Blatt #18 | KW 36/2019

Von den Anfängen III

Was mich eigentlich beschäftigt: kollektive Wissens- und Kulturarbeit als Fundament kultureller Entwicklung. Dabei tun sich gelegentlich kleinen Fallen auf. Wer war zuerst erfolgreich? Wer hat’s erfunden? Ich merke eben, wie leicht man auf diese Schiene kommt, wenn man sein Thema nicht genau im Auge hat.

Die Motorkutsche von Daimler (links) und der Patentwagen von Benz im Maßstab 1:40

Wo ich im vorigen Eintrag betont habe, daß der Benz’sche Patentwagen aus der Fahrradwelt abgeleitet sei, merkte Ferdinand Micha Lanner treffend an: „…aus was denn sonst?“ Die motorisierten Kutschen, wie jene von Daimler, galten für einige Zeit als technische Option der Kraftfahrzeugwelt. Ein Weg, der bald zur Sackgasse wurde. Lanner über Daimler: „Sein ‚Auto‘ ergab sich nur, als er den Motor in eine Kutsche einbaute. Auto im technischen Sinn, leicht fahrbar wie bei Benz, war das eigentlich keines.“

Damit fällt mir nun auf, wie haben da eine semantische Frage und die Fokusfrage. Das kann einem den Blick auf’s ganze Feld verengen, wenn man es unbeachtet läßt. Ende 19. Jahrhundert war ja nicht „Das Auto“ angelegt, sondern eine Reihe ganz unterschiedlicher Typen von Vehikeln, die spätestens zum Ersten Weltkrieg in großer Bandbreite durch die Gegend rollten.

Benz Velo, eine 3.5 hp Dogcart Voiturette (Foto: Birmingham Museums Trust, CC BY-SA 4.0)

Zur Semantik: Lanner kommt aus der Praxis der Automobilbranche und verwendet den Begriff Auto in diesem Sinn; auch in der Geschichtsbetrachtung. So gesehen weist der Patentwagen von Benz natürlich mehr typische Merkmale auf als jedes andere Vehikel aus jener Zeit, das ich kenne.

Allem voran die Praxistauglichkeit, belegt durch Benzens Frau Bertha. Sie absolvierte mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 3 (und den zwei Söhnen Eugen und Richard an Bord) die erste Fernfahrt der Automobilgeschichte; von Mannheim nach Pforzheim und retour. Dabei mußte unterwegs Treibstoff beschafft werden, mußten Service-Handgriffe erfolgen, um das Werkel am Laufen zu halten.

Wagen Nummer 3. Das bedeutet, es gab von diesem Fahrzeugtyp mehrere Generationen und mehrere Einheiten, man kann ihn also auf jeden Fall als erstes Serienfahrzeug (Kleinserie) der Automobilgeschichte betrachten. Formell wird das freilich erst dem vierrädrigen Nachfolgemodell zugeschrieben, das es auf beachtenswerte Stückzahlen brachte.

Der Zweite Marcus-Wagen im Maßstab 1:43

Der Benz Patent-Motorwagen Velo hatte ebenfalls eine sehr filigrane Basis. Ich hab hier schon die Briefmarke mit dem Ford’schen Quadricycle von 1896 gezeigt. Es gab damals auch viele andere Fahrzeuge, die eine erstmals noch bescheidene Motorleistung mit einer Leichtbauweise des Chassis‘ verbanden.

In den Jahren 1894 bis 1901 sollen 1200 Einheiten des Benz Velo entstanden sein, was eine atemberaubende Stückzahl ist. Zum Vergleich, Seper nennt für die Voiturettes aus den Puchwerken im Jahr 1906 fünf Einheiten, 1907 sind es 15, dann begann in Graz die Vierzylinder-Ära. 1908 sind es zehn Fahrzeuge, erst dann geht die Jahresproduktion sanft in die Höhe, ab 1910 erstmals über der Hunderter-Marke. (Zweite Industrielle Revolution, Automatisierungswelle.)

Lanner: „Ein Merkmal des Benz-Wagens war, wie gesagt, das Augenmerk auf ein günstiges Verhältnis zwischen Nutzlast und Eigengewicht. Daraus ergibt sich, daß Kutschen als Vorbild für Benz eher außer Frage standen. Zu schwer, zu schwerfällig. Das ist meiner Meinung nach auch das Manko des Marcus-Wagens. Zu sehr von der Kutsche inspiriert, als ein leichtes Fahrzeug für zwei Personen vor Augen zu haben.“

Der dampfgetriebene Artillerietraktor von Nicholas Cugnot in 1:43

Ich hatte dagegen den Begriff Automobil generell auf pferdelose Kraftfahrzeuge gemünzt und daher den Dampftraktor „Fardier“ von Nicholas Cugnot als erstes taugliches Auto unserer Geschichte betrachtet. Wie erwähnt, vor allem eine semantische Frage.

Was vom Lateinischen her eigentlich eher Ipsomobil genannt werden sollte, nach dem Griechischen ein Autokinet wäre, also ein Selbstbeweger dank Motorkraft, hat demnach sehr deutlich bei Benz erstmals die meisten nützlichen Merkmale in einer Fahrzeugart vereinigt.

Lanner: „Je größer die ungefederten Massen sind, desto größer muß die Stabilität des Rahmens werden. Und damit alles noch schwerer. Das ewige Manko der schnellen Kutschen mit hohen Rädern. Wirklich schnell und leicht waren nur die Einachsigen.“

Wäre noch die Arbeit von Siegfried Marcus zu erwähnen. Es gab mehrmals heftige Debatten, ob denn nun der Zweite Marcus-Wagen falsch datiert worden sei, ob Benz oder Marcus schneller gewesen wären. Diese Debatte ist für mich eher akademischer Art.

Ich halte das Fahrzeug für das einzige Beispiel jener Zeit, bei dem Motorentwicklung und das Entwerfen eines passenden Chassis Hand in Hand gingen. Aber der Wagen blieb ein Unikat, diese Geschichte endete mit technischen Zeichnungen des Dritten Marcus-Wagens. Das bestätigt den Rang von Carl Benz.

+) Mythos Puch VI

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