1. April 2006 Ich bin
gewissermaßen ein Alltags-Junkie. Also verrückt nach Alltag. Nein, nicht daß ich bloß
Alltag haben und Alltägliches erleben möchte. Das wäre ein Mißverständnis. Ich bin
sehr anfällig, von ganz alltäglichen Momenten intensiv erreicht zu werden.
Wenn ich zum Beispiel bei meinem Kaufmann hinter einem
älteren Paar herschlurfe, weil es dabei nur sehr langsam vorangeht. Und ich höre
folgenden Satz:
"Ich mache morgen ein gutes
Krautfleisch. Was haltest du davon?"
Dann tut sich daraus ein detailreiches Bild auf, aus dem
Leben anderer Menschen, das aber auf berührende Art begreifbar macht, was Realität ist:
Vor allem eine Praxis der Kontraste. Oder es fällt mir ein Wort zu, das mich völlig
verblüfft. Wie:
Hygieneschwachstellen
Im Eingangsbereich des erwähnten Kaufhauses befindet sich
eine Ablagebrett, durch welches einem das Einpacken des Gekauften erleichtert wird. Auf
diesem Brett hatte ich beim Umschlichten der Dinge in meinen Tragtaschen versehentlich ein
dickes Buch von Thomas Mann liegenlassen. Die "Betrachtungen eines
Unpolitischen". Abends ist es mir aufgefallen, ich ging zurück, das Buch lag noch
da. Unberührt. Ist das nun die gute oder die schlechte Nachricht?
Alltag. Das ist Jasper. Es ist für mich mehr als ein
Jahrzehnt her, daß jemand, der noch nicht gehen kann, zu meinem Alltag gehört. Weshalb
meine Küche auch auf dem untersten Meter der Raumhöhe mit Dingen bestückt ist, die eher
leichter als schwer kaputt gehen können.
Was ja keineswegs bedeutet, daß solche Dinge unter den
Händen kleiner Kinder auch tatsächlich und fast zwangsläufig kaputt gehen. Nach Jaspers
Befassung mit meiner CD-Sammlung war kein Schaden festzustellen. Was eine weitere kleine
Episode ergibt, wie andere Menschen staunenswerte kleine Momente in meinen Alltag bringen:
Diese konzentrierte Versunkenheit Jaspers, das nicht Schaffbare zu versuchen, die CDs
wieder ins Regal hineinzubringen.
Cut!
Ich habe gestern
den Brigadier Puntigam erwähnt, der zwar hochrangiger Diener der Republik ist, sich mit
den grundlegenden Prinzipien dieser Republik aber nicht immer ganz im Einverständnis
befindet. Im "Süd-Ost
Journal" kann man laufend Überraschungen erleben. Wie da gegen die Gegenwart der
Welt angeschrieben wird. Was ich im Zusammenhang mit den häufigen Journalisten-Schelten
des Peter Handke erwähnt habe, der es dafür aus der Branche auch entsprechend heftig
zurück bekommt.
In Summe neige ich freilich dazu, diese Vorgänge günstig
zu bewerten. Denn offener und öffentlicher Diskurs ist jenes Kräftespiel in einer
Demokratie, durch das immer wieder das Verhandeln von Interessensausgleichen vorankommt.
Gegenüber dem faschistischen Prinzip des
"Broadcasting" (ein Sender, viele Empfänger) bietet das neue Medienprinzip
(viele Sender, viele Empfänger) der Demokratie andere Optionen. Wodurch das Leben
freilich nicht unkomplizierter wird.
Graphic Novellist Jörg
Vogeltanz hat die Sache kommentiert und als Brief an Hannes Krois, den Chef des
"Süd-Ost Journals", gesandt. Worin es unter anderem heißt:
"sollten Sie nun damit argumentieren, herr puntigan
schreibe ja nur seine privatmeinung, muss ich erwidern: kann er gerne; aber nicht in
seiner eigenschaft als staatsbeamter (inklusive redaktionsfoto in uniform!), denn damit
ist er ein sprachorgan des bundesheeres und hat keine eigene meinung zu publizieren. wenn
es ihn danach drängt, soll er entweder in zivil auftreten oder bücher schreiben; eine
periodische zeitungskolumne in vollem heeresornat ist dazu sicher keine geeignete
plattform." (Der komplette Brief)
Das ist ein wesentlicher Punkt. Natürlich hält eine
streitbare Demokratie extreme Positionen aus. Angewandte Menschenverachtung sollte
ausreichend energische Antworten erfahren. Aber daß jemand offen ersichtlich als
Diener der Republik auftritt und solche Positionen streift, ist eine äußerst provokante
Haltung.
Wie der Herr Puntigam in seiner Kolumne immer wieder
völlig ignoriert, wo die Diskurse in der Zeitgeschichte, der Soziologie und anderen
Disziplinen stehen, so demonstriert auch sein Herausgeber, daß man auf Sachkenntnis ruhig
verzichten kann. Wenn Hannes Krois zum Beispiel Künstlern Expertisen nachwirft, die
völlig auf Kriterien verzichten. Wie etwa:
"Leider ist heute
nicht Kunst eine Kunst. Sondern Kunst ist Politik und Politik nur mehr Kunst. Ansonsten
wäre es nicht möglich, daß Leute, wie ein Hermann Nitsch höchste Ehrungen dieses
Staates erreichen und seine grauenhaften Schüttbilder mit öffentlichen Geld für
öffentliche Wände angekauft wurden. ..." (Quelle: "Süd-Ost Journal" / Das
komplette Statement)
Ja, was IST denn Kunst, Herr Krois, möchte man fragen.
Welche Kunstauffassung im Krois'schen Süd-Ost-Reich gepflegt wird, werde ich noch mit
einem "Manifest" darlegen, das er publiziert hat. Als Reaktion eines Künstlers
auf seine Kolumne. Eines Mannes, der zwar nicht mal eine menschliche Hand zeichnen kann,
dafür aber von einem Land weiß, "Wo trotzdem
jeder noch so unnötige Schmarrn nach staatlicher Subvention und Förderung lechzt.
..."
Daß private Auffassung sich auf geschmäcklerische
Positionen beschränken darf, muß klar sein. Im öffentlichen Diskurs wird man allerdings
seine Gründe nennen müssen. Seine Kriterien darzulegen haben. Schaun wir mal ...
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