Log #692: Kunstsymposion

Denken

Friedhardt Klix meint: "Denken ist eine Form des Erkenntnisgewinns und der Erkenntnisnutzung; es ist etwas Dynamisches, das in der Zeit abläuft." Martin Heidegger leitete einen seiner Vorträge zum Thema so ein: "In das, was Denken heißt, gelangen wir, indem wir selber denken." Was zu bedenken ist, nannte er "das Bedenkliche".

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Wozu über all das nachdenken? Hauptsache, das Denken funktioniert. im Sinne von: es findet statt. Das Wasser ist naß. Der Papst ist katholisch. Das Denken ereignet sich, wenn jemand denkt. Paßt!

Konrad Paul Liessmann reagierte voriges Jahr in der NZZ auf Donald Trumps Wahlsieg mit einem Nachdenken über "Was heisst denken?" Er notierte unter anderem: "Die blosse Meinung ist der natürliche Feind des Gedankens. Deshalb kann Denken auch weh tun."

Das bringt ihn etwa zur Annahme: "Wer denkt, ist grundsätzlich intolerant. Denn Denken bedeutet, an der Triftigkeit von Argumenten, an der Plausibilität von Überzeugungen, an der Vernünftigkeit von Deutungen, an der Überprüfbarkeit von Behauptungen festzuhalten." (Ah! Die Überprüfbarkeit von Behauptungen!) Liessmann begründet seine Ansicht unter anderem mit dem Verweis auf "einen Prozess der kritischen Reflexion und Selbstreflexion, der zuallererst das eigene Denken betrifft – nicht das der anderen."

Von Jean Paul Sartre heißt es, in seinem System gelte das Denken als etwas Subjektives, das in eine andere Subjektivität übertragen wird. Daraus leitete er ab, daß es eine „Objektivität“ nicht geben kann. Das schien mir vor Jahrzehnten klar, als ich über Heisenberg, Popper und die radikalen Konstruktivisten zur Vorstellung von einer "Intersubjektivität" kam. Sie löst die Idee der Objektivität ab, verweist uns auf die Notwendigkeit eines stets neues Verhandelns dessen, was wir für relevant und vorrangig halten.

Es reicht also nicht, daß man behauptet: So ist es, so war es immer schon. Daran gefiel mir vor allem, daß es alte Hierarchien wenigstens gedanklich zerschlug. Kein Despot ist damit in der Lage, sich auf ein Vorrecht zu berufen, das durch irgendeine Gültigkeit oder Wahrheit legitimiert und darin unanfechtbar sei. Diese Belange müssen immer neu zur Debatte stehen.

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Ich frage gelegentlich: "Was tun wir, wenn wir denken, und wie tun wir es?" Es ist stets eine Frage nach Erkenntnismöglichkeiten und nach Legitimation. Was gelten meine Schlußfolgerungen und Annahmen? Das ist ja vor allem im Fall von Dissens mit anderen Menschen eine brisante Frage, vorzugsweise nicht im Sinn von "Wer hat jetzt recht?", sondern eher im Sinn von "Wie soll es jetzt weitergehen?"

Bei Wikipedia wird der Artikel zum Thema Denken so eingeleitet: "Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen. Bewusst werden dabei meist nur die Endprodukte des Denkens, nicht die Denkprozesse, die sie hervorbringen."

Das sagt mir zu, weil es die inneren Vorgänge betont und explizit "alle Vorgänge" erwähnt, die zu Ergebnissen des Denkens führen können. Ich habe mir schon vor etlicher Zeit angewöhnt, die Sache so zusammenzufassen: "Ich denke in Worten, Bildern und Emotionen." Das hat mir schon mehrfach die Frage eingebracht: "Sind Emotionen denn eigentlich Denken?"

Ich halte sie für jenen Beitrag, den der Körper zum Denken leistet und ohne den gute Ergebnisse aus Denkprozessen für mich gar nicht vorstellbar sind. Dazu kommt, die körperliche Reaktion auf ein Denkergebnis, wie es sich als Emotion zeigt, erlebe ich mehr als maßgeblich beim Bewerten der Ergebnisse. Also: das Fleisch denkt mit.

Bei Wikipedia wird dann getrennt, was ich als integralen Bestandteil des Denkens bewerte: "Denken kann auf einem Einfall basieren, spontan durch Gefühle, Situationen, Sinneseindrücke oder Personen ausgelöst werden, oder es wird abstrakt-konstruktiv entwickelt." Dazu gesellt sich ein anderer Beitrag: "Kognition ist die von einem verhaltenssteuernden System ausgeführte Umgestaltung von Informationen."

Dort heißt es übrigens zum Stichwort Denken und zu Aspekten der "Bauartbedingtheit" von kognitiver Leistungsfähigkeit bezüglich einiger Schwächen: "Das Arbeitsgedächtnis, in dem die geistige Verarbeitung von Informationen stattfindet, hat im Regelfall eher eine kleinere Kapazität im Verhältnis zu den anderen Formen des Gedächtnisses."

Daraus könnte man schließen, das Denken muß permanent betrieben werden, weil einem sonst -- mangels Arbeitsgedächtnis und anderer Ausstattungsdetails -- zu leicht verloren geht, was man schon erarbeitet hat.

Ich bleibe in diesen Zusammenhängen vorerst bei meiner Auffassung:
"Ich denke in Worten, Bildern und Emotionen."

Das beschäftigt mich auch in Hinsicht auf unser heuriges Kunstsymposion und das zweite Set, das nun formiert werden soll; siehe: [link] Da geht es um Positionen in der Kunst, um Verfahrensweisen, um Strategien der Kunst, also auch um die Bedingungen all dessen.

Dazu habe ich am 31. August 2018 auf Facebook folgendes deponiert: "frage an das musik-völkchen: ich denke in worten, bildern und emotionen, aber nicht in tönen, obwohl das ein sehr mächtiger code ist: ich meine: rezeption, reflexion, schlußfolgerungen finden in mir über diese codes statt. kommt bei euch im kognitionsbereich die musik als code dazu?"

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Die Reaktionen waren für mich überraschend. Darunter eine starke Tendenz, das Denken als etwas Rationales, als ein auf Vernunft und Sprache gestützten Tun, zu deuten, welches einer ganzen Reihe von wichtigen Prozessen, etwa dem Schöpferischen, im Weg stünde. So schrieb zum Beispiel Musiker Alfred Lang: "Denken ist eine vom Verstand gelenkte subjektive Aktion. Eine emotionale und spirituelle Kunstform wie Musik setzt wesentlich mehr voraus."

Musiker Alex Deutsch betonte unter anderem: "Der Denkaufwand oder die intellektuelle Qualität und Quantität des Denkens hinter einem kreativen Schaffensprozess ist vollkommen unabhängig bis irrelevant von dessen künstlerischer Qualität und dem kreativen Resultat."

Ich war bisher der Ansicht, die Kunst und ihre Praxisformen seien seit weit über sechzigtausend Jahren eine Frucht des symbolischen Denkens, das der Mensch entwickelt hat. Demnach sei unser Denken zwangsläufig, weil ganz wesentlich symbolischer Art, nicht bloß rational, linear, sprachgestützt, sondern auch mit anderen als Sprachcodes in Gebrauch. (Bilder? Emotionen? Töne?)

Nun erlebe ich seit geraumer Zeit in diesem Europa mit seinem andauernden Rechtsruck zweierlei: Das (kritische) Denken wird angefochten. Die Kunst wird angefochten. Ich sehe darin gute Gründe, das bei unserem Kunstsymposion zum Thema zu machen.

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --


coreresethome
36•18