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Greta Sinnabells Glieder


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Von Andrea Heinisch-Gl�ck

#12

Sie hat Boregard nicht die ganze Wahrheit gesagt, sie hat wohl gelogen, was sie selten tut, es ist Clarissa viel zu kompliziert, sich verschiedene L�gengeschichten zu merken und sie am richtigen Ort dann richtig weiterzuf�hren. Aber diesmal hat es so kommen m�ssen, sie hat Boregard einfach nichts davon sagen k�nnen, dass Mergin sie heute abholen wird. Dass sie Mergin zu einem der Festwochenkonzerte eingeladen hat, dass auch Greta Sinnabell dabei sein h�tte sollen, dass diese aber verhindert sei. Dass es sie nun aber ganz und gar nicht st�re, allein mit Mergin in das Konzert zu gehen. Dass sie sich sogar darauf freue, dass sie sich sogar schon sehr darauf freue. Sp�testens an diesem Punkt w�re ihr Boregards Blick in die Quere gekommen. Ja, es ist ihr nicht verborgen geblieben – wie sollte es auch –, dass Boregard ganz pl�tzlich Interesse an ihr entwickelt hat. Er saugt sich ja direkt an ihr fest. Dass er Mergins Befinden dabei als Vorwand ben�tzt, macht den Mann f�r sie auch nicht gerade anziehender. Und was ist mit Lisabeth? Sie erinnert sich an Boregards Frau, drei Kinder, ein abgebrochenes Studium. Architektur, Innenarchitektur? Clarissa war ein- oder zweimal mit Mergin bei ihnen gewesen, als Mergin noch mit Boregard zusammen gearbeitet hat. Clarissa erinnert sich an eine etwas nerv�se Frau. Aber nett. Was sich Boregard denkt – er wird �berhaupt nichts denken, dieses Ph�nomen kennt Clarissa bereits von anderen M�nnern. Nein, da war Mergin mit seiner Greta Sinnabell schon etwas anderes. Wahrscheinlich ist es das Beste, dass Mergin aus der Firma ausgestiegen ist. Mergin ist viel aufrechter geworden. �berhaupt in letzter Zeit. Mergin w�rde nie mit so einem EheGeifer in den Mund- und Augenwinkeln herumlaufen. Als Clarissa zuhause ist, ist sie sich v�llig sicher, dass es richtig gewesen war, Boregard ihren MerginAbend zu verheimlichen. Und sie kann es kaum mehr erwarten, dass Mergin kommt. Andererseits muss sie sich noch herrichten, muss die fremden Ger�che abduschen und ein frisches Kleid anziehen. Und sich die Haare frisieren. Und sich ein wenig schminken, schlie�lich soll es ein festlicher Abend werden. Der es dann auch wird. Mergin sieht absolut perfekt aus und benimmt sich auch in dieser neuen Art, mit der er nicht mehr unter Clarissas Arm passt. Mergin ist jetzt jemand, der nie Clarissas kleiner Bruder war. Als sie auf ihren Klappst�hlen sitzen und sich mit geschlossenen Augen in die Musik h�ren, was eine geschwisterliche Angewohnheit ist, ber�hren sich ihre Knie und Clarissa legt ihren Kopf auf Mergins Schulter. Mergin nimmt ihre Hand und f�hrt sie an sich heran, bis sie auf Mergins Brust zu liegen kommt. Er l�sst Clarissas Hand an seinem Oberk�rper hinunter- und hinauffahren. Zum selben Zeitpunkt �ffnen sie ihre Augen genau in die Augen des anderen und schlie�en sie wieder in die Musik hinein und Clarissas Hand bleibt die restliche Zeit auf Mergin liegen.

Ronda l�sst den Hund im Park frei laufen und handelt sich prompt eine Zurechtweisung einer dieser �berbesorgten M�tter ein. Als ob ihr Hund auch nur einer Fliege etwas zuleide tun w�rde. Und als ob so eine Mutter so ein Kind vor allem besch�tzen k�nnte, das sich dem Kind jemals in den Weg stellen wird. Widerwillig nimmt Ronda den Hund an die Leine. Da sitzen sie, aufgef�delt wie bunte Raben auf den Parkb�nken und wackeln mit ihren Schnabelspitzen in die Richtung ihrer Kinder. Scharf�ugig sind sie auf Schaufeln, K�bel, Siebe und nat�rlich auf ihre Kinder im Sand. Helle Sommerkleider ohne Flecken, als ob sie aus dem B�ro k�men. Ronda h�tte auch gern ein Kind gehabt, aber Ilias ist dagegen gewesen. Aber Ilias hat sich geirrt, Ronda w�re nie so wie die da geworden: im B�rokleid auf der Parkbank und das Ende der Welt dort, wo der Kinderfu� gerade aufsetzt. Die ganze sch�ne IliasStimmung ist dahin, aber immerhin hat der Hund nicht nur sein Gesch�ft bereits verrichtet, sondern hat auch schon den halben Park als sein Revier markiert – ein Umstand, der Ronda kurzfristig belustigt -, also macht Ronda kehrt und sie spaziert langsam in Richtung Ausgang. Oh ja, Ilias hat schon eine ganz spezielle Arroganz an den Tag legen k�nnen, wenn sie etwas gewollt hat. Oder etwas gedacht hat. Oder etwas tun wollte. Ilias hat ihr mit einem einzigen seiner auf Ronda zugespitzten Zweifel ihren Wunsch, ihren Gedanken, ihre Absicht so aus dem Kopf haken k�nnen, dass nur noch eine leere RondaH�lle �briggeblieben ist. Mit einem energischen Ruck rei�t Ronda den Hund zur�ck. Er wird noch unter ein Auto kommen, wenn er sich gar so auff�hrt. Nat�rlich, er will in die Fleischhauerei, er will Lienus einen seiner hungrigen Blicke zuwerfen, die sogar durch die Fensterscheibe ihre Wirkung nicht verfehlen, und dann seinen Lohn daf�r erhalten. Warum eigentlich nicht. Lienus ist sicher schon wieder im Gesch�ft und die K�sschenK�sschenGefahr ist dort ja sehr gering. Wenn Lienus wenigstens ein richtiger Fleischhauer w�re. Einer mit kr�ftigen H�nden, die zupacken, wo zuzupacken ist. Der seine Fleischermesser schwingen kann ohne diesen samtigen Kuhblick. Aber sein Fleisch ist gut. Sein biologisch-dynamisches Fleisch schmeckt nicht nur dem Hund, es schmeckt auch Ronda, es hat sogar Ilias geschmeckt. Das Problem ist nur, denkt Ronda, als sie ins Gesch�ft hineingeht, dass Lienus zwar vermutlich biologisch, aber durch und durch undynamisch ist. Trotzdem ist sie entt�uscht, als sie ihn nicht antrifft. Wann der Chef wiederkomme? Die Frau, die Lienus seit einiger Zeit als Hilfskraft eingestellt hat, wei� es nicht.

Am Heimweg humpelt Marigitta. Wenn sie sehr m�de ist, gleicht sie den kleinen Gr��enunterschied ihrer Beine, der auch nach der Operation geblieben ist, nicht mehr aus. Und f�r orthop�dische Schuhe ist sie zu eitel. Die w�rde sie tragen, wenn sie sechzig oder siebzig ist. Angesichts des Zustands, in dem sie nach dem Unfall gewesen war, ist diese kleine Behinderung sowieso ein Nichts. Eben nur merkbar, wenn sie sehr ersch�pft ist. Was heute allerdings zutrifft. Zwar ist ihr, wie sie angenommen hat, Marun nicht vors Gesicht gekommen, aber diese Institutssitzung hat sie ihre ganze Kraft gekostet. Seit sie nicht einmal mehr die eine oder die andere Rauchpause einlegen kann, h�lt sie diese akademisierte GefiederSchau �berhaupt nicht mehr aus. Ein Hin- und HerGeschiebe und Geziehe, ein Aufplustern und LuftAuslassen und ein RedenSchwingen, dass es ihr jetzt noch in den Ohren klingelt. Sie schl�pft aus den Schuhen und neigt ihren Kopf dabei. Als ob da auch nur ein einziger dieser MonsterS�tze wieder herausfallen w�rde! Sie sch�ttelt heftig den Kopf, was aber auch nichts n�tzt. Satz um Satz hat sich wie Bandwurm um Bandwurm bereits in ihr eingeschlungen. Marigitta beschlie�t, ein Bad zu nehmen. Das w�rde sie auf andere Gedanken bringen. Oder noch besser: auf gar keine Gedanken. Der kr�ftig rauschende Wasserstrahl k�ndigt das auch schon an. Und es dampft auch bereits im ganzen Badezimmer, Marigitta badet hei�. Sie ist schon ganz ausgezogen, als sie sich im Spiegel sieht. Sie richtet sich auf, f�hrt sich mit beiden H�nden unter ihre Haare, hebt sie hoch, richtet einen Ellenbogen in die Richtung ihres Spiegelbildes. Sie l�sst die Haare wieder hinunterfallen und streicht sich den Hals entlang, bis sie zu ihren Br�sten kommt. Marigitta umschlie�t sie und spitzt dabei ihre BrustSpitzen. Der Spiegel ist nun schon so beschlagen, dass gar nichts mehr zu sehen ist au�er der Wellenlinie, die Marigitta von links nach rechts �ber die ganze Spiegelbreite gezogen hat, bevor sie in die Badewanne gestiegen ist. Marigitta zieht den warmen WasserDampf tief ein. Der neue Badezusatz wirkt, sie f�hlt sich tats�chlich bald wohlig entspannt. Wenn sie sich nun nicht bald aufrichten m�sste und dabei die ganze kalte Schwerkraft auf sie herabfiele, wenn sie sich dann nicht auch noch abtrocknen und eincremen m�sste, w�re sie vollends zufrieden. Sie wird das diesmal bleiben lassen, sie wird sich wie ein Bandwurm �ber den Badewannenrand schl�ngeln, sich an der BadewannenWand hinunter auf den Boden gleiten lassen und sich dort bis in ihr Bett schl�ngeln, was an solchen Tagen der einzige richtige Ort f�r Marigitta ist. Dann: nichts wie unter die Bettdecke. Das Kopfkissen untergezogen, w�rde sie daliegen und beim Atmen die Luft von innen sp�ren.

 

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