5. September 2005

Ein alter Mann von zierlicher Gestalt, der sich Pferde hält. Mit diesem Wagen waren sie ihm durchgegangen. Das rechte Vorderrad hatte sich an einem Hindernis verfangen. Der Alter war im hohen Bogen vom Bock gefallen. Motorradfahrer nennen das "Highsider", wenn's so nach vorne auf die Schnauze geht. Das filigrane Gefährt ist noch nicht mit Achsschenkel zur Lenkung ausgestattet, sondern mit einem Drehschemel. Die Reparatur wird aufwendig. Er weiß einen Ungarn, der sich darauf versteht.

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Was er nicht wußte, ich erzählte es ihm, Ungar ist quasi die Wiege der Kutschen. Das Wort “Kutsche” leitet sich aus dem ungarischen “Kocsi” ab, was etwa “Wagen aus dem Ort Kocs” bedeutet. Ein Wagenkasten mit Verdeck ist auf einem gefederten Fahrgestell aufgehängt. Diese Fahrzeugart wurde im 15. Jahrhundert entwickelt, hatte sich im 16. Jahrhundert in vielen Formen und Varianten durchgesetzt. Was man hier, auf den Feldern hinter Gleisdorf, sehen kann, ist im Unterbau noch ganz nahe an diesem alten Konzept. Die bereiften Räder ausgenommen. Eisenbeschlagene Speichenräder seien auf der Straße so laut, sagte der alte Mann.

Cut!

Ich habe unlängst den Hang zur Adelsverehrung und Intellektuellenfeindlichkeit als Bestandteil der heimischen Inszenierung genannt. Die Revision der Aufklärung hat noch einige kuriose Facetten. Zum Operetten-Österreich gehört auf jeden Fall a) Volksfrömmigkeit und b) angewandte Heuchelei. Einen kuriosen Beleg, wie sich beides verbinden läßt, fand ich kürzlich im oststeirischen Weiz auf einem Display vor einem Supermarkt-Portal.

log507b.jpg (19677 Byte) Das Journal "Seitenblicke" berichtet unter der Headline "Hansi, der Alpenmessias":

"6000 Fans kamen, sangen und beteten am Hahnenkamm gemeinsam mit Hansi Hinterseer!"

Ex-Schirennläufer und Schlagerstar Hinterseer, im Geschäft der emotionalen Flachmünzerei tätig, nein, nicht Falsch-, Flach-, nun mit dem Prädikat Messias ("Der von Gott gesalbte") versehn, das Business in die Nähe der Bergpredigt gerückt.

Der Kniff ist beeindruckend, er wirkt verfälschend in BEIDE Richtungen. Er arbeitet der Restauration eines klerikal geprägten Hierarchiendenkens zu, verwischt zugleich über die Figur Hinterseer den sozialkritischen Kontext der Bergpredigt.

"Eine Träne, Die Sehnsucht Heisst"
"Komm Nach Tirol, Senorita"
"Zwei Paar Ski und du und i"
"Schöne Mädchen muß man lieben" ...

Cut!

In diesem Operetten-Österreich ist der Blick nach Süden natürlich im Sinne der Simplifizierung mit bloß einem Minimum an Sachkenntnis belastet. Am besten fügt sich das Ressentiment in diese Leichtfüßigkeit, verspricht den geringsten Ballast für schlichte Geister.

Da behelfen wir uns mit dem völlig unhaltbaren Motiv "Urangst". In Kärnten habe man "Urangst" vor den Slowenen, in der Steiermark vor den Türken, das behaupten exponierte Politiker ganz unerschrocken. Aus den Leserbriefspalten auf dem Boulevard antwortet ihnen Zustimmung.

So vergeuden heimische Opinion Leaders Zeit und Aufmerksamkeit, die eigentlich darauf verwandt sein könnten, uns einen wenigstens flüchtigen Eindruck zu verschaffen, womit der Süden grade noch belastet war ...

1867 haben die Osmanen die letzten militärischen Festungen auf dem Gebiet des späteren Jugoslawiens geräumt. 1908 hat Österreich Bosnien und Herzegowina annektiert. 1912 und 1913 beendeten zwei Balkankriege endgültig die osmanische Vorherrschaft in dieser Region. Von da reicht eine Kette der Konflikte zwischen südslawischen Völkern unter einander bis in die Gegenwart. Zu dieser Kette der Konflikte gehören ständige Einmischungen europäischer Nationen. Wie man rückblickend deutlich sehen kann, nicht zum Vorteil der slawischen Völker, sondern primär aus Eigennutz.

Wie hat es also begonnen? In den vergangenen 90ern? Das Grundszenario sieht so aus:

Ende der 1980er war die Wirtschaftskrise Jugoslawiens erdrückend. Die Spannungen zwischen albanischer Mehrheit und serbischer Minderheit im Kosovo nahmen zu. Im Mai 1991 hat der Kroate Stipe Mesic den Vorsitz im jugoslawischen Staatspräsidium übernommen. Konfrontationen zwischen Serben und Kroaten eskalieren.

Im Juni 91 erklärten Kroatien und Slowenien ihren Austritt aus dem Staat. Die serbische Kraina wollte sich von Kroatien lösen. Im September des Jahres sagte sich Mazedonien los, im Oktober Bosnien Herzegowina. Im Dezember 91 und Jänner 92 wurden Slowenien und Kroatien international als eigene Staaten anerkannt. Im April 92 Bosnien Herzegowina.

Ich habe an anderer Stelle schon einmal gefragt, wie Europa wohl verfahren würde, wenn etwa Basken, Iren oder Padanier sich "ihr Land" nähmen und der Nation, der sie bisher angehören, den Hintern zeigen würden. Wie würden Spanien, Großbritannien und Italien reagieren? Wie die westliche Welt?

Es ist mir bis heute nicht recht klar, wie das im Fall Jugoslawien geregelt wurde. Falls mir jemand dazu erhellende Quellen nennen kann, wäre ich über Hinweise froh.

[Balkan-Reflex]

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