Cut!
Raffaels Engelchen sind, wie schon angedeutet, vermutlich einer der am radikalsten
vermarktete Kunstverschnitte, den man finden kann. Den offenbar meist aussichtslosen
Wunsch nach "Besinnlichkeit", was immer das sein mag, mit solchen verflachten
Zitaten zu dekorieren, macht Weihnachten als Ramsch-Festivität ganz offensichtlich.
Wogegen ich aber gar nichts sonderlich einzuwenden habe. Denn ich seh schon ein, daß
die Schutthalde behübscht sein will. Wie sollten man sie sonst ertragen? Aber was war
denn nun mein Thema? Genau! Der Mangel einer Tradition in Friedfertigkeit, Achtsamkeit,
diese rauhe Vorgeschichte des Mangels an allem.
Am 28. November hab ich notiert:
Was immer für die "Werte Europas" gehalten wird, vor all dem steht eine
Jahrtausendgeschichte ziemlich ungezügelter Gewalttätigkeiten. Die Menschen waren,
verkürzt ausgedrückt, ständig in der Klemme zwischen Nahrungsmangel, Krankheit und
Krieg.
Woher kleinbürgerliche Gemüts-Athleten ihre Bilder von "heilen Familien"
nehmen, ist mir ja schleierhaft. Wie das Geschwurbel über die Ehe als Keimzelle der
Gesellschaft, was sozialgeschichtlicher Blödsinn ist. Noch dazu dieses Geschwätz über
"die traditionelle Ehe". Diese Tradition würde ich mir gerne mal ansehn. Wo
genau die ist. Oder herkommt.
Handwerksleute? Agrarisches und Industrieproletariat? Wo und wie konnten diese Leute
denn heiraten? Oder zum Beispiel die k. u. k. Armee. Das Gegenteil war der Fall. Denn es
wurden fürs Heiraten "Lizenzgebühren" erhoben. Je höher der Rang, desto
niedriger die Gebühr. Für niedere Chargen war der Preis völlig unerschwinglich. Das
Heer, damals im Rang der "Schule der Nation" und eine normgebende Instanz, hielt
seine Männer nach Kräften vom Heiraten ab.
Die Menschen waren zum Nutzen gedrängt, meist unter Druck gesetzt. Die Anstrengungen,
die Unerbittlichkeiten schufen ein Klima, in dem Lieblosigkeit und Härte dominante
Zustände waren. Daran kann kein Zweifel bestehen. Das Leben war für die meisten Menschen
eher kurz, von Mangel und brutalen Belastungen geprägt.
Aus dieser Mentalitätsgeschichte beziehen wir die Heldenbilder des Überwältigers. Da
nimmt sich der Souverän das Recht, Menschen zu mißhandeln und zu zerbrechen. Hat Condie
Rice nicht grade wissen lassen, man müsse Terroristen festnageln BEVOR sie zur Tat
schreiten und viele Menschen zu Tode kämen? Es ist wie bei Kafka. Wie bei Ray Bradbury.
Es ist wie im "Minority Report".
Solche Leute attackieren ein Fundament der
Zivilisation, die Unschuldsvermutung und die Prinzipien ordentlicher Gerichtsverfahren.
Sie behaupten schon zu wissen, was jemand tun wird, und unterwerfen Gefangene Prozeduren,
die mühsam erarbeiteten Konventionen spotten. Nachdem auch das deutsche BKA gerade ins
Gerede gekommen war, die eine oder andere Dienstreise nach Damaskus genehmigt zu haben, wo
in einem Foltergefängnis sehr nachhaltig verhört wird, gibt es nun ein klares Statement
des neuen Innenministers Wolfgang Schäuble. (Quelle: "Der Spiegel") |
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