5. Mai 2008
Manchmal lande ich in einer Filmszene. Wie letzte Nacht.
Auf dem Vorplatz einer geschlossenen Tankstelle im ebenso fernen wie stillen Markt Allhau,
wo es gegen 22:00 Uhr allgemein mehr dunkel als hell ist, gegenüber einem vor Jahren
gesperrten Kino, wovon noch die Reste einer Aufschrift an der Wand erzählen, kurz bevor
der Regen kommt.
Cut!
Was wäre nun von der Liste des vorigen Eintrags aufzunehmen? Ich bin immer noch ein wenig darüber
verärgert, welche Seiten Kunstinszenierungen zeigen können/dürfen, in denen das
Anstreifen an kleinbürgerlichen bis proletarischen Konzepten keinen Reflexionsbedarf
aufwirft.
Davon kann ich reden, weil ich selbst darin verwickelt bin.
Dieter Spath hat in unserem Gespräch (Eintrag vom 1.
Mai) an einer Stelle erwähnt, es gäbe kaum etwas kulturell Ignoranteres als
Städter, die aufs Land gezogen sind. Eine polemische Anmerkung, über die nachgedacht
werden muß.
Woran stoße ich mich nun so sehr? Einerseits an der
offenkundigen Widerspruchslosigkeit dieses oder jenes Publikums, wenn auf Bühnen
unsinnige bis anfechtbare Behauptungen vorgebracht werden. Andrerseits an dieser
Kafka-Sache.
Die Notiz "Kafka und ein besinnungsloser Arnold
Mettnitzer." handelt davon, daß ich nach der Lesung von Thomas Glavinic den Saal
verlassen hab, als ein offenkundig völlig unvorbereiteter "Theologe und
Therapeut" die Bühne betrat, um dem Autor und dem Publikum folgenden Sorten reinen
Weins einzuschenken: Er sehe mit Kafka, es gebe keinen Ausweg. Punkt. Er habe keines der
Bücher von Glavinic gelesen. Er schreibe gerade selbst an einem Buch.
Ich habe ja, im Gegensatz zu Glavinic, der sich weigerte,
fünf Euro Eintritt bezahlt. Dafür will ich nicht mit Karaoke vergrault werden. Zweierlei
hat mich aufgebracht: Daß einer unvorbereitet auf die Bühne geht, offenbar glaubend,
sein Vorrat an Esprit würde das schon wettmachen. Und dieses unkommentierte wie auch
völlig unangebrachte Deuten von Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie".
Stellen wie diese lohnen die Debatte:
>>Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen
Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der
Ausweg auch nur eine Täuschung sein; die Forderung war klein, die Täuschung würde nicht
größer sein. Weiterkommen, weiterkommen! Nur nicht mit aufgehobenen Armen stillestehn,
angedrückt an eine Kistenwand.<< [Quelle]
Ich hab das mit dem Schauspieler Raimund Wurzwallner
(links, neben dem Künstler Walter Kratner) nach seiner Vorstellung noch erörtert. Wir
waren uns einig in der Deutung: Der Affe hat auf seine Überwältigung vorzüglich
geantwortet. Die Kiste ist die Welt und die Konklusion sollte nicht auf Kulturpessimismus
hinausführen, selbst wenn wir unter Wölfen lebten, es geht eben um ... Auswege. Die
liegen in der Kultur, nicht in Waffengängen. Genau das expliziert Kafkas Text.
Anschließend sind wir in einem abgelegenen Gasthof
gelandet, der einige Gästezimmer birgt. (Eine Szene von dort finden man im Eintrag #71 des
Logbuchs zu "next code".) Dort stand ein Abbild der Wirtin, in Klarsichtfolie
gehüllt, ein etwas gruseliges Artefakt. So viel darf ich aus der höchst privaten
Situation verraten: Wir haben gnadenlos und unerschütterlich dem Kulturoptimismus
gefrönt.
Cut!
Hoch an der Zeit, nicht nur den eigenen Angelegenheiten
nachzugehen. Da wäre ja auch eine Welt voller Sonderlichkeiten, von denen mir die meisten
keinen Kommentar wert sind. Wie zur Zeit selbst sehr gescheite Leute über die
"österreichische Seele" räsonieren, da einige sehr schaurige Verbrechen der
Öffentlichkeit bekannt wurden, ist erstaunlich.
Dies ist eine Kultur, in der das männliche Verfügen über
Frauenseelen und Frauenfleisch als ganz selbstverständlich gilt, jedes für sich; in
solchem Fragmentieren tun sich dann weiterführende Grausamkeiten auf. Das hat ganz banale
Wurzeln. Zum beispiel: Seit Jahrzehnten ändert sich kaum etwas an der Aussichtslosigkeit
der Forderung "Gleiches Geld für gleiche Arbeit!" Das gelegentliche Totschlagen
von Frauen, die sich männlichen Wünschen widersetzen, wird zwar geahndet, aber oft raunt
etwas oder jemand: Sie wird schon nicht ganz unschuldig gewesen sein.
Sie? Tja! Nun soll es also an der "österreichischen
Seele" liegen? Hier könnte nun über die Konsequenzen der Gegenreformation
debattiert werden. Das wäre gar nicht abwegig. Das Blut des Barock. Aber auf jeden Fall
sollte über die "conditio humana" geredet werden. Über deren dunkle Seiten,
die wir alle an uns vermuten dürfen, mit oder ohne "österreichische" Seele.
Und durch welche Mittel diese Seiten gebannt werden können.
Dabei spielt dann eine wesentliche Rolle, was unter
"breiten gesellschaftlichen Konsens" fällt. Etwa die umfassende
Verfügbarmachung von Frauen. Solchen Themen kann man gut ausweichen, wenn man populärere
Themen aufwirft. Wie etwa Michaela Eckelbauer ("Neues Volksblatt"). Sie schreibt
nicht über Ethos oder Zivilisation, sondern über "Moral". Unter diesem Titels
steht:
>>Es ist keine Frage, dass das Strafausmaß für
Delikte gegen Leib und Leben höher ausfallen muss als bei Straftaten im Bereich von Hab
und Gut. Da besteht absoluter Handlungsbedarf. Die zentrale Frage angesichts des
Inzest-Falles von Amstetten ist aber, ...<< [Quelle]
Warum eigentlich? Warum ist das "keine Frage"?
Wenn als zivilisatorischer Grundsatz gilt, nicht Rache zu üben, sondern Recht zu
sprechen, dann würde ich doch gerne fragen: Warum MUSS das so kommen? Ich bitte um
zweckdienliche Hinweise.
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