Log #694: Konsortium 18

Zeichensysteme im Lebensraum

Der amerikanische Designer Norman Bel Geddes hat in seinem Buch "Magic Motorways" (1940) Überlegungen zusammengefaßt, was es zur Volks- und Vollmotorisierung Amerikas an strukturellen Neuerungen brauchen würde. Damit meinte er vor allem ein völlig neues Straßennetz quer durch den Kontinent, das den Verkehr flüssiger machen und die Ortschaften gut einbinden könnte, plus die entsprechende Infrastruktur:

"A properly designed highway follows the most direct route that is available from one point to another; it obeys the old geometric axiom that a straight line is the shortest distance between two points. That is a simple, perhaps obvious, statement, and yet if it were really carried out in practice it would completely transform our highway system."

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Aus: "General Motors: Highways and Horizons" (1939)

Wäre danach die Stadt als Maschine zu deuten? Ich fragte Edith Hemmrich und Mark Blaschitz (SPLITTERWERK), welchen Rang diese Metapher (Stadtz als Maschine) in der Architektur allenfalls habe. Zu meiner Überraschung lautete die Antwort: keinen. In der Architektur sei es nicht üblich, die Stadt als Maschine zu deuten, als Maschinerie, als Gegenstand von Kybernetik. "Bestenfalls im Sinn eines Filmes, den du ja kennst", meine Blaschitz.

Fritz Langs "Metropolis" von 1927? "Genau!" Aber das ist ja eher Steampunk. Sehr romantisch. Warum wir derlei Fragen erörtern? Die Stadt als Kommunikationsraum. Wer darf diesen Raum mit welchen Botschaften bespielen? Welche Zeichensysteme finden wir vor? (Das beschäftigt mich nun seit einigen Jahren etwa im Kontext "Wegmarken".)

Wie kommunizieren die unterschiedlich schnellen Verkehrsteilnehmer auf den Straßen, zwischen den Häuserfronten? Das hieß um 1900: Fahrräder, Fuhrwerke, Straßenbahnen und Automobile verzahnten sich mit all jenen, die zu Fuß unterwegs waren. Die Fuhrwerke sind Geschichte, ansonsten hat sich nichts verändert. Es sind die selben alten Konfliktlagen im Ringen um Flächen, freie Fahrt und das Koordinieren der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wahlweise das Überstehen von Kollisionen.

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Post-urban Design, "Whoop to the Duck" (2005), SPLITTERWERK

Ganz anders beim SPLITTERWERK mit Konzepten wie der "Multiinzidenten Hülle", einer hybriden Entwicklung von Gebäuden etc. Die Bewältigung von Raum, die Kommunikation im Raum, da liegen also einige Fragen vor uns. Und die Kunst! Dier Kunst? Ich hab an der jüngeren Vergangenheit nicht gemocht, daß immer mehr Arten von Sozialarbeit als Kunstpraxis ausgegeben wurden. Das halte ich für ein unsinniges Verkleiden, ein Täuschungsgeschäft. Ich kann auch kein Interesse für Kunstwerke aufbringen, die der Agitation dienen und den Menschen oder "der Gesellschaft" etwas beibringen wollen.

Der Kunstbetrieb als Lehranstalt? Die Kunst als soziokulturelle Reparaturwerkstatt? Spielarten der "Protestkunst" finde ich zum Wegrennen. Kunstschaffende, die mich belehren wollen, halte ich meistens für Spießer, die sich ein Mündel suchen, das sie bevormunden können, um sich innerhalb gesellschaftlicher Hierarchien wenigstens der nächst höher angeordneten Formation anzudienen. Ich neige zu Absicht, "Kunst um zu..." ist keine.

Da finde ich mit Blaschitz und Hemmrich viel Konsens. Also stehen wir vor der sehr interessanten Frage, wie man etwa in größeren Kulturprojekten vorgehen kann, Fragen und Themen bearbeiten kann, ohne dieses Vormund-Mündel-Verhältnis zu reproduzieren und ohne ein Kulturprojekt, das der Kunst gewidmet ist, als ein Mittel der Agitation zu nutzen.

Wenn wir aber vor allem einmal beachten, daß die Vierte Industrielle Revolution längst umfassend in Gang ist, das Tempo dieses Zweiten Maschinenzeitalters ungebrochen zunimmt und den Menschen praktisch keine Adaptionsphasen mehr bleiben, in denen sich größere Gesellschafts-Teile mit Innovationen vertraut machen könnten, wird klar, daß wir unsere Koexistenz mit Maschinen und Maschinensystemen eventuell neu deuten sollten.

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"Immer noch Lernen von Las Vegas" (Zur Autoikonographie und figurativen
Architektur der City of Entertainment): Ewald Ulrich (links) und Mark Blachitz, 2016

Dazu wäre ein wichtiger Auftrag, vorerst zu klären, was denn für diese Situation gute Fragen seien. Außerdem werden sich Maschinen, falls ihnen der Sprung zur Selbstwahrnehmung gelingt, vermutlich nicht als Androiden entwickeln, was meint: nach dem Vorbild der Menschen zu menschenartigen Maschinen werden. Warum sollten sie?

Wie Techniker Ewald Ulrich bei unserer Arbeit am Projekt "Fiat Lux" mehrfach betont hat: Sie werden uns voraussichtlich sogar ignorieren, weil sie keinen Grund haben dürften, sich mit uns zu befassen oder an uns Maß zu nehmen. Kurz, die Maschinen  werden Sinnfragen und Daseinszweck nicht an unseren Vorstellungen orientieren, sondern eigenständig entwickeln.

Wo wir nun gerade debattieren, was denn an der Condition humana fundamental sei, vor allem im Kontrast zu Maschinen, dann zählt dazu auf jeden Fall symbolisches Denken, wie es sich etwa in der menschlichen Kunstpraxis ausdrückt. (Zum Vorlauf dieser Debatte siehe den Eintrag von 2016!) Was wäre daraus aktuell zu schließen?

-- [Konsortium 18] [Der Geist des Transports] --


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39•18