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Wo sind die alten Wege, die ich damals ging? Von Gras �berwachsen, von Buschwerk umringt.1


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�berlegungen zur regionalen Identit�t

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Andrea Haberl-Zemljic (5256 Byte)

Von
Andrea
Haberl-Zemljic


Ein Problem?
Schwieriger Begriff
Individuum und Kollektiv
Peripherie und Zentrum
Regionalismus
Handeln im Zeitalter der Telekommunikation
Fu�noten

 

 

 

 

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Da� Regionale Identit�t in aller Munde ist, ist ein Zeichen daf�r, da� sie zum Problem geworden ist. Der inflation�re Gebrauch der Vokabel "Identit�t" allein ist ja schon als Verlustanzeige zu werten.

 

Vorab m�chte ich einige Worte dazu sagen, warum ich nicht statt von "Regionaler Identit�t" von "Heimat" spreche. Beide Begriffe beschreiben ann�hernd dasselbe. Es geht um lokalisierbares und um eine "innere" Struktur. Obwohl es besser ist, mit alten Worten Neues als mit neuen Worten Altes zu sagen, wie Karl Kraus einmal gemeint hat, halte ich es f�r besser, "Heimat" einem anderen Zusammenhang zu �berlassen. Einerseits weil der Begriff historisch belastet ist und andererseits weil zu viel an vielschichtiger Emotionalit�t mitschwingt, um mit ihm auf dieser Ebene arbeiten zu k�nnen. In Anlehnung an die falsche W�rme der Kultur m�chte ich von der falschen W�rme der "Heimat" sprechen und den Begriff im folgenden aussparen.

In aller K�rze etwas zur historischen Entwicklung:2 Um 1840 herum hat noch kaum jemand von Heimat im heutigen Sinn gesprochen. Heimat bezeichnete damals den Heimathof, und wer nicht zur besitzenden Schichte geh�rte, der hatte folglich auch keine Heimat. Erst wohlhabende B�rger verliehen im Lauf des 19. Jahrhunderts dem Begriff "Heimat" jene Sentimentalit�t, die ihm auch heute noch innewohnt. Heimat wurde zum r�ckw�rtsgewandten Begriff von dem, was einem fehlte. Die Heimatbewegung, die um 1890 entstand, mit ihrer antimodernistischen Haltung und der �berh�hung des b�uerlichen Lebens, das ideologisiert wurde, machte "Heimat" zu einem spezifisch l�ndlichen Begriff. Zur Heimatbewegung z�hlte auch die Verachtung des Internationalismus und der Arbeiterbewegung. Mit dem ersten Weltkrieg gesellte sich eine starke deutschnationale Komponente dazu, die w�hrend der NS-Zeit noch verst�rkt wurde. Schlie�lich, in der Nachkriegszeit, wurde und wird Heimat kommerzialisiert und immer mehr zur Kulisse. Angesichts solcher Belastungen ziehe ich es vor, auf den Begriff in diesem Zusammenhang zu verzichten.

Ein Problem?

Da� Regionale Identit�t in aller Munde ist, ist ein Zeichen daf�r, da� sie zum Problem geworden ist. Der inflation�re Gebrauch der Vokabel "Identit�t" allein ist ja schon als Verlustanzeige zu werten.3

Sind wir also im Begriff, regionale Identit�t zu verlieren oder haben wir schon keine mehr? Wissen wir, wor�ber wir sprechen wenn wir von regionaler Identit�t sprechen und sprechen wir �ber dasselbe?

Bei einem so schillernden Begriff ist es n�tzlich, bestimmte Vorausscheidungen zu treffen. Wir sprechen nicht in erster Linie �ber pers�nliche Identit�t (weder als gesellschaftliche Gegebenheit noch als subjektives Problem), sondern �ber einen Teilbereich der sogenannten kollektiven Identit�t. Eine Gruppe von Menschen f�hlt sich aus bestimmten Gr�nden zusammengeh�rig. Unser Teilbereich hei�t regionale Identit�t.

Nichtsdestotrotz werden wir des besseren Verst�ndnisses halber auf einer einfacheren Stufe beginnen, n�mlich mit der pers�nlichen Identit�t.

Davor ist es ratsam, sich vor Augen zu f�hren, da� die Diskussion um pers�nliche Identit�t �berhaupt eine sehr junge Sache ist. Erst in der modernen industriellen und postindustriellen Gesellschaft wird innerhalb bestimmter Schichten pers�nliche Identit�t zu einem Problem, �ber das man nachdenkt, ja mehr noch, das �bersichselbstnachdenken wird sogar f�r bestimmte Schichten der Bev�lkerung (was gemeinhin Mittelschichte genannt wird) zu einer Art Verpflichtung, fast ein Oktroy.

Wir sollten dabei aber nie vergessen, da� auch heute weite Kreise der Bev�lkerung dringende praktische Lebensprobleme zu bew�ltigen haben und �ber sich selbst nicht nachdenken k�nnen. In der Vergangenheit war dieses Verh�ltnis noch viel krasser: Nur ausgew�hlte Repr�sentanten einer ganz d�nnen Oberschichte waren sozusagen zur Reflexion beurlaubt.

Ein solches Verh�ltnis galt auch f�r die alten Hochkulturen. In archaischen Gesellschaften war ein solches Nachdenken �ber pers�nliche Identit�t �berhaupt undenkbar.4

Durch die Folgen der Globalisierung k�nnten wir unter Umst�nden wieder in einen solchen Zustand zur�ckkehren. Wenn n�mlich wahr werden sollte, was uns prophezeit wird, dann wird nur noch ein F�nftel der Gesellschaft regelm��ige Arbeit haben und die �brigen vier F�nftel werden ein Leben mehr oder weniger au�erhalb der gewohnten Kategorien f�hren.

Schopenhauers Antwort auf die Frage nach pers�nlicher Identit�t lautete, da� die Unterschiede in den Schicksalen der Menschen auf drei Grundbestimmungen zur�ckzuf�hren seien:
1. Was einer ist (Pers�nlichkeit)
2. Was einer hat (Eigentum und Besitz)
3. Was einer vorstellt

Er behauptet, da� was einer ist (seine Identit�t) von dem verdeckt und entstellt wird, was einer vorstellt, und was einer ist, ist von dem, was er vorstellt, durch einen gro�en Abstand unterschieden. Wer diesen Abstand vergi�t und sich durch das definiert, was er vorstellt, verliert sich selbst.

Das ist eine sehr traditionsreiche Meinung, die in der Philosophie lange �berlebte. Und das Identit�tsproblem war ja lange in der Philosophie heimisch.5

Bis Sozialpsychologen und Soziologen wie Eric Erikson und George Herbert Mead diesen Zusammenhang in Frage und die Behauptung aufstellten: Jemand ist, was er ist, indem er wird, was er gesellschaftlich anerkannt vorstellt.

Das bedeutet einerseits, da� der Abstand von Wesen und Schein in Frage gestellt, ja verabschiedet wird. Die Schule der symbolischen Interaktionisten also behauptet, da� einer nicht unabh�ngig von anderen sein kann, was er ist, sondern da� er es immer nur in Wechselwirkung mit den anderen wird, indem er sich in den anderen spiegelt. Was sich solcherart herausbildet, das ist Identit�t. Diese Art der Identit�t wird immer in Bezug auf bestimmte Referenzgruppen gebildet, und deshalb gibt es auch mehrere Identit�ten: Das Umfeld eines Kleinkindes unterscheidet sich von dem eines Erwachsenen etc.

Das bedeutet andererseits, da� Identit�t nicht als etwas Statisches angesehen wird, sondern als Proze�, als Balanceakt zwischen pers�nlicher und sozialer Identit�t. Ausbalanciert werden Fremderwartungen, deren Erf�llung der Person Anerkennung bei den Begzugspersonen sichert, und Selbsterwartungen, deren Erf�llung Selbstachtung gew�hrt.

Schwieriger Begriff

Den Sozialwissenschaften gilt die Identit�t als schwieriger Begriff, da er nicht leicht zu operationalisieren, me�bar zu machen ist. In der Tat sind nur einzelne Teilbereiche empirisch me�bar. Dar�ber hinaus ist es ein werthaltiger, vager und oft auch mehrdeutiger Begriff, der noch dazu realdefiniert wird. Das alles macht ihn f�r die Sozialwissenschaften zu einem ziemlich unbrauchbaren Begriff.6

Nichtsdestotrotz ist die Formulierung Hermann Bausingers verst�ndlich, wenn er sagt: "Identit�t ist, auf den Einzelnen bezogen, der Zustand, in dem er seiner selbst gewi� ist, in dem er gelebtes Leben – Vergangenheit – t�tig an die Zukunft kn�pfen vermag, in dem er von den andern, von der Bezugsgruppe oder den Bezugsgruppen voll akzeptiert ist."7

Bei schwierigen Begriffen lohnt es oft, ihr Gegenteil zu betrachten, um sch�rfere Konturen zu erhalten. Wenn die erw�hnte Balance also nicht funktioniert, dann k�nnen pathologische Erscheinungen die Folge sein.

Die Identit�tsdiffusion kann aus �berforderung enstehen und f�hrt zur Aufl�sung bzw. Zersplitterung von Identit�t. Verursacht wird sie durch widerspr�chliche Rollenanspr�che und Lebensziele. Wenn die Ausbildung einer positiven Identit�t mi�lingt und die Aufsplitterung vermieden werden soll, kann es zur Annahme einer negativen Identit�t kommen. Dabei identifiziert sich der oder die Betreffende mit negativen Vorbildern.

Die schlimmste Konsequenz, die einem menschlichen Individuum droht, ist der Verlust des Selbstbildes, des Wissens, wer man ist und wohin man geh�rt.8

Ein Spezialfall aus dem Bereich der kulturellen Identit�t (die ein Teilbereich der sozialen Identit�t ist) ist jener der Anomie: W�chst ein zweisprachig Erzogener in einer Umwelt auf, die der Zweisprachigkeit gegen�ber negativ eingestellt ist und in der die Zweisprachigkeit gegen die Einsprachigkeit ausgespielt wird, gibt es die M�glichkeit, da� diese Person eine Anomie entwickelt: Sie f�hlt sich gegen�ber der Gesellschaft entfremdet und isoliert, akzeptiert deren Werte nicht, ist weniger flexibel zieht sich apathisch zur�ck und verweigert ethnische Kategorien, bestreitet vielleicht sogar die Existenz eines Unterschieds zwischen beiden Kulturen.9

Im Gegensatz zur pers�nlichen Identit�t, wo einer Person von anderen Personen Merkmale zugeschrieben werden, werden im Fall der kollektiven Identit�t einer Gruppe Merkmale zugeschrieben. Von wem? Nun, entweder von Angeh�rigen dieser Gruppe – die meist zu einer Elite geh�ren – oder von Au�enstehenden. Es ist eben ein Unterschied, ob man sagt "wir Oststeirer" oder "die Oststeirer". Davon handelt regionale Identit�t: den Oststeirern werden bestimmte Merkmale zugeschrieben, und diese Oststeirer bilden in diesem Fall eine Gruppe.

Insofern die Oststeiermark eine Region ist, k�nnen wir hier von regionaler Identit�t sprechen.

Die Gruppe der Oststeirer grenzt sich von andere Gruppen ab, indem sie diese abwertet und sich im Unterschied dazu aufwertet. Obwohl sich also regionale Identit�t auf einen Raum bezieht, geht sie darin nicht auf. Regionen wurden und werden eben immer von Menschen aus bestimmten Interessen heraus gemacht.10 Identit�tsstiftende Merkmale in gr��eren Gruppen wie zum Beispiel L�ndern sind auch Erinnerungen an Siege, was ja im Fall der Oststeiermark etwas schwieriger ist. F�r den Raum Radkersburg k�nnen zum Beispiel folgende identit�tsstiftende Ereignisse herangezogen werden.

Es gibt in diesem Raum eine schon traditionelle "Feindschaft"zu den Mureckern, die als in einem Konkurrenzverh�ltnis stehend wahrgenommen werden. Noch heute wird �ber die Verteilung von Beh�rden und Schulen etwa gestritten.

Ein anderes Beispiel w�re der Abwehrkampf vom 4.2.1919, in dessen Verlauf sich Radkersburger Bauern gegen die Besetzung durch den damaligen Staat der S�dslawen erhoben, und der damals eigentlich nicht von Erfolg gekr�nt war, wohl aber extrem identit�tsbildend und abgrenzend wirkte.

Auch der Kampf gegen die T�rken im Radkersburger Raum wird r�ckblickend von der Geschichtsschreibung als von eminenter Bedeutung f�r die Bildung eines Gruppenbewu�tseins betrachtet. Auf Abwehr ausgerichtet war auch der Begriff Grenzland, der ja nicht nur die Tatsache bedeutete, da� jemand im Grenzland lebte, sondern auf die Herausbildung eines Grenzlandbewu�tseins abzielte. Hier kommt der Aspekt des Auserw�hltseins dazu, n�mlich dazu auserw�hlt zu sein, am Vorposten zu stehen und zur "Rettung des Abendlandes" beitragen zu k�nnen.

An diesen Beispielen wird die Funktion von kleinen Regionen, von Lokalgesellschaften deutlich. In ihnen manifestiert sich der Wille zur Selbstabgrenzung und die F�higkeit zur Mobilisierung der Mitglieder zur Verteidigung von kollektiven Interessen gegen�ber Nachbargruppen. Je zentralere Werte eine Gruppe gef�hrdet sind, desto st�rker wird die soziale Koh�sion. Diese geh�rt neben den h�ufigen Binnenkontakten und der territorialen Selbstabgrenzung zu den wesentlichen Merkmalen von Lokalgesellschaften oder Kleinregionen.11 Nat�rlich spielen auch Verwaltungseinheiten eine Rolle, doch ohne Mitwirkung der Betroffenen bilden sich keine Regionen.12

Individuum und Kollektiv

Parallel zur pers�nlichen Identit�t gibt es nat�rlich auch f�r kollektive Identit�ten Krisenzust�nde. Mancherorts wird behauptet, da� sozialer Wandel oder seine Geschwindigkeit automatisch zu Identit�tskrisen f�hre. Dem ist entgegenzusetzen, da� es immer und �berall, auch auf dem Land sozialen Wandel gegeben hat. Vieles spricht daf�r, da� sozialer Wandel nur dann zu Identit�tskrisen f�hrt, wenn diese Balance zwischen pers�nlicher und sozialer Identit�t nachhaltig gest�rt ist. Die Aufl�sung des ganzen Hauses war zum Beispiel so eine einschneidende Ver�nderung im Leben der Oststeirer, die zu gravierenden Ver�nderungen im Alltagsleben f�hrte. Dementsprechend heftig waren auch die Reaktionen der betroffenen Bauern. Im sogenannten Vorauer Bauernrummel machten die Bauern 1931/32 ihrem Zorn Luft.13

Da regionale Identit�t insofern mit dem l�ndlichen Raum zu tun hat, als die Bauern die Haupttr�ger regionalen Bewu�tseins sind, spielt die b�uerliche Bev�lkerung in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Wie andere Berufe auch befinden sich die Bauern heute in einer Identit�tskrise. Der N�hrstand von einst, der f�r das �berleben der �brigen Bev�lkerung sorgte, wird fast �berfl�ssig und verh�lt sich noch dazu umweltsch�digend. Als Indizien f�r eine solche Identit�tskrise gelten der
* R�ckgang der Zahl der Besch�ftigten in der Landwirtschaft (von 39% 1939 auf 5,2% 1995);
* Die Tatsache, da� der l�ndliche Raum von der Verkehrsinfrastruktur ausgeschlossen bleibt;
* Das Abrutschen der minder erfolgreichen Bauern auf der sozialen Leiter;
* Die Zunahme der agrarfernen Bev�lkerung in den D�rfern, die zu einem Wertewandel f�hrt, dem sich auch die Bauern nicht entziehen k�nnen.
* Dazu kommt noch die Abh�ngigkeit von der Politik, der Zwang zur Organisation und der damit verbundene Verlust an Autonomie und Individualit�t.
* Vertragslandwirte werden als technische Betriebsleiter mit vollem Risiko betrachtet.14

Im vorhergehenden ist der Begriff "Region" schon relativ selbstverst�ndlich eingef�hrt worden. Da er der "Identit�t" was Vagheit und Mehrdeutigkeit angeht in nichts nachsteht, sind auch hier Begriffsbestimmungen angebracht.

Eine Region ist eine nach bestimmten Kriterien homogen abgrenzbare r�umliche Einheit. Region kann ein kleiner Raum wie Gleisdorf ebenso sein wie internationale Zusammenschl�sse von Staaten. Regionen k�nnen nach zielbezogenen Kriterien (nach zentralen Orten) oder historisch (nach sprachliche-kulturellen Gemeinsamkeiten) definiert werden.

Im Zuge der �bernahme der EU-Nomenklatur werden als NUTS III-Region nun Radkersburg, Feldbach, F�rstenfeld, Hartberg und Weiz zur Oststeiermark zusammengefa�t. Davor befand sich z.B. Radkersburg im Ost-Grenzgebiet, das durch folgenden M�ngelkatalog definiert wurde:15
* periphere Lage zu den entwickelten Wirtschaftsr�umen und Wirtschaftszentren;
* ung�nstige Erwerbs- und Einkommensverh�ltnisse f�r die berufst�tige Bev�lkerung;
* mangelhafte Versorgung der Bev�lkerung mit Bildungs-, Gesundheits- und sonstigen Folgeeinrichtungen;
* ung�nstige Standortsituation und Lage f�r Investitionen in den Bereichen Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen;
* mangelhafte Verkehrserschlie�ung, ung�nstige Verkehrsbedingungen;
* R�ckgang oder Stagnation der Wohnbev�lkerung;
* �berdurchschnittliche Wanderungsverluste;

Durch einen M�ngelkatolog allein wird sich wohl regionales Bewu�tsein nicht bilden k�nnen, m��te man meinen. Au�erdem f�llt auf, da� sich seit dieser Klassifikation an der tats�chlichen Situation nur wenig ge�ndert hat, wiewohl nun fast zwanzig Jahre dazwischen liegen.

Manche meinen, da� es der Schulabschlu� ist, der dar�ber bestimmt, wer am meisten Regionalbewu�tsein hat: Wer nur die Pflichtschule absolviert habe, w�rde sich eher an die Region gebunden f�hlen als wer eine weiterf�hrende Schule besucht, und derart seinen Horizont erweitert, wie man sagt.

Bei wem Wohn- und Arbeitsplatz zusammenfallen und wer gering qualifiziert ist, der soll ein h�heres Regionalbewu�tsein entwickeln als Menschen mit hoher Qualifikation und Mehrfachwohnsitzen.16 Das Landesbewu�tsein jedenfalls ist in �sterreich dort am h�chsten, wo auch die h�chsten Arbeitslosenzahlen zu finden sind, n�mlich im Burgenland in K�rnten und in der Steiermark. Dabei weisen Menschen mit einem h�heren Bildungs- und Berufsqualifikation ein deutlich geringeres Landesbewu�tsein auf.17 Durch die Zuwanderung agrarferner Bev�lkerungsschichten in letzter Zeit d�rften sich diese Verh�ltnisse im l�ndlichen Raum insofern ver�ndert haben, als nun auch h�her Qualifizierte f�r ein ausgepr�gtes Regionalbewu�tsein in Frage kommen. Genaue empirische Daten daf�r fehlen noch.

Peripherie und Zentrum

In �sterreich ist in der Regel im Landesbewu�tsein das Regional- und Lokalbewu�tsein gegen das m�chtige Wien vereint. Diese traditionell starke Stellung der Bundesl�nder ist ein Resultat der besonderen historischen Entwicklung.18

Da die Steiermark ja zu den �ltesten Bundesl�ndern z�hlt, war in ihrem Fall der Proze� der Landwerdung schon fr�h, n�mlich 1180 mit der Verleihung der Herzogsw�rde an die Markgrafen abgeschlossen. Auf ganz �sterreich bezogen, fand dieser Proze� zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert statt. Sp�ter erweiterte sich die Kriegerkaste um die Stadtb�rger und die Geistlichen, die nun die St�nde bildeten, die eigentlich die L�nder ausmachten. Zum Land "geh�rten" in diesem Sinn nur die St�nde, nicht aber die Masse der Bev�lkerung.

Demgegen�ber sind Staaten weit gr��ere Gebilde, und im heutigen �sterreich setzte dieser Proze� 1192 mit der Herrschaft der Babenberger �ber �sterreich und Steier und mit den Habsburgern und ihren Erwerbungen von K�rnten und Krain (1335) Tirol 1363, Ungarn und B�hmen (1526) ein. Im Zuge dieser Erweiterung des Reiches zeichneten sich die Umrisse eines Gro�staates auf, in dem andere Mechanismen entwickelt werden als im Land. Mit Hilfe dieser Mechanismen wurden immer mehr Menschen mit einem Zugeh�rigkeitsbewu�tsein zum Staat ausgestattet. Nach und nach wurde das gesamte Reich von diesen Penetrationsprozessen durchdrungen.

Erst zu diesem Zeitpunkt bekommt die Dichotomie von Zentrum und Provinz ihre Bedeutung.

Mit der Staatswerdung gewinnt das Zentrum als der Sitz des Hofes immer gr��ere Bedeutung und bindet immer mehr Menschen an sich. Das Zentrum ist meist auch jener Ort, an dem sich das Nationalbewu�tsein orientiert, w�hrend die Bewohner der Provinz an den �lteren Einheiten, den L�ndern h�ngen. Sehr oft wurden Provinzen auch erst gewaltsam zum Staat bekehrt.

Die �sterreichischen Besonderheiten bestehen darin,
* da� die alten L�nder bis Joseph II. die Steuereinhebung besorgten und deshalb unentbehrlich waren.
* da� es drei bzw. vier Residenzen gab, nicht blo� eine (Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg).
* da� es nicht gelang, breite Bev�lkerungsschichten in die Nation einzubinden, da� es also bei der Hofratsnation blieb, in der der Hof, der Adel, die B�rokratie, der Klerus, das Milit�r die Haupttr�ger des Nationalbewu�tseins waren.
* da� die Wirtschaftspolitik das Zentrum Wien beg�nstigte und das Land ausd�nnte.

Als Ergebnis dieser spezifischen Entwicklung besteht ein gro�er Unterschied zwischen dem Nationalbewu�tsein der deutschsprachigen �sterreicher in Wien und in der Provinz. Der politische Deutschnationalismus der Provinz war antiklerikal, anitsemitisch und antislawisch, w�hrend sich die vergleichbare Protestbewegung Wiens in Richtung der Christlichsozialen entwickelte.

Regionalismus

Im Zusammenhang mit dem Schlagwort "Regionale Identit�t" wird oft auch der Begriff "Regionalismus" genannt. Urspr�nglich (das hei�t in den sechziger Jahren) wurde mit Regionalismus eine �bernationale Zusammenarbeit in B�ndnissystemen bezeichnet. Im Lauf der Zeit wurden damit aber auch Bewegungen innerhalb von Nationalstaaten beschrieben, die sich auf ein bestimmtes Territorium eines zentralistischen Nationalstaates beziehen und f�r dieses politische Dezentralisierung, F�deralisierung, Autonomie bis hin zur Unabh�ngigkeit fordern.19 Als L�nder, die vom Regionalismus betroffen sind, werden Belgien, D�nemark, Finnland, Frankreich, Gro�britannien, Italien, Kanada, Norwegen, Schweden, die Schweiz und Spanien genannt. "Die eingesetzten Mittel reichen von parlamentarischer Mitarbeit �ber Demonstrationen, zivilen Ungehorsam bis hin zu terroristischer Gewalt."20 Die Intensit�t dieser Bewegung nahm in der zweiten H�lfte der achtziger Jahre ab, um zu Beginn der neunziger Jahre im Zuge der Aufl�sung der ehemaligen politischen Bl�cke wieder aufzuleben. W�hrend sich das in den L�ndern Ost-Mitteleuropas teilweise als Nationalstaatsbildung vollzieht, reagiert der westeurop�ische Regionalismus auf Prozesse der Globalisierung.

�sterreich ist davon in dem Sinn betroffen, als sich hier als Reaktion auf die Politik der EU ebenfalls Regionen zusammenschlie�en, um zum Beispiel in den Genu� von F�rderungen zu kommen. Von einer Regionalismus-Bewegung im obigen Sinn kann jedoch im Fall von �sterreich nicht gesprochen werden. Wahrscheinlich mu� der Regionalismus-Begriff um diese Bedeutung erweitert werden.

Es gibt einige Interpretationsans�tze zur Erkl�rung des Regionalismus, wenn auch nicht so etwas wie eine Theorie der Regionen. Diese Interpretationsans�tze reichen vom Kampf unterdr�ckter Volksgruppen um gesellschaftliche Rechte bis zur Beschreibung als Ausdruck von Integrationsdefiziten in den Nationalstaaten, als interner Kolonialismus wegen ungleich ablaufender Entwicklungsprozesse bis hin zur Suche nach "Heimat" und �berschaubaren Lebenszusammenh�ngen.21

Handeln im Zeitalter der Telekommunikation

Den Regionalismus beg�nstigende Rahmenbedingungen sind sowohl die d�steren Aussichten f�r den Nationalstaat aufgrund der steigenden internationalen Verflechtungen in Politik und Wirtschaft als auch die zunehmenden Schwierigkeiten des Wohlfahrtsstaates. F�r �sterreich stellt die Regionalpolitik der EU einen bedeutenden Faktor dar, da sich hier im Kampf um F�rderungen Wege der Zusammenarbeit einschleifen, die sich verst�rken und schlie�lich stabilisieren k�nnten.

Als widerst�ndige Entwicklung kann die zunehmende Raumunabh�ngigkeit f�r politisches und soziales Handeln im Zeitalter der Telekommunikation genannt werden. Die Bodenhaftung geht mit den neuen Technologien zunehmend verloren. Allerdings ist mit dieser fehlenden Bodenhaftung auch eine ungeheuer gro�e Chance verbunden, n�mlich die, �ber die eigene "Provinz" hinauszusehen und andere "Provinzen" kennenzulernen. Damit w�rde viel "Provinzialit�t" im schlechten Sinn verloren gehen. Dar�ber hinaus verlieren die traditionellen Regionen �sterreichs zunehmend ihre historische Identit�t. Die einst f�r die Oststeiermark (im alten Sinn, also bis zum Stradener Kogel reichend gemeint) bezeichnenden Strukturen ver�ndern sich durch den Strukturwandel und durch Wanderungsbewegungen. War die Oststeiermark zum Beispiel einst durch eine gro�e Zahl von Kleinbetrieben, durch einen hohen Anteil von landwirtschaftlich Besch�ftigten und durch den Bifangbau gekennzeichnet, so ist das heute nicht mehr der Fall. Auch wenn es gelingen sollte, f�r die neue Oststeiermark so etwas wie Regionalbewu�tsein zu schaffen, wird dieses anders aussehen als das historisch gewachsene. Dazu tragen zum Teil die Wanderungsbewegungen bei, durch die zunehmend agrarferne und nicht durch Generationen hindurch am gleichen Ort ans�ssige Bev�lkerungsschichten in den l�ndlichen Raum ziehen. Diese teilweise auch urban orientierten Menschen bringen ihre Bed�rfnisse (auch kultureller Art) mit und tragen insofern zu einer anderen Art von regionaler Identit�t bei.

Andererseits orientiert sich auch die Wirtschaft zunehmend an der Region und inszeniert Regionalismus. Die Entwicklung von Regionalbewu�tsein wird propagiert, um eine "regional corporate identity" zu schaffen. Das Regional Marketing wird also sicher auch zur Identit�tsbildung beitragen. Eine andere Frage ist dabei allerdings, wie w�nschenswert es ist, davon dominiert zu werden.

Um schlie�lich die Eingangsfrage zu beantworten: Wir sind wohl im Begriff, regionale Identit�t zu verlieren, aber auch gleichzeitig dabei, uns eine neue zu schaffen. Eine Historische Kontinuit�t wird es dabei nur in geringem Ausma� geben.

Feedback: haberl@magnet.at

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Fu�noten:

1) Freie �bersetzung eines slowenisches Volksliedes: Kje so tiste stezice, ki so vcasih bile? Zdaj pa raste grmovje in zelene trave.
2) Vgl. Konrad K�stlin, Hermann Bausinger (Hrg.), Heimat und Identit�t. Probleme regionaler Kultur, Neum�nster 1980, 9-25;
3) Vgl. Rudolf Burger, Die falsche W�rme der Kultur, in: Rudolf Burger, �berf�lle, Interventionen und Traktate, Wien 1991.
4) Vgl. Thomas Luckmann, Pers�nliche Identit�t, Soziale Rolle und Rollendistanz, in: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hrg.), Identit�t, M�nchen 1979, 293-313.
5) Vgl. Odo Marquard, Identit�t: Schwundtelos und Mini-Essenzbemerkungen zur Genealogie einer aktuellen Diskussion, in: Identit�t, A.o., 347-368.
6) Vgl. Hans-J�rgen Philipp, Identit�t – ein problematischer Begriff, in: Identit�tskrisen im l�ndlichen Raum. Begriffskl�rung – Situationsanalyse – Ursachenerforschung, Linz 1987, (=Schriftenreihe f�r Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Bd. 44), 55-65, 65.
7) Vgl. Hermann Bausinger, Heimat und Identit�t, in: Konrad K�stlin, Hermann Bausinger (Hrg.), Heimat und Identit�t. Probleme regionaler Kultur, Neum�nster 1980, 9-25, 9.
8) G�nter Endruweit, Soziologische Thesen zur Identit�tskrise auf dem Lande, in: Identit�tskrisen, 41-53, 43ff.
9) Vgl. Josiane Hamers u.a. (Hrg.), Bilinguality and Bilingualism, New York 1989, 121ff.
10) Vgl. Konrad K�stlin, Die Regionalisierung von Kultur, in: Identit�t und Heimat, Anm.o., 25-38, 25.
11) Vgl. Arnold Niederer, Bestimmungsgr�nde regionaler Identifikationsprozesse, in: Heimat und Identit�t, Anm.o., 147-153. 147.
12) Vgl. Ernst Bruckm�ller, Nation �sterreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung, Wien 1984, 54.
13) Vgl. Karl Kaser: Au�er Rand und Band – Die alte Ordnung bricht zusammen, in: Karl Kaser, Karl Stocker, B�uerliches Leben in der Oststeiermark seit 1848, Bd. II, 1149-159, 154f.
14) Vgl. Endruweit, Identit�tskrise auf dem Lande, 46ff.
15) Vgl. Elisabeth Langer, Raumordnung und Grenzlandf�rderung, in: Alfred Klose, Elisabeth Langer, Gemeinde im Grenzland, Wien 1980, 59-76, 62.
16) Vgl. Ernst Bruckm�ller, Heimatgef�hl-Lokalpatriotismus-Landesbewu�tsein. Regionale Ebenen der Identit�tsbildung in �sterreich, in: Regionale Identit�t 2. Neuberger Gespr�che, Wien, K�ln, Graz 1989, 9-20, 14.
17) Vgl. Bruckm�ller, Anm.o., Die Daten beziehen sich auf eine Umfrage des ORF im Jahr 1985.
18) F�r das Folgende vgl. Ernst Bruckm�ller, “Zentrum” und “Provinz” in der Entwicklung des �sterreichischen Nationalbewu�tseins, in: Regionale Identit�t I, Neuberger Gespr�che, Wien, K�ln, Graz 1989, 27-37.
19) Vgl. Manfred G. Schmidt (Hrg.), Lexikon der Politik, Bd. 3, Die westlichen L�nder, M�nchen 1992, 404ff.
20) Vgl. ebda.
21) Vgl. ebda.

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