Log #688: Wegmarken Eichkögl in der Oststeiermark wird gerne als "Klein-Mariazell"
beworben, was ich etwas kühn finde, da die Mariazeller Basilika mit der Magna
Mater Austriae in jeder Hinsicht eine völlig andere Dimension hat. Das belegt dann
unter anderem auch der Hochaltar nach einem Entwurf des Fischer von Erlach. Es
scheint mir daher, daß nicht bloß die physische, sondern auch die spirituelle und
kulturgeschichtliche Dimension beider Orte kaum in einem Atemzug Platz zu haben.
Aber gerade wegen dieser Diskrepanz finde ich es
interessant, nach den möglichen Intentionen zu fragen. Aus welchen Motiven assoziiert
jemand einen kleinen Ort mit diesem exponierten Zentrum österreichischer Spiritualität?
Welche soziokulturellen Eigenheiten unserer Region äußern sich in solchen Querverweisen?
In der Kirche von Eichkögl fiel mir diese
Christus-Darstellung auf, die ich bisher bloß als billige Massenware kannte. Gefällige
Reproduktionen einer Arbeit, welche ich einem kommerziellen Anbieter zugetraut hatte, der
mit so einem kunstgeschichtlich vollkommen unerheblichen Gemälde Volksfrömmigkeit
bedient. Ich war vor allem über den massiven Bilderrahmen erstaunt, von dem dieses Bild
über Gebührt aufgewertet wird. Man findet es übrigens auch an anderen Orten.
Erst kürzlich besuchte ich Burgau und Neudau an der
steirischen Grenzen zum Burgenland. Diese Dörfer sind durch einen historischen Sonderfall
der Textilindustrie gekennzeichnet, welcher als Firma Borckenstein in Neudau
heute noch besteht. Das geht auf eine Fabrik des Grafen Batthyanny zurück, der England
noch vor Erzherzog Johann besucht hatte, um technische Neuerungen kennenzulernen.
Batthyanny ließ in Burgau Ende des 18. Jahrhunderts die Erste Industrielle Revolution
beginnen; und zwar mit einigen nach Österreich geschmuggelten Maschinen aus England.
Siehe dazu: [link]
Zu meiner Überraschung fand ich bei diesem Besuch das
nämliche Christusbild wieder. Es schien mir ein anschauliches Beispiel für derlei
Einsickern trivialer Werke in jene Räume, die historisch von ganz anderen ästhetischen
Kategorien geprägt sind. Das interessiert mich deshalb besonders, weil ich seit einigen
Jahren daran arbeite, die Berührungspunkte, Schnittstellen, Überlappungen zwischen Volkskultur,
Popkultur und Gegenwartskunst näher zu betrachten.
Dabei geht es um Fragen wie: Was bezieht sich aus
langjährigen ästhetischen Erfahrungen? Was wirft eine Massenkultur per
Unterhaltungsindustrie in unser aller Leben? Was sind Kategorien der Kunst? Welche
ästhetischen Konzepte tauchen inzwischen auf, berühren und vermischen sich womöglich?
(Ästhetik kommt vom griechischen Aisthesis = Wahrnehmung.)
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, Pfarrer Gerhard Hörting
einige dieser Fragen vorzulegen; mit der Bitte versehen, er möge einen ausführlicheren
Dialog erwägen, da sich rund um unser Thema und Teilprojekt "Wegmarken"
viele Aspekte auftun, die sich mit den bei uns schon verfügbaren Kompetenzen nicht
hinreichend bearbeiten lassen. Bei diesem Gespräch zeigte sich umgehend, wie notwendig
solche Kontakte mit weiteren sachkundigen Menschen sind.
Hörting, hier links im Bild, konnte mir die Quelle des
oben gezeigten Christusbildes nennen. Er äußerte sich nicht weiter darüber, sehr im
Gegensatz zu einigen anderen Werken, über die wir uns angeregt unterhielten, woraus ich
schließe, daß er diese bunte Kuriosität nicht für besonders erwähnenswert hält.
Es ist eine Arbeit der Ordensfrau Faustyna Kowalska.
Verschiedene Quellen besagen, sie habe sich der Mystik verschrieben, habe ein Leben voller
Visionen und Offenbarungen geführt. Das wird mit einem Tagebuch unterlegt, welches sie
angeblich "auf Anraten ihres Beichtvaters und auf Jesu persönliche Bitte" hin
verfaßt habe. (Man beachte den außergewöhnlich hochstehenden Auftraggeber!) Im Internet
gibt es etliche Passagen dieses Dokuments in deutscher Übersetzung.
Darin heißt es an einer Stelle explizit: "Nach
einer Weile sagte Jesus zu mir: ‘Male ein Bild nach der Zeichnung, die du siehst, mit
der Unterschrift: ‘Jesus ich vertraue auf Dich’! Ich wünsche, dass dieses Bild
verehrt wird, zuerst in eurer Kapelle, dann auf der ganzen Welt." (Die Quelle
als PDF-Datei.)
Mit scheint freilich, man muß kein Theologe sein, um das
für eine merkwürdige Nachricht zu halten. In Christi Namen sollte demnach ein Bild von
ihm hergestellt, verbreitet und vor allem verehrt werden? Ein Bild Jesu
als Gegenstand der Verehrung? Das bekomme ich mit keiner mir vertrauten Darstellung des
Jesus von Nazareth in Deckung und halte es für dubios.
Enghausener Kreuz (Foto: Didi43,
Creative Commons)
Hörting verwies mich im weiteren Gespräch auf eine
grundlegend andere Arbeit, die ich atemberaubend finde: das Enghausener Kreuz. Es
gilt als das älteste Monumentalkreuz, von dem wir wissen, wurde inzwischen auf
das Ende des 9. Jahrhunderts datiert, existiert also seit über einem Jahrtausend. Damit
ist sehr deutlich ein großer Bogen markiert, innerhalb dessen sich das symbolische Denken
der Menschen höchst kontrastreich ausdrückt.
Das uns umgebende System der Klein- und Flurdenkmäler
ergibt zugleich ein System der Kulturdenkmäler, wodurch sich Strömungen
unterschiedlicher Zeiten und Auffassungen zeigen. Das schließt übrigens ganz speziell
auch Friedhöfe ein, führt zu recht staunenswerten Impressionen, mit denen wir uns
befassen.
-- [Wegmarken] [Ich
bin eine Geschichte] --
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