[diskurs]
# 013
[22•2000]

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Zusammenprall der Kulturen.
(
Zentraleuropäische Kolonisten in Brasilien, Argentinien und Paraguay zwischen 1850 und 1930.)

Von Ursula Prutsch

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Über Grenzen zu sprechen heißt [...] immer auch über das zu sprechen, was diesseits und jenseits davon liegt. (Birgit Scharlau)

Ende 1902 unternahm der österreichische Diplomat Leopold von Andrian, der erst kurz zuvor nach Brasilien berufen worden war, eine Dienstreise in den brasilianischen Bundesstaat Espirito Santo, wo sich ab 1857 zahlreiche Tiroler Kolonisten niedergelassen hatten. Das Interesse des Abgesandten der habsburgisch-katholischen Monarchie galt nicht nur der ökonomischen und spirituellen Versorgung seiner Landsleute, sondern auch der autochthonen Bevölkerung, mit der die Kolonisten bereits einige konfliktreiche Auseinandersetzungen gehabt hatten. Seine Brasilien-Kenntnisse bezog der sonst durchwegs humanistisch gebildete Diplomat aus dem Konversationslexikon, das gängige Klischees und Exotismen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über das größte lateinamerikanische Land widerspiegelte. Seinem Reisetagebuch vertraute Leopold von Andrian an, wie sehr er wünsche, während seines Aufenthaltes in den Kolonien doch auch die "wilden Indianer", die noch im Naturzustand lebenden Botocuden, aus der Nähe zu sehen:

Ein Hauptwunsch von mir, dessen Erfüllung ich von dieser Reise erhoffte, hat sich als unrealisierbar herausgestellt. Ich bin am Ufer des Rio Doce, der die Grenze zwischen dem der Civilisation anheimgegebenen Gebiete und dem der Wilden Indianer bildet und kann, obwohl ich im Hause des einzigen Mannes wohne, der mit dem wildesten aller brasil. Stämme, mit den Botocuden, in Verbindung und in Freundschaft steht, doch nicht bis zu ihnen dringen. Vor kurzem noch waren sie nah vom Fluss. Aber mit dem Beginn der Regenzeit hat sich das Wild landeinwärts gezogen, und ihm folgend, ist der ganze Stamm, mit der den Indianern eigenthümlichen Geschwindigkeit, in wenigen Tagen tief in das Innere zurückgewichen, und ich würde etwa 14 Tage opfern müssen, um sie zu erreichen. Einen solchen Ausflug in den Rahmen meiner Dienstreise hinzuzufügen geht nicht, und so ist mir das interessante Schauspiel eines im Naturzustand gebliebenen Bruchtheils Menschheit versagt geblieben. Denn nach der Schilderung des deutschen Kaufmanns Vandecamp stehn diese Botokuden auf einer der niedrigsten Stufen der Civilisation. Sie gehn gar nackt und verfertigen sich keinerlei Geräth und keinerlei Schmuckgegenstände. Ihre einzigen Erzeugnisse scheinen Bogen u. Pfeile, und eine Art Taschen aus Pflanzentheilen geflochten zu sein. Aber nicht nur produciren sie selbst nichts, nein sie kennen auch kaum die Erzeugnisse der Cultur. Als Vandecamp einem Häuptling ein Gewehr gab, glaubte dieser dasselbe ohne Munition gebrauchen zu können. Messer schätzen sie sehr, aber sie versuchen doch nicht deren durch irgend eine Gegenleistung zu erwerben. Geld kennen und nehmen sie nicht. Sie leben vom Fischfang u. von der Jagd u. sollen ausgezeichnet das Wild zubereiten, ohne ein Kochutensil, selbstverständlich. [...] Von ihrer Erscheinung gab mir der Anblick von ein paar hier sesshaft gewordenen Nachkömmlingen eines ausgestorbenen Stammes eine gewisse Vorstellung. Dieselben scheinen mir sowohl der Hautfarbe wie den einzelnen Theilen der Gesichtsbildung nach, weit weniger auffällig verschieden von den Kaukasiern, als die Neger, ja auch die Mongolen. Ein etwa 8jähriger Bub könnte ganz gut für ein Kind slawischer Eltern, für einen kleinen Böhmen etwa ausgegeben werden, wenn auch die Augen etwas Wildes, sehr eigenthümliches hatten.

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Im Gegensatz zum Reisebericht des Mineralogen Wilhelm Ludwig von Eschwege aus dem frühen 19. Jahrhundert, der mit sensationslüsterner Übertreibung das Bild der Botokuden als kannibalistische Monstren und Vampire verbreitet hatte, läßt Andrians Beschreibung eher die Neugier und Faszination am exotischen und heidnischen Fremden erkennen, die eben aus einem katholischen und körperfeindlichen Moralkodex resultierte, in dem Nacktheit verpönt war. Sein Vergleich zwischen Botokuden-Nachkommen und Böhmen verdeutlicht sogar das Bemühen, sich das gänzlich " Andere" vertrauter zu machen. Durch Einordnung in das gängige "Rassenschema" seiner Zeit, fügte er seinem naturhistorischen Wissensschatz ein Mosaiksteinchen hinzu.

Diese begriffliche Konstruktion, den nicht-unterworfenen und nicht-akkulturierten Indianer als "Wilden" zu bezeichnen, den christianisierten hingegen als "zahmen", bildet einen integralen Bestandteil kolonialistischer Ideologie, die den konkreten Umgang mit den betroffenen Völkern prägt. Der "verwildernde Diskurs" des 17. und 18. Jahrhunderts trachtete danach, koloniale Eingriffe der Missionierung moralisch vor einem europäischen Publikum zu rechtfertigen. Diese Argumentationsmodelle veränderten sich im 19. Jahrhundert.

Wer ein negatives Menschenbild entwirft, hat seine Gründe, meinen Jan und Aleida Assmann. Was für Andrian "exotisch" - weil aus der Ferne betrachtet - wirkte und eher dem aufgeklärten Schema des "guten Wilden" entsprach, galt für die Tiroler Kolonisten und für die Staatsregierung von Espirito Santo als "barbarisch". Der Gouverneur der brasilianischen Provinz Santa Catarina, Jo"o José Coutinho sprach um 1850 von den Indios als "de bárbaros que n"o poupam nem mulheres nem crianças".

1932 schrieb Carl Schmitt in der zweiten Auflage seines Buches "Der Begriff des Politischen", daß man alle politischen Ideen danach einteilen könne, ob sie einen "von Natur bösen" oder "von Natur guten" Menschen voraussetzten. Nach Thomas Hobbes sei erst der Staat in der Lage, das Chaos des menschlichen Naturzustandes durch die Beförderung in den Kulturzustand zu beenden. Staat und Kultur (= Zivilisation) sind nach dieser Argumentation identisch; der Konflikt ist damit vorprogrammiert. Denn die autochthone Bevölkerung wurde von den lateinamerikanischen Modernisierungstheoretikern, die Einwanderer als Katalysatoren für die Adaptierung europäischen Fortschrittsdenkens ins Land holten, als rückständig und damit unassimilierbar eingestuft, sie stand der Nationsbildung im Wege. Es galt, die gesellschaftliche Ungleichheit zu legitimieren.

Als oberstes Ziel des aufgeklärten Menschen wurde der Erfolg auf Erden erhoben.

...

(Textauszug!)



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