1. April 2006 / II sehr
geehrter herr chefredakteur,
mit großem bestürzen und einigermaßen starker beklemmung habe ich die aktuelle kolumne
des brigadiers puntigam zum urteil im seibane wague - fall gelesen. in einem öffentlich
zugänglichen medium (Ihrem journal) darf also ein militärangehöriger darüber
spekulieren, ob es -selbst bei todesfällen nach dienstrechtsverletzungen durch
exekutivbeamte!- nicht "besser" wäre, "eine besondere berücksichtigung
des ausnahmezustandes" in eine urteilsfindung einfließen zu lassen. im
klartext: herr puntigam fordert ausnahmeregelungen für polizistInnen, die unter umgehung
oder missachtung ihrer dienstvorschriften eine zumindest fahrlässige tötung begehen.
damit stellt er sich gegen grundregeln eines
demokratischen
rechtsstaates und verbreitet -freundlich ausgelegt- zumindest
bedenkliche ansichten für den bürger eines mitteleuropäischen staates.
abgesehen von der tatsache, dass hier ein mensch zu tode gekommen ist (und kein auch noch
so großer besitz von drogen oder die renitenz während einer verhaftung rechtfertigt die
tötung eines delinquenten) und der artikel puntigams diesbezüglich ohnehin ein sehr
unappetitliches stück boulevardjournalismus darstellt, muss hier doch ganz klar eines
gesagt werden: entgegen der, sagen wir, "seltsamen" ansichten eines brigadiers,
sollten waffentragende, zum töten und ausser-gefecht-setzen ausgebildete exekutivbeamte
(wie im übrigen auch militärangehörige!) eher strenger bestraft werden, wenn sie
vorschriften im rahmen ihres staats(sic!)dienstes zu frei auslegen oder klar missachten.
denn diese personengruppen besitzen eine ungleich höhere
verantwortung (aufgrund ihrer ja auch ungleich höheren befugnisse) als ein herkömmlicher
staatsbürger. und natürlich ist bessere (aus)bildung (auch im bereich nichtlethale
ruhigstellung) ein relativ hoher garant für eine abnahme von eskalation, aggression und
gewalt. wenn natürlich zeitungen wie die Ihre das gegenteil auch noch mittels der kolumne
eines führenden bundesheermitglieds kolportiert, wird daran kein interesse bestehen.
gerade in zeiten wie diesen, in denen fremdenhass (laut innenministerium gab es einen
traurigen rekord an rassistisch begründeten straftaten im letzten jahr in österreich),
intoleranz und ignoranz an der tagesordnung stehen, sind artikel, wie der puntigams,
kontraproduktiv und gefährlich. sollten Sie nun damit argumentieren, herr puntigan
schreibe ja nur seine privatmeinung, muss ich erwidern: kann er gerne; aber nicht in
seiner eigenschaft als staatsbeamter (inklusive redaktionsfoto in uniform!), denn damit
ist er ein sprachorgan des bundesheeres und hat keine eigene meinung zu publizieren. wenn
es ihn danach drängt, soll er entweder in zivil auftreten oder bücher schreiben; eine
periodische zeitungskolumne in vollem heeresornat ist dazu sicher keine geeignete
plattform.
herr puntigam äußert sich im übrigen öfters einmal eher anti-rechtsstaatlich; zum
beispiel, wenn er (in einem früheren artikel) die missbrauchte blindheit der justitia
(ausgabe juni 2005, zum kärntner ortstafelstreit) beklagt und damit zu verstehen gibt,
dass er die juridische blindheit für etwas negatives hält. tatsächlich garantiert aber
diese - außer in diktaturen und polizeistaaten allgemein als positiv verstandene -
eigenschaft das gerechte urteil ohne rücksicht auf person und stand... offenbar etwas,
was puntigam stark missfällt, wie er ja deutlich im aktuellen fall seibane wague
bestätigt.
vielleicht wäre herrn puntigam anzuraten, sich - spät,
aber doch - etwas eingehender mit den rechtsgrundlagen eines demokratischen staates zu
beschäftigen. es ist nie zu spät für bildung.
abschließend ein zitat aus martin krusches weblog zum artikel puntigams:
Hochrangige Militärs, welche offenbar der Meinung sind, man müßte ordentliche Gerichte
eigentlich in ihren Entscheidungen übersteuern, finde ich sehr beunruhigend. Sowas mag in
Militärdiktaturen eine akzeptable Haltung sein, in Österreich hat sich das Volk für
eine andere Ordnung der Staatsgewalt entschieden.
In dieser Republik herrscht Gewaltentrennung. Legislative, Exekutive und Judikative sorgen
für die erwünschte Balance in der vom Staat monopolisierten Gewaltausübung. Das ist dem
Parlament, der Regierung und den Gerichten in die Hände gelegt, nicht den Offizieren.
Politologe Hans Vorländer schreibt in seinem Buch über Demokratie:
"Die effektive zivile Kontrolle polizeilicher und militärischer Macht ist eine
wesentliche, unbestreitbare Voraussetzung der Demokratie." (http://twylyfe.kultur.at/log/)
mfg,
mag. jörg vogeltanz, graz
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