Log #685: Ich bin eine Geschichte

"In den Verlagen ist die große Sorge eingekehrt, vor allem in den kulturell renommierten. Einige Entscheidungen lassen gar auf Panik schließen." Das klingt sehr beunruhigend, auch wenn ich nicht beunruhigt bin.

klaus01.jpg (15691 Byte)

Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer

Also gleich noch eins drauf: "Der Börsenverein des deutschen Buchhandels veröffentlichte kürzlich Zahlen und Analysen zur Misere. Seit 2012 ist das Lesepublikum um 6,4 Millionen geschrumpft. Bislang zeitigte der Absturz nur geringfügige Auswirkungen auf den Gesamtumsatz, da er zwar bei den 40- bis 50-Jährigen um 37 Prozent zurückgegangen ist, aber die über 50 Jahre alten Menschen mehr und teurere Werke erstehen. Schlimmer: Die junge Generation bleibt Büchern fern."

Derlei Nachrichten lieferte Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer in einem Beitrag für den Standard: [Quelle] Was denn nun das Schlimmere sei, dieses veränderte Kommunikationsverhalten unserer Kinder in einer veränderten medialen und informationellen Umwelt, wirft einige Probleme auf und eignet sich als Vorhang, um einiges zu verschleiern.

Zum Beispiel unser eigenes Verhalten, also das der Eltern und Großeltern, die in diesen Umbrüchen der Vierten Industriellen Revolution kulturell allerhand aufgegeben haben. Zum Beispiel diese von uns generierte Verschnöselung des Kulturbetriebs, der inzwischen hier in der Provinz mehr an Kultur-Simulationen kennt, denn konsequente Basisarbeit, die a) in Diskursen standhalten könnte und b) ihrerseits (öffentliche) Diskurse triggern würde.

log685a.jpg (28083 Byte)

Buchmacher Jörg Klauber

"Wenn eine Gesellschaft die Darstellung komplexer Verhältnisse erschwert, läuft sie auf das Schwarz/Weiß-Denken hinaus." konstatierte Zeyringer. Kennen wir! Illustriert unsere Bundesregierung in weiten Bereichen. Findet sich so auch im regionalen Kulturgeschehen, irritiert mich selbst in meinem eigenen Milieu längst nicht mehr.

Wem sollte ich noch ausrichten, was Zeyringer beklagt? Nämlich: "Erfolgreicher Populismus ist der Triumph der Simplifizierung. Unser Bildungssystem und unsere Medienentwicklung fördern ihn, indem sie auf Mephisto komm raus auf Vereinfachungen setzen und auf Quoten." Drauf gepfiffen! Ich brauche keinen 99. Problemkatalog, ich hab zu tun. Nein, wir haben zu tun.

Als ich mich eben wieder mit dem Buchmacher Jörg Klauber traf, um mögliche Vorhaben mit ihm zu bereden, schienen wir uns einig zu sein: Die Literarität einer ganzen Landesbevölkerung ist ein junges Phänomen. Eben noch waren die meisten Menschen "Illiterati".

books004.jpg (30277 Byte)

Es mußte hier gelegentlich schon erzählt werden, daß die "Volksliterarisierung" nicht mit den Werken Goethes herbeigeführt wurde, sondern mit trivialen Stoffen, mit Zeitungsromanen und Groschenheften. Apropos Groschenhefte! Ich hatte kürzlich in meiner Facebook-Bücherecke die Reclam-Hefte erwähnt, so auch andere Paperbacks, die eine bedeutende Rolle entwickelten, um den Menschen preiswerte Büchlein mit relevanter Literatur verfügbar zu machen. Siehe dazu: [link] Apropos Rolle! Der Rotationsdruck war dabei wichtig, um hohe Auflagen mit günstigen Mitteln zu realisieren.

Apropos Rotationsdruck. Die legendäre Linotype, mit der man seinerzeit die Satzarbeit für dieses Feld der großen Auflagen gemacht hat, kenne ich noch aus dem Einsatz im Zeitungswesen, wie das Ende der 1970er Jahre lief. Eine atemberaubende Maschine.

log685b.jpg (29914 Byte)

Linotype im Freilichtmuseum Vorau

Im Freilichtmuseum von Vorau kann man sich eine Lino anschauen. Sie hat quasi die Setzkästen und Winkelhaken abgelöst. Über die Tastatur werden einzelne Matritzen abgerufen, welche rasselnd Zeile um Zeile bilden. Daneben wird ein Bleibarren verkocht. So lassen sich dann von den Matritzenzeilen Zeilenblöcke abgießen, aus denen man einen Druckstock zusammensetzen kann, mit dem gedruckt wird.

Unsere Biographien sind von solchen Momenten durchwirkt; bis hin zu jenen Jahren, da eine Flut von ausrangierten Setzkästen in den Geschäften auftauchten und in den Wohnzimmern Österreichs an die Wände geschraubt wurden, um darin Nippes aufzubewahren, auszustellen. Die Nachfrage war einige Zeit so erheblich, daß diverse Möbelhäuser sogar Quasi-Setzkästen anfertigen ließen und billig auf den Markt schmissen.

log685c.jpg (26123 Byte)

Bleilettern im Winkelhaken des Setzers

Ich bin mit Klauber übereingekommen, daß wir uns etwas verstärkt um das Medium Buch annehmen werden. Nicht als Einstimmung in die kulturpessimistischen Alarmmeldungen, die einen Untergang des Buches an die Wand zeichnen, sondern um jene Nischen zu betonen, in denen Bücher seit jeher gedeihen, auch wenn ein teilweise völlig übehitzter Markt, der stellenweise ein völlig bescheuerter Markt ist, nun erkennbar absackt. Das hat für uns keine wesentliche Bedeutung.

-- [Das 2018er Kunstsymposion] [Wegmarken] --


coreresethome
30•18