter. Ich würde
mich also mit Spekulationen über solche Deutungen nicht weiter aufhalten wollen. Es
gefiele mir besser, wenn wir darüber reden könnten, wie sich vielfältige Parität und
Verteilungsgerechtigkeit herbeiführen ließe, wie es in einer vorherrschenden
Männerkultur anzustellen wäre, daß bevorzugte Männer konventionelle Vorteile aufgeben
... zugunsten neuer Qualitäten.
März
2006Der
Pfarrer schließt ab, dann ist der Totengräber wieder dran.
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