3. November 2007

Von Romanen heißt es, dem ersten Satz komme besonderes Gewicht zu. Ich hab daran so meine Zweifel. Obwohl gelten muß, daß ein exzellentes Werk in seiner Komposition zu bestechen hat, worin der erste Satz vielleicht eine spezielle Position einnimmt.

Ich vermute da einen der Gründe, warum es in meinem Oevre keine Romane gibt. Ein Kraft, die ausladende Prosa so strukturiert, daß eben schon vom ersten Satz eine Wirkung ausgeht, die in das Fundament des Werkes hinein reicht und an anderer Stelle wieder hervorkommt, oder aber still und unmerklich wirkt, eine solche Kraft finde ich in meinem Repertoire nicht.

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Ich hab eben in einigen Romanen Dostojekwskis nachgeschlagen. Der Russe neigte zu derart ausführlichen ersten Sätzen, daß ich hier im Moment keinen davon abtippen möchte. Aber eigentlich geht es mir momentan gerade um Filme. Da scheint es ebenso zu sein. Sehr interessant, was in Filmen jeweils die erste Einstellung ist. Oben sieht man das Bild, mit dem Akira Kusosawa den Film "Nachtasyl" ("Donzoko") eröffnet hat. Eine Tragödie nach einem Theaterstück von Maxim Gorki.

Ingmar Bergmann hat in "Wilde Erdbeeren" ("Smultronstället") die Leinwand zur ersten Einstellung vollkommen mit Schwarz überzogen und läßt dazu das Schlagen einer Glocke hören.

Cut!

Was bringt Menschen eigentlich dazu, ein Auto "i30" zu nennen? So heißt nach meinem Ermessen vielleicht ein Versuchsflugzeug oder irgend etwas aus dem Innenleben eines Radioapparates.

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So heißt aber auch ein koreanischer Kompaktwagen, mit dem ich mich eben über die Hügel geschmissen hab. Ein Hyundai, der mir viel unaufgeregter rekommandiert wurde, als unlängst ein anderes Fahrzeug aus dem Osten, zu dem sich die Werbeabteilung des Hauses Skoda geradezu überschlagen hatte. Der erste Satz im Prospekt des Allraders lautete: "Sie nehmen am liebsten den direkten Weg?" Dem müßte dann eigentlich folgen: "Dann sollten Sie Puch G fahren." Denn für so radikale Routen reicht der Octavia "Scout" natürlich nicht hin. (Siehe Eintrag vom 17. Oktober!)

Aber ja, das mit dem direkten Weg ist eine Metapher. Zwischen dem und zwischen Unterstellungen, die sich als Sachverhaltsdarstellungen ausgeben, changiert das PR-Geschäft. Die Werbetexter verstiegen sich zum Beispiel zu: "Das Doppelauspuffendrohr aus Edelstahl unterstreicht den ambitionierten und sportlichen Auftritt des Octavia Scout."

Es ist irgendwie infam, jede Kleinigkeit als etwas Großes herauszustellen und Zusammenhänge zu behaupten, die in keiner Weise einer Prüfung standhalten. Es gibt in unserer Kultur eine Art "Standard-Areal", auf dem derlei Falschmünzerei anscheinend das Maß der Dinge ist.

Wäre es nichts weiter als eine endlose Telenovela, könnte man sich damit unterhalten, sich die Zeit vertreiben. Aber es scheint eher so zu sein, daß wir dazu neigen, selbst produzierte Legenden über kurz oder lang für die Realität zu halten.

Was hier das "Doppelauspuffendrohr" bedeutet? Daß etwa ein großvolumiger Achtzylinder zwei Rohre verlegt bekommt, um seine Kraft entfalten zu können, daß ein bürgerlicher Vierzylinder dagegen mit einem Röhrchen reichlich bedient ist. Wenn man nun aber das Endrohr, also den letzten Abschnitt am Heck, gabelt und mit Chrom aufputzt, suggeriert das höhere Potenz.

Dazu fällt mir wieder ein, was mir Philosoph Erwin Fiala, in Berufung auf Platon, über das Wesen der SIMULATION gesagt hat. Sie sei die exakte Kopie von etwas, das es nicht gibt. Nun ist also das Doppelauspuffendrohr keine Simulation, wohl aber das, wovon dieses Statement kündet. Nämlich der "ambitionierte und sportliche Auftritt", den ja nicht ein Automobil hat, sondern der Fahrer haben möchte. Oder hat man je gehört, ein Automobil würde Ambitionen entwickeln?

Aber warum soll man solche Fragen überhaupt erörtern? Warum sollte das von Belang sein? Wenn wir unseren Mitteilungen so eine tiefe Doppelbödigkeit aufbürden, wenn unsere Sprache schon so alltäglich als Vehikel für Scheinmitteilungen gebraucht wird, wird das nicht ohne Folgen für unseren Umgang mit einander sein. Mich interessiert das gar nicht als eine Themenstellung der Moral. Da geht es mir eher um die Frage, was unser Sprechen praktisch leisten kann, was da konkret geschieht.

Cut!

Übersetzer Michael Roloff schrieb zur rhetorischen Frage, ob es ein "Massaker-Gen" gebe (Siehe Eintrag vom gestern!):

"i dont know about no massacre gene, but once wounded even the chilean army that hadnt tasted blood for decades will become crazed.... thus a society that has developed the rules for engagement and disengagement is better equipped to deal with outbreaks of..... influenza. x mr"

Cut!

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Einige der letzten Handgriffe an den Artefakten von "next code: love", der Abtransport von Arbeiten nach Slowenin. Der Frächter hatte mir einen Hängerzug vorbeigeschickt, mit dem man 40 Tonnen wegpacken kann. Also holte ich den Fahrer außerhalb der Stadt ab, damit wir wenigstens den Trailer draußen lassen konnten. "next code: love" wird übrigens kommenden Sommer eine Verzweigung nach Beograd erfahren. (Aber dafür werden auch keine 40 Tonnen zusammenkommen.)


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