23. Oktober 2007 Mag sein,
daß Väter und Söhne einst gemeinsam Berge bestiegen oder zum Fischen in einem Boot
saßen, um innige Momente zu erleben. Mag sein, daß manche Väter sich darin gefallen,
ihren Söhnen die Welt zu erklären. Ich gebe nichts auf solche Attitüden.
Der Lauf der Dinge legt manche Gemeinsamkeiten
nahe. Was hat die höchsten Prioritäten für einen Teenie? Ich höre in einem Atemzug
"meine Musik" und "meine Freunde" genannt. Das finde ich sehr
einleuchtend. Wie ich für evident halte, daß "Vater" und "Freund"
zwei grundverschiedene Kategorien sind.
Die Gemeinsamkeiten mit meinem Sohn haben mehr
emotionale und weniger praktische Seiten. Wenn er etwa bei Stichwort "Kunst" die
Augen verdreht und sich abwendet, macht mir das weniger Gedanken als die Option, er
könnte sich im Nacken einen Stahlstift durch die Haut stecken. Wie weit müssen sich
Teenager aus dem Fenster hängen, wo Erwachsene Jugendkulturen plündern oder unbedingt
ihre Freunde sein wollen?
Freilich haben wir
"Vater-Sohn-Situationen". Eine davon sieht, zeitgemäß, so aus: Ich hab meinen
Laptop per Netzwerkkabel mit seiner Maschine verbunden. Folglich erfüllt auch kein
Vogelgezwitscher oder Wellengesäusel die Luft um uns (Bergwandern, Fischen), sondern ...
<schluck!> ... "Soulfly".
Und "Lost Prophets".
Und "Slipknot". Regler
voll auf Anschlag.
Von meiner betagten Nachbarin trennt mich ein
Stiegenhaus, sie dürfte also davon unbehelligt geblieben sein. Als ich zu diesen Bands
zwischendurch anmerkte: "Das sind vermutlich keine sehr netten Menschen",
grinste mein Sohn, nickte, und ich hatte wieder einmal Grund, darüber nachzudenken, warum
wohl liebenswürdige Teenager so sehr zu äußerst auf böse getrimmten Rockmusikern
neigen. Anschließend bekam ich noch eine Techno-Lektion, die eine äußerst kryptische
Botschaft enthielt: "Und Gott schranzte ..."
Cut!
Ich finde es sehr beruhigend, wenn mein Sohn
Dinge mag, die mir mindestens nach rund 15 Minuten ziemlich unerträglich vorkommen. Ich
hänge der Idee an, daß ein starker Kontrast in solchen Dingen uns gut tut.
Ich könnte mich bei dem Burschen ja
revanchieren. Zum Beispiel mit einem feinen Filmchen. Nein, unnötig, ihm ist der Kontrast
zwischen uns beiden auch so klar. Ich hatte mich nämlich eben erst wieder in einem Film
verloren, der ... ich hab gestern Berlin
erwähnt. Von dort stammte der Journalist und Cineast Bernd Lubowski, den vor Jahren ein
geheimnisvoller Tod aus der Welt gerissen hat.
Bernd hatte Ende der 1970er meine
grundlegenden Defizite schnell erkannt und mich folglich in eine Serie von Kinoerlebnissen
gestoßen, die sich durchgehend in muffigen kleinen Programmkinos vollzogen. Denn
selbstverständlich war ich damals noch ohne jede Vorstellung, wer Arletty gewesen ist und
wie Barrault als Baptiste unzählige Herzen erhoben hatte.
Lubo brachte mich dazu, diese Lücken zu
füllen, nannte mir Zeiten und Orte, da hatte ich mich jeweils in einem Kino einzufinden.
Er machte mich mit Peter Lorre und anderen markanten Personen der Filmgeschichte bekannt,
stellte mir Marlene Dietrich und sonst noch wen gründlich vor.
Nun hab ich mir unlängst diesen drei Stunden
dauernden Film beschafft, der zu meinen "norddeutschen Lektionen" gehört, in
dem Marcel Carné 1945, die Nazi fast noch im Genick, über Liebe, Begehren und die Kunst,
über Himmelslagen und Abgründe erzählt hat: "Die Kinder des Olymp".
Cut! So
störend mir Spam meist erscheint, zwischendurch fallen einem dadurch kleine
Überraschungen zu. Wie diese Grafik aus einer Werbesendung, die da als animiertes GIF
deponiert war: [link]
Cut!
Was sind nun die praktischen Grundlagen des
Kunstgeschehens? Vor allem abseits des Landeszentrums. Vor allem abseits hoch dotierter
"Hauptereignisse". |
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Vor allem auf Nebenwegen des
Kanons. Da war also am 14. Oktober die
"Salat-Situation" mit den Kunsthistorikerinnen Mirjana Selakov und Elisabeth
Arlt. Arlt ist Mitarbeiterin des Pavelhaus in der Nähe von Bad Radkerbsburg.
Dort läuft noch bis Ende November (anläßlich des Festivals steirischer
herbst) eine Ausstellung mit Arbeiten aus Albanien. In unserem Plauderstündchen
haben wir über Erfahrungen mit der Organisation von Kunstveranstaltungen geredet.
Dabei hat Arlt in unserem Gespräch einen
interessanten Satz fallen lassen: Wenn der Kurator schwach ist, machen die
Künstler, was sie wollen.
Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, wie provokant
dieser Satz bei Kunstschaffenden ankommen dürfte. Etliche halten genau DAS für ein
konstituierendes Element des Lebens in der Kunst: Tun was man will. Freilich ist das
nichts weiter als ein kleinbürgerliches Phantasma. Der Traum von einer Lizenz zum
Aufgeben von Verbindlichkeit als Grundlage des Daseins Kunstschaffender.
Wir waren auf das Thema gekommen, weil ich nun seit
Jahrzehnten eine sich stets wiederholende Erfahrung mache: Sobald ich FÜR Künstler etwas
organisiere, sind immer einige darunter, die schlagartig vergessen, daß wir Kollegen
sind. Sie versuchen mir dann eine Rolle zuzuschieben, die irgendwo zwischen Agent und
Dienstbote liegt, sie erwarten auch noch, daß ich ihnen dieses Arrangement mit einem
fürstlichen Honorar plus Reisespesen abgelte. (Sehr lustige Idee!)
Ich beklage das nicht weiter, weil ich heute, sobald der
heikle Punkt erreicht ist, jemandem sehr schnell anbiete, ihn umgehend zum nächsten
Bahnhof zu bringen, falls er mich für seinen Nigger hält. Aber ich frage
mich natürlich stets wieder, was sich bloß in solchen Verhaltenskurven ausdrückt.
Ich war auf eine Art beruhigt, von Arlt zu hören, daß sie
solche Effekte auch kennt. Das ist also kein Phänomen, wie es sich nur an mir entzünden
würde. Vielleicht hat sowas seine Wurzeln unter anderem in diesem unüberblickbaren
Dickicht an Legenden und dem Wunsch, selbsterfüllende Prophezeiungen in Gang zu setzen,
durch die auch jemand aus bescheidenen Verhältnissen in den Stand von Unabhängigkeit
gehievt werden könnte. Könnte! Eine Träumerei.
Wie reüssiert man in diese Richtung? Wahlweise: Was wäre
denn das proletarische Gegenstück zu Paris Hilton? So eine Geschichte gibts nicht.
Oder doch? Und auch sie, die Hilton, muß den Mechanismen der Medien folgen, über die sie
ihre Geschäfte in Gang hält.
Wie wäre es mit einem Amerikanischen Traum?
Könnte man sich an Frank Stronach etwas abschauen? Der überaus wohlhabende
Industriekapitän wurde in Weiz, also gerade 15 Kilometer von Gleisdorf, in
sehr bescheidenen Verhältnissen geboren. Kann er tun, was er will?
Aber das sind ganz unsinnige, deshalb auch nicht sehr ernst
gemeinte Schlenkerer. Die Lizenz; zu tun was man will, mag es geben. Ich weiß bloß
nicht, wie sie beschaffen ist und worauf genau sie sich gründet.
Elisabeth Arlt hat noch einen anderen, sehr interessanten
Hinweis geliefert, den ich auf meine Erfahrungen umlegen kann. In den sogenannten
Reformländern ist es oft den Kindern wohlhabender Leute vorbehalten, sich mit
künstlerischer Praxis zu befassen. Da haben wir dann hier, in Österreich, mitunter
plötzlich das vor der Nase, was man ein verwöhntes Wesen nennt. Zuzüglich
einiger sozialer Schwellenwerte, die Wirkung entfalten können.
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