Blatt #116 | KW 37/2020

Jochen Rindt III

[Jochen Rindt II] Dieses Gesicht. Dieser Blick. Das ist mir ein ganz vertrautes Motiv. Am 5. September 1970 verlor Jochen Rindt beim Training zum Großen Preis in Monza sein Leben. Ich bin keine Art von Fan, um Sätze wie „Rindt lebt“ rauszuhauen. Er verschwand damals in seiner eigentümlichen Lebendigkeit aus meiner Wahrnehmung, aber dieses Gesicht blieb. Dieser Blick blieb Teil meines emotionalen Inventars.



Ausschnitt eines Fotos von Joost Evers, Anefo, CC BY-SA 3.0 NL

Rindt wurde 28 Jahre alt. Ich bin inzwischen mehr als doppelt so alt geworden. Mir war bisher ein Leben in Fülle erlaubt, das sich Zeit lassen durfte. Es ist dieses vertraute Gefühl, eine emotionale Assoziation mit seinem Gesicht, wodurch ich Rindt als einen Aspekt meiner Identität verstehe.

Mir ist das als eine Zuschreibung von außen völlig klar. Eine Aneignung des Bildes von ihm. Sowieso bin ich ein Rindt-Fan. Aber es ginge mir viel zu weit, ihn als „Popstar der Formel 1“ zu sehen. Das steht im Gegensatz zu meinem persönlichen Rindt-Bild, welches ich mir aus jener Geschichte gezogen hab.



Ein Lotus 72, wie ihn Jochen Rindt gefahren hatte, hier im Grazer Stadtmuseum

Ich bin das Kind barbarischer Leute, die als Täter und Versehrte aus einem großen Krieg gekommen sind. Ich bin das Kind einer brutalisierten Gesellschaft, die sich an aufgeblasenen Figuren, am großspurigen Herumhampeln dieser Kanaillen, an deren Gebrüll und Verbrechen begeistert hatten.

Ich brauchte also dringend Bilder eines Mannes, der ganz unaufgeregt seiner Sache nachging, der sich nicht gebärdete, keine Posen produzierte, nicht laut wurde, sondern bloß höchst eindringlich war. Eindringlich, konzentriert und mit einer Technologie verknüpft, in die wir hineinwuchsen.



Kleine Zeitung, 30. 8. 2020

Die Volksmotorisierung Europas fand im ersten Teil meines Lebens statt. Davor waren etwa Automobile für die meisten Menschen unerschwinglich gewesen. Aber seit es Verbrennungsmotoren gibt, waren Rennfahrer und Flieger gefeierte Heldenfiguren, Sensationen. Wie hätte ich mich damals nicht für diesen gelassenen Kerl begeistern können?

-- Jochen Rindt --

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