next code: reel / page #4 Den Architekten Grigor Doytchinov habe ich eingangs schon erwähnt.
Er brachte mich auf die "Mahala". Keine harte Struktur, sondern eher ein
bestimmtes Verhältnis zu den Nachbarn, betonte er. Also eine soziale Kategorie. Eine
Dimension menschlicher Gemeinschaft, vermutlich im dörflichen, schließlich im
städtischen Leben.
Das interessiert mich sehr, weil wir, nach all den Klagen
über "Anonymität", die das Leben in den großen Städten belasten würde, nun
längst auch aus kleinen Städten solche Klagen vernehmen. Zugleich hören wir, daß man
dem Autoverkehr mehr Platz einräumen müsse, damit da und dort das Wohlbefinden und der
Wohlstand sich wieder einstellen könnten. Wir konstatieren, daß private Companies vieles
von dem aufkaufen, was eben noch "öffentlicher Raum" gewesen ist. Das sind
verwirrende Entwicklungen.
Doytchinov erzählte von Dörfern in Bulgarien, wo die
Höfe und die Straßenränder mit Wein überdacht waren (und mancherorts wohl noch sind),
um so Schutz vor der Hitze zu bieten, daß vor den Häusern, straßenseitig, sich kleine
Sitzgelegenheiten befänden. Wohl eine rustikale Form dessen, was wir in unseren Städten
als "Schanigärten" schätzen.
Ich habe bei unserem Projekt "exociti" in
Istanbul schmale Gassen kennengelernt, die von eher niederen Sitzgelegenheiten gesäumt
sind. Man trinkt dort was einem beliebt, Tee vor allem, genießt den Schatten, den die
überragenden Häuser bieten ... Autoverkehr ist da eigentlich nicht vorgesehen, kann aber
vereinzelt vorkommen.
Mir war das ja nicht geheuer, wie einem der Bayrische da
fast über die Füße fuhr und viele Sessel gerückt werden mußten, weil sonst die
Passage zu schmal gewesen wäre. Aber das Dominante in diesen Gassen ist die leibliche
Anwesenheit der Menschen.
Nun, "Mahala" stammt aus dem Türkischen. Ich
habe bei Deniz Gül nachgefragt, eine Künstlerin, mit der ich Aspekte dieser Themen
während unserer Liechtensteiner
Station erörtert habe. Auf meine Frage, ob sie den Begriff kenne, schrieb sie mir:
"yes, there is mahalle. it is like miryana told about the "divan". i know
it is also in india"
Wir schon Grigor betont hatte, es sei keine bestimmte Infrastruktur, sondern ein
bestimmtes Verhalten, erzählte auch Deniz: "it was meaningfull before city life,
local values. it is not a physical but more social level of dividing. its exact
translation is neighborhood."
Mit diesem Wortlaut bin ich dann im Web besser fündig geworden: "Mahalle
(ingilizce: Neighbourhood) kavram olarak yakin komsuluk iliskilerinin kurulabildigi en
küçük sosyal bir yapidir. ..."
Kleiner Scherz! Türkisch werden es die meisten hier nicht schaffen. Es ist eine
englische Version verfügbar: "Mahalle is an Arabic and Turkish word, which
usually translates into "neighborhood". It is an official administrative unit in
many Middle Eastern countries. In the Ottoman Empire the mahalle was the smallest
administrative entity. The mahalle is generally perceived to play an important role in
identity formation, with the local mosque and the local coffee house as the main social
institutions. ..." [Quelle]
Damit treffen wir auf das oben unausgesprochene Stichwort: Nachbarschaft. Was wurde nun
daraus, nachdem in mehreren Abschnitten verschiedene Ebenen "alter sozialer
Bindungen" aufgebrochen wurden?
Wenn wir bisher kaum Anlässe fanden, das konsequent zu durchleuchten, drängt es sich
sich nun mindestens seit den Jahren auf, in welchen sich "Der Staat" merklich
aus vielen sozialen Aufgaben zurückzieht, Mittel streicht, kurz: Seit "Die
Zivilgesellschaft" neu gefordert ist.
Gastgärten sind gewissermaßen Reservate, sind ja auch nur bedingt öffentliche
Räume; hier etwa von "ortlos"-Architektin Andrea Redi belebt. Haben solche
Terrains bestimmte Qualitäten, die wir uns auch generell für "Den öffentlichen
Raum" wünschen würden?
Es wird übrigens noch einiges vom Kaffetrinken zu erzählen sein. Kaffetrinken ist ein
soziales Ritual von erheblicher Kraft. Vermutlich wird auch vom "cupreading" zu
reden sein, vom "Kaffeesudlesen". Aber vorerst möchte ich den auf Seite #2 begonnen Rundgang ein wenig weiterführen.
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