Log #670: Ich bin eine Geschichte

Der Tag endete mit einer äußerst anregenden Besprechung in Wolfgruben, am Rande der Wechselstraße (B 54). Informatiker Hermann Maurer hat vom Internet und von Netzkultur berufsbedingt eine Menge Ahnung; auch von der möglichen Mensch-Maschinen- Kommunikation. Er ist seit Jahrzehnten damit befaßt, international tätig, hat dafür einige Grundlagen geschaffen.

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Mit Maurer erörterte ich unter anderem Fragen zeitgemäßer Netzkultur. Wir sind uns darin einig, daß die reale soziale Begegnung das vorrangige Kernereignis ist, jegliche Internetstützung in menschlicher Gemeinschaft nur die Erweiterung dieser Situation. Ein Verhältnis, das die letzten Jahre schlicht gekippt ist.

Die aktuelle Situation mit den billigen, niedrigschwelligen Zugängen, welche über breite Pfade in Social Media-Anwendungen wie Facebook, Twitter und Youtube etc. führen, fordern uns heraus, nicht bloß dafür passende Medienkompetenzen zu entwickelt, sondern auch abseits dieser Online-Dienste eigentständige Formen der Netzkultur zu entwickeln und zu etablieren. Dafür ist unser Projektraum "Dorf 4.0" eine ganz konkrete "Werkstatt" mit ihren Anordnungen und Vorhaben im analogen Raum.

Vor meinem Treffen mit Maurer war ich jenen Samstag mit Ursula Glaeser (Kulturbüro Stainz) auf einem weiteren Abschnitt unserer Tour durch die Region unterwegs, was uns unter anderem zu Margrit De Colle (Vom Hügel) brachte. De Colle ist eine Soziologin, die als Professional in die Landwirtschaft gewechselt hat und dabei ein zunehmendes kulturelles Engagement pflegt.

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Ursula Glaeser (links) und Margrit De Colle

Darin sieht Glaeser etliche Anknüpfungspunkte, weil sie etwa mit Künstlerin Michaela Bruckmüller zusammenarbeitet, die sich in einem Teil ihres Werkes intensiv mit Pflanzen befaßt; siehe dazu: "Bruckmüller" (Ein Samstag im Februar).

Wir waren vor diesem Besuch des Hügels Vom Hügel erst in Eichkögel, um uns anzusehen, was da in Neobarock und daher mit reichlich Gold etabliert ist. Eine interessante Anordnung von Volksfrömmigkeit und ökonomischem Erfolg, was sich in etwas merkwürdigen Zwischentönen äußert, die den Gästen in der Kirche deponiert wurden.

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Eichkögel als "Klein Mariazell"

Daß man sich an diesem Wallfahrtsort fast schon lauthals mit der Basilika Mariazell assoziiert und das in der Öffentlichkeitsarbeit mit der Formulierung "Klein Mariazell" kräftig betont, ist als Ausdruck einer PR-Strategie kaum zu verkennen. Es scheint mir mit einer Nachfolge Christi nicht ganz bündig vereinbar, sich so kühn auf das Trittbrett eines der bedeutendsten "Gnadenorte" Europas zu schwingen.

Da hatten wir eine Woche davor in Straden und selbst in Bad Gleichenberg wesentlich puristischere Aspekte entdeckt; siehe: [link] Auch der Tabor von Weiz, den wir zwei Wochen davor besucht hatten, beeindruckt vergleichsweise durch Zurückhaltung in den Codes.

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Der Weizer Tabor

Ein Hauptgrund für diese unsere Touren liegt neuerdings im Projekt "Wegmarken", das sich derzeit in einer Entwicklungsphase befindet. Wir befassen uns nun schon gut zwei Jahre mit Klein- und Flurdenkmälern, die wir als die vorindustrielle Form einer Info-Sphäre verstehen, die uns Menschen im öffentlichen Raum umgibt; und zwar bis in unsere Gegenwart in hoher Dichte.

Hermann Maurer hat mir diese Deutung bestätigt. Das zeigt ein paar sehr interessante Schnittpunkte zu unserer aktuellen technologiegestürzten Info-Sphäre, mit der wir längst ganz selbstverständlich leben. Dabei ist uns überdies aufgefallen, daß sich im Bereich visueller Codes bei den alten Wegmarken starke Berührungspunkte zwischen Volkskultur und Popkultur entdecken lassen.

In derlei Zusammenhängen wird es eventuell sehr spannend, Margrit De Colle zu befragen, woher sie die visuellen Codes für ihre Arbeiten an pflanzlichen Ensembles bezieht und welcher kulturelle Kontext da allenfalls bemerkt werden kann.

Nun aber zurück zu meinem Meeting mit Maurer. Das hat nämlich auch mit unserem Auftakt zum Projekt "Ich bin eine Geschichte" zu tun. Wir hatten in der GARAGE vor nun 30 Jahren, also im Jahr 1988, ein Buch publiziert, das Hugo Zötsch "Meine Zettel" nannte. Ein Mann ohne Attitüde, ohne Seitenblicke auf den Literaturbetrieb, erhob seine Stimme, erzählte völlig unverfälscht in seinen Worten, wie er die Welt sieht und erlebt.

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Da dieses Buch heute nur mehr in Antiquariaten zu finden ist, wird es Maurer digitalisieren lassen, damit wir es im Austria-Forum einsehbar machen können. Es ist ein kraftvoller Beleg für diese Option, sich selbst als eine Geschichte zu begreifen, die erzählt werden kann, genauer: die man selbst erzählen kann. Das müssen ja nicht immer gleich Bücher sein. Mitunter sagen schon einige Sätze, woruf es ankommt.

-- [Ich bin eine Geschichte] --


coreresethome
22•18