2. September 2005 Die ganze
Gegend ist von den intensiven Regenfällen geprägt. In der 32. Kalenderwoche 2004 habe
ich diese Arbeit
von Johannes J. Musolf auf die Strecke hinausgebracht. Das Exponat hat also rund ein Jahr
an seiner Stelle gehalten. Gestern fand ich es auf meiner Tour zu Boden gefallen wieder.
Ich liebe dieses Prozeßhafte, wo sich die Dinge in einem
erheblichen Zeitrahmen entfalten. So scheinen dagegen die "Short Run
Exhibitions" nur den Moment zu betonen. Aber es ist eigentlich so, daß sie nur den
Moment ZEIGEN, die Prozesse dahinter handeln wiederum von der Dauer.
Nun ist darin der Auftakt mit meiner Sammlung "Tote
Handschuhe" gemacht. Auf einer großen Baustelle, worauf nicht länger zu verweilen
ist, bei einem Gewässer, das quer durch die Stadt über weite Strecken völlig verborgen
liegt: LINK.
Cut!
Von ganz anderer Dauer ist der Weg der "Jane
Doe", womit eine Kunstfigur gemeint ist, die von einem steirischen Anonymus in die
Welt gesetzt wurde und schon einige Transformationen erfahren hat. So habe ich das Motiv
2003 in einige neue Passagen geschickt: [LINK].
Inzwischen ist, wie man sehen kann, diese Figur in der
Schweiz angekommen. Wo sie in einigen Inszenierungen auftaucht. Einerseits in einem
Tabakladen [LINK].
Andrerseits aber auch (demnächst) im öffentlichen Raum. "mathieu & molicnik" arbeiten
gerade in St. Gallen an "ein heim für jane doe" ...
Cut!
Rund um das Thema "Balkan-Reflex" sind mir die
Teilaspekte etwas diffusiert. Wie war das also nun mit diesem jugoslawischen
Sezessionskrieg, der uns das 20. Jahrhundert in seinem Abschluß markierte? Südslawische
Völker fielen über einander her. Was ebenso zum Auftakt des 20. Jahrhunderts, während
des Ersten Weltkrieges, geschehen war. Ohne ganz offensichtlich in der Zeit dazwischen,
den "Kalten Krieg" einbezogen, Lösungen erfahren zu haben.
Seit dem Rückzug der Osmanen vom "Balkan" haben
sich alle erheblicheren Mächte Europas mit ihren ganz eigenen Interessen in die
Ereignisse dieser Region eingemischt. Das geschieht bis heute, also seit über 100 Jahren.
Hinzu kommt, daß auf dem Balkan Menschen des
Katholizismus, der Orthodoxie und des Islam ihre Heimat haben. Wie schwer sich das
"abendländische Europa" vor allem mit der Orthodoxie und dem Islam tut, muß
wohl kaum betont werden.
An den Konflikten scheint nichts neu. Einer der
markantesten, jener zwischen albanischen und serbischen Leuten im Kosovo, war schon viele
Jahrzehnte davor von Einmischungen bestimmt. Zum Beispiel jener Rußlands, die Milovan
Djilas in seinen "Gesprächen mit Stalin" beschrieben hat.
Es sind also eine ganze Menge an Bruchlinien, Zonen der
Verschiebungen, konfliktträchtigen Bereichen in dem konzentriert, was wir uns unter
"Balkan" vorstellen. Der Anteil unserer eigenen Phantasmen ist dabei erheblich.
Und verstellt leicht die Blicke. Eine meiner Fragen war demnach: Wie hat es begonnen? (Vor
rund einem Jahrzehnt.)
Wissen wir wenigstens die markantesten Ursachen des
jugoslawischen Sezessionskrieges zu nennen? Haben wir wenigstens eine kursorische Ahnung,
was unsere eigenen (außenpolitischen) Anteile an der Eskalation dieses Krieges waren?
Gibt es darüber Debatten, die von mindester Redlichkeit geprägt sind?
Oder erschöpfen sich die Annahmen über all das im
verkürzten Ensemble "Die Serben, Milosevic und Peter Handke"? Mal sehn ...
Im Nachdenken über diese Dinge waren mir zwei weitere
Motive ins Blickfeld geraten. Wovon und durch wen wurden "Wir Kinder des Kalten
Krieges" geprägt? Was hat es mit jenem "Operetten-Österreich" auf sich,
das man als Inszenierung in das "reale Österreich" eingeschoben vorfindet? Was
ist mit diesem Groschenroman-Österreich, das in Wellen über die Realpolitik
hereinschwappt?
Beispiel: Im Frauenmagazin "WOMAN" frönt man dem
Groschenroman-Genre ebenso heftig wie in anderen Gazetten. Dort wird die bürgerliche
Aufsteigerin zur Märchenfigur hochstilisiert:
Wen schert es, daß wir dem Hause Habsburg eine der
größten Katastrophen der Menschheit verdanken, welche man im Bunde mit dem Hause
Hohenzollern 1914 herbeigeführt hat, übrigens unter huldvoller Exponierung des
serbischen Volkes? In der Konsequenz hat Österreich den Adel vor rund 80 Jahren
abgeschafft, die Boulevardpresse wird nicht müde, ihn wieder einzuführen.
Auf dieser Ebene geht es übrigens noch einen Dreh härter,
davon erzähle ich demnächst ... Mein persönlicher "Operetten-Österreicher",
der sich die letzten Wochen mit großem Engagement in mein Privatleben gemischt hat, um
mir und meinen Leuten seine ganz private Operettenpartitur zu erklären, hat inzwischen
gemeint:
"was dem martin krusche noch zun sagen waere, werde
ich ihm sagen, so er mir wider erwarten jemals wieder ueben dem weg laufen solte. aber es
ist besser, er unterlaesst das vornherein ..."
Das knüpft recht charmant an die alten Traditionen der SA
an, die im Namen der Nazi und im Gefühl einer hohen Mission Andersdenkenden gerne auf der
Straße begegnete.
Das Widersprechen, der Dissens, die Praxis des Kontrastes,
bei einer gelassenen Akzeptanz solcher Grundlagen einer Demokratie sind wir Kinder des
Kalten Krieges noch nicht angelangt.
Das prägt natürlich die Färbungen unseres
Balkan-Reflexes. Mir ist ein grundlegendes Sujet in diesem Komplex entfallen. Und durch
ein Stichwort in einem Leserbrief in der "Kronenzeitung" wieder in den Sinn gekommen.
"Itelligenzler" ist in diesem Land nämlich ein Schimpfwort. Gebildete und
geistreiche Menschen, die es verstehen, sich eine Ansicht zu bilden und diese auch zu
formulieren, erregen Verdacht.
[Balkan-Reflex]
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