Wo ich im vorigen Eintrag betont habe, daß der Benz’sche
Patentwagen aus der Fahrradwelt abgeleitet sei, merkte Ferdinand
Micha Lanner treffend an: „…aus was denn sonst?“ Die
motorisierten Kutschen, wie jene von Daimler, galten für einige
Zeit als technische Option der Kraftfahrzeugwelt. Ein Weg, der
bald zur Sackgasse wurde. Lanner über Daimler: „Sein ‚Auto‘
ergab sich nur, als er den Motor in eine Kutsche einbaute. Auto
im technischen Sinn, leicht fahrbar wie bei Benz, war das
eigentlich keines.“
Damit fällt mir nun auf, wie
haben da eine semantische Frage und die Fokusfrage. Das kann
einem den Blick auf’s ganze Feld verengen, wenn man es
unbeachtet läßt. Ende 19. Jahrhundert war ja nicht „Das Auto“
angelegt, sondern eine Reihe ganz unterschiedlicher Typen von
Vehikeln, die spätestens zum Ersten Weltkrieg in großer
Bandbreite durch die Gegend rollten.
Benz Velo, eine 3.5 hp Dogcart Voiturette (Foto: Birmingham Museums Trust, CC BY-SA 4.0)
Zur Semantik: Lanner kommt aus der Praxis der
Automobilbranche und verwendet den Begriff Auto in diesem Sinn;
auch in der Geschichtsbetrachtung. So gesehen weist der
Patentwagen von Benz natürlich mehr typische Merkmale auf als
jedes andere Vehikel aus jener Zeit, das ich kenne.
Allem
voran die Praxistauglichkeit, belegt durch Benzens Frau Bertha.
Sie absolvierte mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 3 (und den
zwei Söhnen Eugen und Richard an Bord) die erste Fernfahrt der
Automobilgeschichte; von Mannheim nach Pforzheim und retour.
Dabei mußte unterwegs Treibstoff beschafft werden, mußten
Service-Handgriffe erfolgen, um das Werkel am Laufen zu halten.
Wagen Nummer 3. Das bedeutet, es gab von diesem Fahrzeugtyp
mehrere Generationen und mehrere Einheiten, man kann ihn also
auf jeden Fall als erstes Serienfahrzeug (Kleinserie) der
Automobilgeschichte betrachten. Formell wird das freilich erst
dem vierrädrigen Nachfolgemodell zugeschrieben, das es auf
beachtenswerte Stückzahlen brachte.
Der Zweite Marcus-Wagen im Maßstab 1:43
Der Benz Patent-Motorwagen Velo hatte ebenfalls eine sehr
filigrane Basis. Ich hab hier schon die Briefmarke mit dem
Ford’schen Quadricycle von 1896 gezeigt. Es gab damals auch
viele andere Fahrzeuge, die eine erstmals noch bescheidene
Motorleistung mit einer Leichtbauweise des Chassis‘ verbanden.
In den Jahren 1894 bis 1901 sollen 1200 Einheiten des Benz
Velo entstanden sein, was eine atemberaubende Stückzahl ist. Zum
Vergleich, Seper nennt für die Voiturettes aus den Puchwerken im
Jahr 1906 fünf Einheiten, 1907 sind es 15, dann begann in Graz
die Vierzylinder-Ära. 1908 sind es zehn Fahrzeuge, erst dann
geht die Jahresproduktion sanft in die Höhe, ab 1910 erstmals
über der Hunderter-Marke. (Zweite Industrielle Revolution,
Automatisierungswelle.)
Lanner: „Ein Merkmal des
Benz-Wagens war, wie gesagt, das Augenmerk auf ein günstiges
Verhältnis zwischen Nutzlast und Eigengewicht. Daraus ergibt
sich, daß Kutschen als Vorbild für Benz eher außer Frage
standen. Zu schwer, zu schwerfällig. Das ist meiner Meinung nach
auch das Manko des Marcus-Wagens. Zu sehr von der Kutsche
inspiriert, als ein leichtes Fahrzeug für zwei Personen vor
Augen zu haben.“
Der dampfgetriebene Artillerietraktor von Nicholas Cugnot in 1:43
Ich hatte dagegen den Begriff Automobil generell auf pferdelose
Kraftfahrzeuge gemünzt und daher den Dampftraktor „Fardier“ von
Nicholas Cugnot als erstes taugliches Auto unserer Geschichte
betrachtet. Wie erwähnt, vor allem eine semantische Frage.
Was vom Lateinischen her eigentlich eher Ipsomobil
genannt werden sollte, nach dem Griechischen ein Autokinet
wäre, also ein Selbstbeweger dank Motorkraft, hat
demnach sehr deutlich bei Benz erstmals die meisten nützlichen
Merkmale in einer Fahrzeugart vereinigt.
Lanner: „Je
größer die ungefederten Massen sind, desto größer muß die
Stabilität des Rahmens werden. Und damit alles noch schwerer.
Das ewige Manko der schnellen Kutschen mit hohen Rädern.
Wirklich schnell und leicht waren nur die Einachsigen.“
Wäre noch die Arbeit von Siegfried Marcus zu erwähnen. Es
gab mehrmals heftige Debatten, ob denn nun der
Zweite
Marcus-Wagen falsch datiert worden sei, ob Benz oder Marcus
schneller gewesen wären. Diese Debatte ist für mich eher
akademischer Art.
Ich halte das Fahrzeug für das einzige
Beispiel jener Zeit, bei dem Motorentwicklung und das Entwerfen
eines passenden Chassis Hand in Hand gingen. Aber der Wagen
blieb ein Unikat, diese Geschichte endete mit technischen
Zeichnungen des Dritten Marcus-Wagens. Das bestätigt den Rang
von Carl Benz.
+)
Mythos
Puch VI