Blatt #170 | KW 24/2021
Was teilen wir einander mit?
Aktuell eines meiner großen Themen: wie und womit kommunizieren
wir im öffentliche Raum? Welche Artefakte dienen uns als Medien?
Was teilen wir einander außer Haus mit? Dabei habe ich als
wesentliche Zeichensysteme im Blick: Architektur, Dresscode,
Automobildesign und diverse Wegmarken.
Mein Dottore, der
als Marketingfachmann dazu allerhand weiß, schrieb mir eben:
„Hallo Martin! Der scheidet die Geister. Rolls Royce Cullinan.
Dieser unförmige Designunfall ist für mich eine der plumpesten
Arten, 315.000,- Euro für ein Auto auszugeben. Genausogut könnt
ich an FIAT Ducato zu einem Businessliner umbauen.
Designtechnisch halt. Gestern (1.6.21) in Wien 1.“ (Norbert
Gall)
Da werden wir jetzt keinen Streit
haben. Demonstratives Verbrennen von Geld ist eine beliebte
Praxis mancher unter den sehr reichen Leuten. Deren aktueller
Geschmack will berücksichtigt werden, die eigenen PR-Konzepte
der Produzenten spielen eine Rolle und sonst noch was. Ergo: der
Royce muß mir ja nicht gefallen. Auf mich kommt es nicht an.
Mit so einer teuren Blockhütte fährt vermutlich niemand ins
Gelände. Geldige Typen, die auf Risiko aus sind, nehmen wohl
eher einen 6x6, der Offroad kann. (Da denke ich natürlich an den
G63 AMG 6x6.) Zwecks eigener Sicherheit muß der Krösus für
die Straße keinen SUV nehmen, denn die Limousinen aus dem Haus
Rolls Royce kommen, wie dieser Phantom,
eh einem Panzer schon sehr nahe.
Dieser SUV ist also Pose. Die darf
kosten. Das muß niemandem gefallen. Und wenn es beim werten
Publikum für Ärger sorgt, erhöht es den Wow-Effekt bei diversen
Auftritten. Daß die Karre nach einem riesigen Diamanten benannt
wurde, paßt eh, denn wer braucht sowas? „Der große Stern von
Afrika“ ist eine Komponente des königlichen Zepters von König
Edward VII., was deutlich macht: das ist eine blutige
Geschichte. (Na gut, dann bin ich jetzt fast beeindruckt.)
Mich interessieren ja vor allem Handwerksleistung,
Ingenieurskönnen und Design. Dabei triggert der Royce als SUV
nun kein Erweckungserlebnis. Ich erwähne es der Vollständigkeit
halber: Alle Welt nennt den Rolls Royce umgangssprachlich
einfach Rolls. Charles Rolls war der Geschäftsmann. Henry Royce
der Ingenieur. Klar? Klar. Darum heißt er bei mir in der
Kurzform Royce.
Ich hab derweil in der Gasse einen Shelby Mustang Super Snake
erwischt. Da gibt es mehr zu schauen. Außerdem stellt der so
zwischen 700 und 800 PS zur Verfügung, was insofern interessant
ist, als man damit auf öffentlichen Straßen entweder selber auf
die Liste der gefährdeten Arten kommt oder andere draufsetzt.
Naja, ich nehme an, die EDV regelt da jetzt allerhand, damit
man die Karre nicht nach wenigen Metern zusammenfaltet. (Ein 720
PS V8 Motor mit Ford Performance Kompressor. Die Super Snake
schnupft die 100 km/h-Marke nach 3,5 Sekunden.)
Als solche Monster noch ohne elektronische Assistenzsysteme
auskommen mußten, waren sie eine kleinen Elite vorbehalten.
Muscle Cars aus der High Performance Nische konnten durchaus
bewirken, daß selbst erfahrene Formel 1-Piloten eine zweite
Fahrt dankend ablehnten.
Oder im Klartext: 700 PS ohne
EDV-Begleitung, das ist eine sehr gefährliche Nische. Da
plaudert niemand, den ich näher kenne, seriös mit;
Roman Hold
vielleicht ausgenommen. Diese Dimension ist für die meisten
kühnen Fahrer nicht bewältigbar und nur ein Dummkopf tut so, als
wär das eh nix.
Dann stehen da in Gleisdorf noch weitere
rund 500 PS hübsch verpackt herum. Vom 911er GT3 heißt es, hier
sei der Verzicht auf die zur sportlichen Fortbewegung nicht
notwendigen Komfortmerkmale betont worden. Paßt! Man kann sich
dann eh zuhause auf der Couch erholen. Also: ich sehe das mit
Interesse, lese die Codes und gehe dann neidlos daran vorüber.
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