next code: reel / page #13 Ein kleiner Sprung in der Wanderung, deren Beschreibung letztens bis
zur Nagelschmiede in der Wienerstraße geführt hat, nahe dem Lendplatz. (Siehe Seite #9!) In diesem Abschnitt hat man den Mühlgang
längst längst verlassen. Er verläuft weiter westlich, großteils unterirdisch.
Ab der Annenstraße kommt das Gewässer wieder an die
Oberfläche. Ich war da eben erst mit dem Fotografen und Reisenden Emil Gruber im Viertel
unterwegs. Folgt man dem Mühlgang hier ein Stück, erreicht man die Einmündung der
Kernstockgasse.
Wo sich diese wiederum mit der Dreihackengasse trifft, hat
nicht nur der Automobil- Paparazzo in meiner seine Freude an so einem glänzend erhaltenen
C-Kadett aus den 1970er-Jahren. Unter diesem Sonnenschirm kann man die Annehmlichkeiten
des Lokales "Bosporus" genießen.
Was mich daran erinnert, daß wir im Rahmen des "city
upgrades" schon erwogen haben, die "Reise zur Speise" etwas ernster zu
nehmen. Denn was "das Andere" sei, wird gerade über die Speisen aus anderen
Ländern auf höchst unprätentiöse Art erfahrbar.
Hier findet jenes "Leben auf der Straße" statt,
das uns in weiten Bereichen städtischen Lebens verloren gegangen ist. Eine Geselligkeit,
die sich da nicht bloß auf "Schanigärten" der Wirtsleute beschränkt.
Ich bin dort in ein kurioses Gespräch geraten, bei dem ein
Mann, vermutlich ein Serbe (Kuratorin Mirjana Selakov meinte aufgrund seiner Aussprache: "Mein
Landsmensch"), von einer sehr merkwürdigen Annenstraßen-Begebenheit erzählte.
Er betreibt in der Straße ein Schuhgeschäft. Es kommt
dabei vor, daß er auch sonntags geöffnet hat. Da macht er seine Buchhaltung, räumt auf,
und falls sich Kundschaft einstellt, wird sie nicht weggeschickt. Eines Tages bekam er
Besuch von einer Nachbarin, einer Österreicherin, die ihm erklärte, was er tue, sei
gesetzwidrig, sie sei politisch tätig und werde ihn anzeigen, wenn er weiterhin sonntags
sein Geschäft offen halte. Kommentar? Kein Kommentar!
Mein Gang durch das Viertel mit Emil Gruber
brachte mir noch eine weitere Kuriosität ein. Ein alter 680er Steyr mitten in der Stadt
gehört zu den raren Ereignissen. Und die Losung "Billiger geht's nicht",
verbunden mit der Frohbotschaft "es gibt fast alles", hat etwas rührend
Unübertreffliches. Dagegen ist "Geiz ist geil" eine sehr flache Behauptung.
Wir sind übrigens zu einem interessanten
Themenschnittpunkt gekommen. Während ich hier den Orten und Bedingungen von Gemeinschaft
nachgehe (Stichwort: Mahala), hat Emil längst begonnen, sich dem Thema Einsamkeit zu
widmen. Ich halte es für naheliegend, daß diese zwei Kategorien im urbanen Leben
einander bedingen. Was meint: Ich kann eines nicht beschreibbar machen, ohne das andere zu
sehen.
Wir hatten uns auch mit den Motiven von Piazza
und Boulevard als tief "westeuropäisch" fundierte Merkmale des Städtischen zu
beschäftigen. Der Boulevard, so meinte Emil, nicht zuletzt deshalb, weil die Obrigkeit
einst schnell herausfand, man könne Aufständische militärisch leichter in den Griff
bekommen, wenn sie nicht in verwinkelten Seitengassen versickern würden, sondern auf
einer breiten Chaussee gut faßbar wären.
Und die Piazza, so erklärte mir Architekt Andreas Mayer, habe ihr
"Raummaß" vom Platzbedarf der Bürger einer Stadt erhalten, die sich zu
Abstimmungen im öffentlichen Raum zusammenfanden.
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