Log #684: Ich bin eine Geschichte Als die Industrielle Revolution ausbrach
Das Projekt "Ich bin eine Geschichte" soll regionales
Geschehen und so manches Lokalereignis in einem weit größeren Zusammenhang erkennbar
werden lassen. (Vor allem auch in der Tiefe unserer Geschichte.)
Das Werk in Neudau, in der
Nachbarschaft von Burgau
Von der Kleinregion Gleisdorf sind es knapp 40
Kilometer, um die Grenze zum Burgenland zu erreichen. Beim Ort Burgau bildet die Lafnitz
einen geschichtsträchtigen Grenzfluß. Nahe Burgau befindet sich die Gemeinde Neudau mit
dem Firmengelände der Borckenstein GmbH. Ein Textilbetrieb mit Stammwerk in
Burgau, seit einigen Jahren in italienischen Händen.
Die Betriebsgeschichte reicht bis 1789 zurück. Graf Karl
Batthyány (Herrschaft Burgau) diente als österreichischer Diplomat in England und besaß
daher Kenntnis von den neuen Anwendungsbereichen jener Dampfmaschinen, die James Watt
optimiert hatte. So kamen Energieaufwand (Heizmaterial) und Energieausbeute
(Maschinenkraft) endlich in ein attraktives Verhältnis zueinander, wodurch sich die Welt
verändert hat.
Vormaliges Ledigenheim beim Werk in
Neudau
Mechanische Spinnmaschinen (Spinning Jenny)
ergaben die erste Erschütterung der damaligen Arbeitswelt, mechanische Webstühle
vertieften die Konfliktlagen. Batthyány nahm viel Geld in die Hand, ließ eine
Spinnmaschine und zwei Strickmaschinen nach Wien schmuggeln. Sie gelten als erste
Grundausstattung des Betriebs in Burgau. Die Werksgeschichte führt, wie man sehen kann,
bis in die Gegenwart.
Diese Erste Industrielle Revolution bedeutete eine
Mechanisierung unzähliger Fertigungsbereiche. Bald nach dem Engagement des Karl
Batthyány reiste Erzherzog Johann von Österreich mehrmals nach England, um sich die
technischen Innovationen zeigen zu lassen. (England war damals die führende
Industrienation der Welt.) Von den Fahrten in den Jahren 1815/1816 und seinem Besuch bei
James Watt hat er detaillierte Aufzeichnungen hinterlassen.
Rund hundert Jahre später ging die Zweite Industrielle
Revolution los. Sie hat heute ihr prominentestes steirisches Denkmal in einer alten
Halle im Grazer Stammwerk von Johann Puch. Dieser Bau war ursprünglich etwa doppelt so
lang. Heute ist dort das Johann Puch Museum Graz untergebracht.
Die letzte authentische Halle von
Johann Puchs Stammwerk
Zwischen 1910 und 1913 veränderte Altmeister Puch sein
Werk laufend. Es kamen Automaten und Halbautomaten auf, mit denen es möglich wurde,
einzelne Komponenten, wie etwa Zahnräder oder Wellen, in großer Stückzahl herzustellen.
Damit stiegen die Möglichkeiten, Kraftfahrzeuge dank des Baus von mehr Einheiten in
Richtung günstigerer Preise zu entwickeln.
Dieser Umbruch brachte bei uns damals zwar noch keine
Fließbänder hervor, legte es aber nahe, die Produktion entlang ihres Ablaufes räumlich
anzuordnen. Deshalb die lange, hohe Halle, wodurch die Arbeitskräfte eine viel
großzügiger gehaltene, hellere Situation erlebten. Außerdem stieg mit diesen
Automatisierungsschritten auch der Bedarf an Facharbeitern. Eine Anforderung, die
Batthyány unterschätzt hatte. Er mußte seinen Betrieb 1808 wegen akuten
Facharbeitermangels zusperren.
Johann Puch entging diesem Problem, indem er eigene
Lehrwerkstätten einrichtete, in denen junge Leute ausgebildet wurden, bevor sie in die
Produktion gingen. Damit wäre das Wesen der Zweiten Industriellen Revolution
skizziert. Die Erhöhung der Stückzahlen durch Automatisierungsschritte, ermöglichte im
Verkauf Preissenkungen, ließ so eine Erweiterung des potentiellen Kundenkreises zu.
Darauf mußte das Bildungswesen reagieren.
Johann Puchs Vermächtnis aus der
Zweiten Industriellen Revolution
Ich finde es sehr reizvoll, all diese Orte zu besuchen, an
denen sich festmachen läßt, was ich gerne mit "Weltgeschichte berührt
Regionalgeschichte" betone. Es macht deutlich, daß die Provinz schon früher
nie nur provinziell war, selbst wenn das Landeszentrum bis heute daran festhält,
Kräfte und Ressourcen aus seiner Peripherie an sich zu ziehen.
Damit will ich überdies sagen, wir können in der
Steiermark vieles zeigen, anschaulich machen, was uns verstehen hilft, wie wir nun seit
rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution leben. Siehe zu diesem Thema
auch: "Industrielle Revolutionen" (Ein kleiner Überblick)
Ehe sich die Digitalisierung als unsere Dritte
Industrielle Revolution einstellte, erlebten wir eine Massenkultur, die alle
denkbaren Phänomene von Automatisierung und Anhebung der Produktionszahlen durchspielte.
Das war zum Teil eben auch Thema in unserer Pop-Konferenz.
Das bedeutet, dieser kleine Rückblick auf die ersten technischen Revolutionen bildet ein
Stück nützlicher Hintergrundfolie für die kulturellen Betrachtungen, mit denen wir
befaßt sind. Wir finden bisher für all das markante Beispiele in der Steiermark.
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