Blatt #127 | KW
41/2020
Diese Ära (1906 bis 1914)
Als die Renner-Buben den Estaric im Jahr 1909 in Graz abheben
ließen, war quer durch Europa sehr viel in Bewegung gekommen.
Diese Ära hatte eine Dynamik, von der die Menschen schlicht
überrannt wurden. Hier ein paar markante Beispiele, wie sich das
in der Technik abbildete.
Eine der Sondermarken, die
Österreichs Post heuer (2020) auf den Markt gebracht hat, zeigt
die Voiturette Type A von Laurin & Klement. Der
einstmals größte Kraftfahrzeugproduzent Österreichs baute dieses
Fahrzeug von 1905 bis 1907.
Die zart motorisierrte L&K-Voiturette ("Wägelchen")
Es ist kein Zufall, daß die Puch
Voiturette von 1906, welche sich aktuell im Besitz von Magna
Steyr befindet, diesem Wagen sehr ähnlich sieht. Altmeister Puch
hatte zu jener Zeit nicht bloß den Motorenfachmann Vaclav Pritel
von Laurin & Klement abgeworben, er holte von dort auch den
Oberingenieur Karl Slevogt.
Bei Puch wurden zwischen 1906
und 1914 schon 21 verschiedene Automobiltypen produziert, deren
bekanntestes Modell der Puch Typ VIII wurde, der sogenannten
Alpenwagen. Das heißt, im Einser-Werk waren die Tüftler auf
Hochtouren. (Wir sagen heute Einser-Werk, weil in den 1940er
Jahren das Zweier-Werk in Graz-Thondorf gebaut
wurde.)
Die 1906er Puch Voiturette
Zu den Fachleuten im historischen Betrieb gehörten auch der
Konstrukteur Otto Hieronimus und der Rennfahrer Ferdinand
Lanner, denen einiges vom erheblichen Fortschritt in der
Puch‘schen Kraftfahrzeugproduktion zu verdanken ist.
Im
Jahr 1906 erschien übrigens die erste österreichische
Briefmarke, auf der man ein Automobil sieht. Sie zeigt zum Wert
von 50 Heller (eine halbe Krone) einen Feldpostwagen und ist dem
Kondominium Bosnien-Herzegowina zugeschrieben. Das bedeutet, die
beiden osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina standen ab
dem Berliner Kongress (1878) unter österreichisch-ungarischer
Verwaltung.
Das Stammwerk ("Einser-Werk",
große Ansicht) anno 1915
Es kam 1908 zu einer formalen Annexion jener Provinzen durch
die Habsburger Doppelmonarchie, was einiges von jenem Zündstoff
lieferte, mit dem 1914 der Große Krieg entbrannte. Den
Entwurf zu dieser Briefmarke fertigte übrigens eine prominente
Kraft des österreichischen Kulturgeschehens jener Ära, nämlich
Koloman Moser.
Im Jahr 1907 vergab Graz erstmals Konzessionen
für Autobuslinien. Im Jahr 1908 wurde von der Puchwerke A.G. das
hunderttausendste Fahrrad ausgeliefert und die Produktion ist
auf Flugzeugmotoren ausgeweitet worden.
1906er Briefmarke nach einem Entwurf
von Kolo Moser
Johann Puch war im Grunde kein
bedeutender Konstrukteur. Dafür wußte er vorzügliche Leute zu
gewinnen. Er war ein erstklassiger Unternehmer und sehr
leistungsfähiger Werbefachmann, der dank seiner soliden
handwerklichen Ausbildung diese verschiedenen Kompetenzen klug
zu verbinden wußte.
Puch war überdies ein rastloser
Netzwerker, der den Umgang mit verschiedenen sozialen Schichten
(eigentlich: Ständen) geschickt beherrschte. Damit meine ich, er
verkörperte die Dynamik dieser Ära und er verstand es, diesen
Sog im Lauf der Dinge zu handhaben.
P.S.: Siehe zum Thema Briefmarken auch:
"Fachbuch auf Raten" (Österreichische
Automobilgeschichte in kleinen Bildchen)
+)
Puch Voiturette I +)
Puch Voiturette II
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Ikarier] --
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