Blatt #174 | KW 28/2021
Alltagsklassiker Juli 21/III
Falls jemand meint, es sei banal, so viel über Autos zu reden,
könnten wir uns auch über antike griechische Tongefäße
unterhalten; vorzugsweise über jene, die man zum Mischen von
Wein und Wasser verwendet hat. Die wurden Krater genannt. (Nur
Barbaren und Trankler haben den Wein damals pur
genossen.)
Oder wir könnten über phönizisches
Glas reden. Oder über die wunderschönen Langboote der
Bronzezeit, von denen Felsritzzeichnungen handeln, die man von
Schweden bis Griechenland finden kann. Oder… Autos. Die werden
natürlich keine Jahrtausende zu erhalten sein. Und schon jetzt
endet eigentlich die Ära uns vertrauter Kraftfahrzeuge, denn was
aktuell gebaut wird, dürfte technisch in 30 Jahren nicht mehr
laufen. Das sagen mir erfahrene Schrauber.
Ich rede sehr gerne über Autos; vor
allem über ihre formale Erscheinung und über Industriedesign vor
dem Hintergrund der Technologiegeschichte. Ein Beispiel: wie
kommt es bloß, daß unter zehn Lincoln Continental, die ich bei
uns je auf der Straße gesehen hab, neun die riesigen Town Cars
aus den 1970ern waren? Überlange Fullsizer, die du bei uns in
keine Parklücke reinkriegst. Fipsige „Opera Windows“ in den
C-Säulen, griechische Tempel als Kühlermasken und ein
Luftwiderstandswert wie eine Scheune.
Na freilich würde es mir manch einer um die Ohren hauen, wenn
ich darauf beharren wollte, daß über Autos ebenso wesentlich zu
reden ist wie über die Arbeiten von Leonardo. Das gäbe eine
lustige Debatte, zu der ich übrigens jederzeit gerüstet bin. Ich
müßte mich gar nicht erst auf Roland Barthes berufen, der die
Deesse von Citroen mit den gotischen Kathedralen verglichen hat.
Wenn ich nun vom Lincoln Continental auf europäische Maße
schwenke, dann finde ich da zum Beispiel den 1973er Opel
Diplomat. Selbe Ära und auf Grazer Straßen eine ziemlich
mächtige Erscheinung, doch neben dem Yank Tank fast schon
moderat. Dann aber! Italianita! Damit wir einen schönen Kontrast
haben; auch farblich.
Ingo Alton trat ein wenig von einem Fuß auf den anderen. Ja,
gelb, das wäre nicht seine erste Wahl gewesen, habe sich aber so
ergeben. Sein „Postler-Fiat“. Kleiner Scherz! Ferrari 360 Modena
Spider. Kam 1999 auf den Markt. Erster Voll-Alu Ferrari
Straßenwagen und , wie Alton anmerkt: „220 PS weniger als
der 599.“ (Kommt also in die Nähe von 300 PS.)
Als
Nebenerwerbs-Postbote sagt er: „Ich hab das Dach immer
offen, damit auch große Pakete leicht eingeworfen werden
können.“ Nein, da soll natürlich nichts reingeworfen
werden. Alton ist übrigens der Hausherr des „Festival
am Schelchenberg“ und folglich im Umgang mit muskulösen
Exoten geübt.
Was hier – diesseits der Hochpreisklasse - vor allem im
Youngtimer-Segment der Alltagsklassiker dominiert, ist ein
üppiges Stück Technologie- und Sozialgeschichte, sehr typisch
für eine Ära, die davor nichts Vergleichbares kannte, die
inzwischen schon ihr „Danach“ erhalten hat, also ganz für sich
steht.
Und darüber gibt es allerhand zu debattieren wie
zu erzählen. Jetzt noch einmal kurz zurück ins Italien der
späten 1970er. Das Design von Ermanno Cressoni, kantig, scharf
geschnitten… Die Alfa Romeo Giulietta.
+)
Saturday Night Cruising, Juli 2021
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