[diskurs]
# 009
[20•2000]

[diskurs]

[kruschegrondhouse]


Arbeit als Machtinstrument in Lateinamerika

Von Ursula Prutsch

corepage
hilfe

Textauszug!
Den Volltext
können Sie hier
downloaden:
[LINK]
[PORTRAIT]

1. Arbeit im historisch-gesellschaftlichen Kontext

Als in den 70er Jahren Fernreisen finanzierbarer wurden, tönte aus deutschen und österreichischen Radios ein beliebter Schlager, gesungen von einem dunkelhäutigen Exilkubaner mit dem bezeichnenden Namen Roberto Blanco. Der Titel lautete Samba si, trabajo no und drückte europäische Projektionen von Lateinamerika als paradiesischem Urlaubsziel, einem exotischen Ort des Phäakentums, aus. Das Bild ist nicht neu. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wollten einige hundert arbeitslose ehemalige Offiziere und Beamte der österreichisch-ungarischen Monarchie in Brasilien reich werden, "als Herrn und Gebieter über eine große Kaffeeplantage und über Dutzende von Schwarzen", wie sie noch vor der Abreise verkündeten (Prutsch 1996: 60). Einen Monat später wurden sie zur Arbeit in einer Kaffee-Plantage im Staat S"o Paulo verpflichtet. Viele gaben diese bereits nach wenigen Tagen auf, weil sie der schweren Arbeit und den klimatischen Bedingungen nicht gewachsen waren. Die Identitätsprojektionen via Arbeitsamkeit manifestieren sich auch in einem dritten Fall: Nach blutigen Zusammenstößen zwischen polnischen Siedlern und botokudos in Brasilien um 1900 plädierten die deutsche Presse und der österreichisch-ungarische Regierungsvertreter für eine harte Bestrafung der Indios, sei doch das Leben eines arbeitsamen Kolonisten mehr wert als das eines "faulenzenden Indianers"(Der Beobachter 12, 30.1.1901: 2).

Die beiden ersten Beispiele drücken Wunsch-Bilder vom Schlaraffenland Lateinamerika aus, in dem man sich bedienen lasse und an dem man sich bediene; das dritte rechtfertigt "Mission" im Namen des Fortschritts, der "weiß" sei. Die Formen der "Mission", mit der die ökonomischen Interessen jeweils argumentativ verdeckt wurden, veränderten sich zwangsläufig im Laufe von 500 Jahren: in der Kolonialepoche waren es politisch-religiöse, ("Christianisierung", "gerechter Krieg"), im 19. Jahrhundert auch darwinistische und formal-rassistische (kulturelle Überlegenheit, branqueamento); im 20. Jahrhundert kamen neokoloniale Ausbeutungsformen durch die USA, aber auch lateinamerikanische politische Eliten als deren Handlanger hinzu (Chomsky 1995).

Dabei drückte das jeweils vorgebliche Zentrum (Europa, USA) den lateinamerikanischen Gesellschaften in der Überzeugung kultureller Überlegenheit sein Wert- und Normgefüge auf. Es gilt jedoch zu betonen, daß die autochthone Bevölkerung nicht nur Objekt war, sondern auch eine aktive Rolle im Kolonisationsprozeß spielte, in dem sie die Bildung der Kolonialgesellschaften direkt und indirekt beeinflußte (Pietschmann 1994: 207ff.). Die aus der Konfrontation mehrerer Welten resultierenden Kulturkonflikte sind vor allem auch durch völlig divergierende Konzepte von Zeit und Arbeit geprägt. Die Differenz des Zeitbewußtseins der Kolonialherren und desjenigen kolonisierter Völker wurde als "Disziplindefizit" verurteilt. Die Einführung der kolonialen und post-kolonialen Arbeitsgesellschaft - d.h. Landenteignung, Wander-, Lohn- und Zwangsarbeit - "zivilisierte" ganze Völker, zerstörte ihr soziales Gefüge, bzw. vernichtete sie (Bernecker 1995: 21).

Die radikale Veränderung von Zeit, bedingt durch den Wandel von Wirtschaftsmodellen und Arbeitswelten, hat im Neoliberalismus besondere Aktualität gewonnen. Nach Richard Sennett benötigt das gegenwärtig vorherrschende Modell der Beweglichkeit und Kurzfristigkeit "flexible" Menschen im Sinne von Biegsamkeit (wie sie schon Adam Smith thematisierte), ständiger Anpassungsbereitschaft, konsensorientiert und konform. Das Wort "Job" bedeutete im Englischen des 14. Jahrhunderts einen "Klumpen" oder eine "Ladung", die man herumschob (Sennett 1998: 10; vgl. Guéhenno 1994: 111ff.) Die geforderte "Ortlosigkeit" und der Verlust sozialer Sicherheiten, von "Heimat", verändern Identitäten, tradierte Werte wie Kontinuität, Tradition und Beständigkeit. Die Suche nach Arbeit orientiert sich nach den wechselnden Standorten des Kapitals und produziert riesige globale transkontinentale sowie nationale Migrationsströme; diese verursachen die Entvölkerung ländlicher Regionen, den Zuzug in städtische Räume und eine Entwurzelung der Migranten. "Global Cities" wie London, Tokio, S"o Paulo und Mexico City, sind strategisch bedeutende Steuerungszentralen, globale Marktplätze der Informationsökonomien (vgl. Sassen 1996). Subcomandante Marcos, der Vordenker des mexikanischen Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), verglich den Sieg des (flexiblen) Kapitalismus über den Kommunismus als Beginn des "Vierten Weltkrieges" - einer Globalisierung nie zuvor erlebten Ausmaßes. Die "Unvermeidlichkeit des totalen Marktes", der in kein politisches System mehr eingebunden ist, zeitigt totalitäre Auswirkungen auf alle Bereiche menschlichen Lebens. Die Vernetzung von Unternehmen, Gesellschaften und Räumen - auch ehemals rivalisierender Staaten - bewirkt eine wirtschaftliche Entnationalisierung, der die Staaten jedoch mit einer Renationalisierung, mit neuen Grenzziehungen begegnen (Subcomandante Marcos 1997: 91ff.; Parnreiter 1999: 9f.).

...

(Textauszug!)



Den Volltext können Sie
hier downloaden: [LINK]



top | home | core | beitrags-index | feedback
[krusche•grond•house] home | diskussionsforen:
politik | kultur | medien | wissenschaft

kultur.at-flipside | kultur.at-aviso
walter grond | martin krusche | klaus zeyringer