Beograd (9)
An den Mülltonnen sah ich manchmal Menschen, denen
die Bitterkeit sehr harte Konturen ins Gesicht geschnitten hat. Der feine Staub kommt auch
in die Höhe. Legt sich auf dem Balkon ab. Einmal sah ich ein kleines Kind von einem
gegenüber liegenden Balkon heftig winken. Und wußte nicht, ob ich mich gemeint fühlen
sollte. Die Klimaanlagen markieren die Gehsteige mit Kondenswasser-Lacken quer durch die
Stadt. Zemun war ursprünglich ein
eigener Ort und ist eingemeindet worden. Was meint denn eigentlich
"postkommunistisch"? Wir sind andauernd post-irgendwas. Es ist doch sehr wenig
aufschlußreich, wenn man seine Identität an dem deutlich machen möchte, was man einmal
war, was man nicht mehr ist.
Auf der anderen Seite tauchen die merkwürdigen
Gefolgsleute einer "Geister-Nostalgie" auf. Bei mir zuhause. Da gibt es ein
wachsendes Faible für Ikonen und Versatzstücke jenes Kommunismus, den wir gar nicht
erlebt haben. Obwohl oder gerade weil es in meiner Kindheit ganz üblich war, das
Slawische notorisch abzuwerten. Die Sprache habe einen häßlichen Klang, die Kultur sei
vernachlässigbar, die Politik ohnehin verwerflich ... und es bleibt ganz erstaunlich,
daß zwar unsere Leute, Österreicher und Deutsche, als Gesandte der Nazi-Barbaren auf dem
Balkan furchtbar gewütet haben, daß aber bis heute bei uns Assoziationen der Slawen als
Partisanen als "Feinde des Abendlandes" gepflegt werden.
Ganz aussichtslos, daß gelegentlich ein Slawe daran
erinnern mag, wer denn hauptsächlich an den brisanten Schnittstellen das Abendland gegen
die Osmanen abgegrenzt hat. Obwohl das "Prinz Eugen-Lied" noch daran erinnert,
daß die "Festung Belgerad" genau diese Demarkationslinie kenntlich gemacht hat.
Und so begabt der Savoyer als Feldherr gewesen sein mag, das Heer der Habsburger war
notorisch schlecht ausgerüstet, in veraltetem Zustand; woran sich eigentlich bis zum
Ersten Weltkrieg nichts geändert hat. Die Habsburger verstanden sich eben besser aufs
Heiraten.
Und ich höre, daß sei im Selbstbewußtsein Serbiens noch
heute ein gewichtiger Punkt. Die nationalistisch aufgeladene Erinnerung an die Schlacht
auf dem Kosovo Polje, wo man von den Osmanen vernichtend geschlagen worden war, wird als
eine frühe "Verteidigung des Abendlandes" verstanden.
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