11. Oktober 2004

Regentag. Hartberg. Tief in der Oststeiermark. Kysela spielt im Schloß U2 ... für mich ein schöner Wiedereinstieg in diese Zonen. Denn ich war dem allen sehr lange fern. Außerdem das erste Rockkonzert für meinen Sohn.

Wie beneide ich die Leute aus der Musik manchmal, daß ihr Tun so entspannt an der Ratio vorbeiführen kann und etwas mit einem macht, das so andere Kanäle nutzt.

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Ja, ich weiß. Niemand hat mich mit vorgehaltener Knarre gezwungen, mich der Literatur zu widmen ...

Cut!

Abendland. Christliche Werte. Die Angst vor Türken. Der Habsburg-Hype. Und Konservative, die vergangenen Zuständen anhängen. Dazu kommen verschreckte Kleinbürger, die den historischen und sozialgeschichtlichen Unfug nachplappern, der gerade wieder salonfähiger wird:

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(Steirerkrone vom 8.10.04)

Woraus sich Retro-Eliten ihre Legitimation aufpolieren. Es funktioniert ein wenig wie selbsterfüllende Prophezeiungen. Es schöpft seine Bilder und Begriffe aus den Quellen rassistischer Diskurse, die im christlichen Abendland eine nicht enden wollende Tradition haben.

Dieser ebenso schäbige wie dumme Leserbrief stammt aus der selben Ausgabe wie das Insert des Hace Strache von der vaterländischen FPÖ, der sich offenbar am Rande eines Nervenzusammenbruches bewegt, daß er annoncierte:

"Tatsache ist, daß die Türkei nicht zu Europa gehört. Weder geografisch, noch kulturell."

Dieser "abendländische Reflex" verschleiert mehr als er deutlich macht. Daß sich orientalische Kulturen von abendlänischen unterscheiden, bestreitet ohnehin niemand. Interessant bleibt dabei: Was ist, was war da an Wechselwirkungen? Demnach: was ist denn das GEMEINSAME des Morgen- und Abendlandes aus dem sich ein Europa schöpft?

Cut!

Wechselwirkungen. Neue Möglichkeiten fallen den Menschen nicht vom Himmel wie das schlechte Wetter. Sie brauchen gewöhnlich Vorbedingungen. Demnach wäre es naiv, sich das Mittelalter als etwas Finsteres vorzustellen.

Philosoph Kurt Flasch beschreibt in seinem Aufsatz "Aufklärung im Mittelalter. Zur Einführung" das Entstehen der Theologie als einen "komplizierten Prozeß der Vermischung spätantiker Philosophie mit biblischen Texten."

Außerdem hatten abendländische Eliten Lösungen für schmerzliche kulturelle Defizite zu finden. Zum Beispiel, Flasch: "Seit etwa 1200 war nicht mehr zu übersehen, daß die Araber bessere Ärzte hervorbrachten als die alten Klosterschulen."

Einige der Lösungsstrategien lagen daher im Entwickeln von verbesserter "Wissenschaftlichkeit", für die sich das "christliche Abendland" einmal mehr "Inputs" von den Muslimen holten.

Christliche Eliten, denen in unseren heutigen Leserbriefspalten die islamische Kultur gerne als INFERIOR gegenübergestellt wird, hatten -- ganz im Gegenteil --, dringende Bedarf aan Nachhilfe aus diesen Regionen.

Flasch erwähnt, die Theologen "wollten eine Wissenschaft, und sie waren gebildet genug zu wissen, daß sie nicht dekretieren konnten, was sie unter Wissenschaft verstanden."

Dazu gab es also VORBEDINGUNGEN, über die man sich nicht hinwegsetzen konnte. Flasch: "Was Wissenschaft sei, das bestimmten antike und arabische Grundregeln."

Was immer sich also vaterländische Schreihälse vorstellen, genau DIESES Europa mit seinen Qualitäten und Werten gibt es nicht trotz, sondern WEGEN seiner über Jahrtausende dauernden Verknüpfungen mit dem Islam.


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