28. Oktober 2004

Ich denke, ich werde mich ein wenig dem Thema Wunschkennzeichen widmen. Nach der Kuriosität von letzter Woche erscheint mir "G Koma 11" recht erfrischend. Ich war übrigens grade auf dem Weg ins "Momentanspontankoma". Zahnärztliche Behandlung. Füße zur Decke hin, kopfüber am Rande der Panik ... naja, nicht wirklich ... so schlimm.

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Ich hatte vermutet, einschlägiges Personal habe einen vertieften Blick für Nasenlöcher und Kinnpartien. Stimmt nicht. Die Assistentin sagte mir, sie habe einen "Tunnelblick für Zähne" und könne überdies Menschen am Panoramaröntgenbild ihrer Kiefer erkennen. Tja. Ferner erzählte sie mir, daß in ihren Lehrjahren im oststeirischen Weiz ganze Familien, fünf bis sechs Personen über ein komplettes Jahr mit einer gemeinsamen Zahnbürste ausgekommen seien. Die sei immer dann zur Anwendung gelangt, wenn Ostern und Weihnachten ins Haus standen. Und wenn Besuch angekündigt war.

Cut!

Neben einem wachsenden Faible für Wunschkennzeichen verspüre ich auch eines für amüsante Metaphern. Kommentator Georg Hoffmann-Ostenhof legt im aktuellen "profil" offen, daß ihn ein Josef Kern aus Linz als "letztes, marodes Sturmgeschütz der Aufklärung" skizziert habe.

Ich weiß immer noch zu wenig von meinen Landsleuten. Weil ich mich da ratlos fühle. Denn was träumt wohl einer, der meint, "Die Aufklärung ist nichts als der feuchte Traum von Narren gewesen"? Was ist denn der wohl wahrhaftigere Traum jemandes, der sich gewiß NICHT für einen Narren hält? Keiiine Ahnung.

Jedenfalls möchte man dem Herrn ein Taferl Schokolade zukommen lassen, um ihm sein offenbar bitteres Leben etwas zu versüßen. Der schreibt ja auch, laut Hoffmann-Ostenhof, die Aufklärung sei "so tot wir ein Türnagel". Was immer also in seinem Herzen wüten mag, ein Händchen hatter, der Gevatter ... aus Linz. Für Metaphern ...

Cut!

Tja. Aufklärung. Bei all dem heuchlerischen Geraune rund um Türkenstürme und "Werte des christlichen Abendlandes" ... also weiter. Ein paar Takte zu Byzanz, Konstantinopel, Istanbul ...

Lange bevor wir Christenkinder Türkenstürme abzuwehren hatten, so viele waren es ja eigentlich nicht, praktischerweise darf vor allem jener viel bemühte, der von 1683, zu dem Sultan Mehmed IV. dem Großwesir Kara Mustafa in "Belgerad" den Oberbefehl über seine Truppen anvertraute, darf also dieser, huh, es wird Zeit für kürzere Sätze, als Abgesang der einstigen Überlegenheit arabischer / islamischer über die abendländische Kultur betrachtet werden. Kara Mustafa scheiterte und bekam die "seidene Schnur" zugestellt. Bald darauf landete Napoleon in Ägypten ...

Doch DAVOR waren in auffallender Weise WIR die Barbaren. Der so mißtrauisch betrachtete "Orient" war nicht nur "das Islamische". Er war auch Ostrom. Byzanz. Welches kulturell noch das "Imperium Romanum" repräsentierte, da hatten wir Christenkinder nach Völkerwanderung, Barbarenvorfällen, furchterregenden Raubzügen, die als Kreuzzüge Geschichte machten, Pestkrisen und allerhand anderen Ereignissen wohl das meiste von dem verspielt, was man heute gerne als "Werte des Abendlandes" herholt, um sie GEGEN das GESPRÄCH mit Muslimen zu stellen. (Naja, so viel zu kürzeren Sätzen.)

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Historiker Imanuel Geiss schreibt:
"Bis zu seiner Expansion in Übersee war Europa im Vergleich zu den stärker entwickelten Zentren des Alten Orients eher unterentwickelte Peripherie."

Wie sehr wir kulturell vom Orient profitiert haben, habe ich schon am Beispiel der Arbeit des Philosophen Kurt Flasch erwähnt. Im Mittelalter erhielten wir wesentliche Grundlagen der Aufklärung, Grundlagen der Wissenschaftlichkeit, aus der islamischen Kultur. Daß der Islam seinerseits keine Aufklärung erlebt und die Vorteile seiner alten Hochkulturen wieder verloren hat, ist für die Gegenwart gewiß von großer Bedeutung.

Byzanz war mit Sicherheit über Jahrhunderte ein wesentlicher Angelpunkt, von größerer Bedeutung für Europa als die meisten anderen Zentren. Lilie schreibt dazu:
"Solange Konstantinopel stand, stand auch das Reich."

Jenes Reich, jene IDEE von einem Reich, gleich dem alten "Imperium Romanum", das sich die deutschen Kaiser als Legitimationskonzept zurechtgelegt hatten, auf das sich auch Adolf Hitler noch bezog. In seiner Phantasie vom "Dritten Reich" als einem "Tausendjährigen Reich".

Was sich also abendländische Christen und Heiden als Grundlage unserer Kultur, als Hort unserer Werte erträumten, Byzanz war all das, NOCH.

Auch NACH dem Mittelalter waren starke Wechselwirkungen zwischen Morgen- und Abendland Standard. Edgar Hösch, Emeritus der Geschichte von Ost- und Südosteuropa, schreibt:
"In der Neuzeit waren der Sultanshof in Istanbul und das kaiserliche Wien konkurrierende normgebende Instanzen, die politische und gesellschaftliche Leitbilder vorgaben und zu Kulturtransfers mit lokalen Adaptionen anregten."

[Quellen]


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