Log #650: Die Quest III Ich bin mir selbst gelegentlich ein Rätsel. Zwangsläufig. Ob der
Komplexität, in die ich mich stets neu stürze und in die ich andere zu verwickeln suche.
Aber es läßt sich nur so und nicht anders machen. Im vorigen
Eintrag, der dem 2018er Kunstsymposion gewidmet war, hab ich auf meine kleine
Korrespondenz mit Mark Blaschitz vom Kollektiv SPLITTERWERK hingewiesen. Dort war auch Gerald Gigler
erwähnt, mit dem mich eine lange Geschichte der Debatten über Wissens- und Kulturarbeit
in der Provinz verbindet.
Winfried Lehmann
Dazu kam mittlerweile ein Arbeitsgespräch, das sich auf
jenes Aprilfestival bezog, wofür Winfried Lehmann verantwortlich zeichnet, davor
schon ein Treffen mit dem Typographen und Buchgestalter Ekke Wolf. Wie das nun im ersten
Quartal dieses Jahres zur Wirkung kommen dürfte, ist in einem kleinen Text
zusammengefaßt, den man im Austria-Forum nachlesen kann, denn da findet sich nun
"Eine Linie durch verschiedene Terrains".
Ich werde kommenden März im Project Space des SPLITTERWERKS
zu Gast sein: "Edith Hemmrich and Mark Blaschitz will give their current and very
personal insight into their world with a selection of both new and established positions
of their local and international environment."
Das ist schon Anlaß zur Konzentration auf ein Teilthema,
mit dem ich mich dann im April auf Schloß Freiberg einfinden werde. Daß unsere
Betrachtungen im Neolithikum ansetzen, ergibt sich aus dem Zusammenhang jener
fulminanten Verbreitung des symbolischen Denkens, die damals unsere Spezies auf
neue Bahnen brachte. (Wie ich hier schon skizziert habe, das betraf unsere besten und
unsere übelsten Seiten.)
Gegen Ende dieser Ära haben wir uns die Metallurgie
erschlossen, haben begonnen, mit Kupfer zu arbeiten, schließlich mit Bronze und Eisen. Es
reicht für unsere aktuelle Arbeit völlig, wenn wir zu all dem einen Zeitraum von
zehntausend Jahren annehmen, damit uns eine grobe Orientierung in der Zeit gelingt.
Edith Hemmrich & Mark Blaschitz
So läßt sich die Ära, mit der wir uns näher befassen,
an zwei mythischen Figuren festmachen: Prometheus der Feuerbringer und Hephaistos
der Schmied. Damit sind grundlegende Motive berührt: die Beherrschung des Feuers und die
Entwicklung von Technik. In Daedalus und Ikarus haben wir die beiden
Richtungen angezeigt, die seither begangen werden. Daedalus bringt diese Dinge voran,
Ikarus geht darüber hinaus, um unter Dreingabe seines Lebens die Grenzen des Machbaren zu
markieren und Unglück zu stiften.
Kleiner Einschub: Vater Daedalus und Sohn Ikarus wurden auf
Kreta im Labyrinth des Minotaurus gefangen gehalten. Eine Strafe dafür, daß
Daedalus dem Helden Theseus die Verwendung des Ariadnefadens erläutert
hatte, mit dessen Hilfe Theseus das Labyrinth bewältigen konnte.
Es ist eine wunderschöne Geschichte, wie menschlicher
Geist zu Problemlösungen führt, mit denen sich selbst von den Göttern initiiertes
Unglück überwinden läßt; um uns mit Ikarus auch jenen Hitzkopf vorzuführen, der in
aller Euphorie bei der Nutzung solcher Möglichkeiten sein Leben wegwirft.
Dazu paßt ein jüngeres Motiv aus der christlichen
Mythologie. Kain, der Ackerbauer, erschlägt Abel, den Hirten. Damit ist
eine grundlegende Konfliktlage des Neolithikum angedeutet, wo sich hier zwischen
Ackerbauern und dort zwichen Jägern und Sammlern beziehungsweise Hirtenomanden Konflikte
auftaten, die mit großer Gewalttätigkeit ausgrtragen wuren.
Es fällt nicht besonders schwer, daß wir uns innerhalb
dieser Skizze menschlicher Eigenheiten auch gegenwärtig wiederfinden. Prometheus, der
selbst übermenschlich scheinende Aufgaben nicht scheut. Hephaistos, der Ideen in
greifbare Lösungen übersetzt. Theseus, der nicht aufgibt, sich aus großer Gefahr zu
befreien. Daedalus, der als Problemlöser Reflexion und Aktion produktiv beieinander
hält. Ikarus, der aus all dem keinen weiteren Nutzen ziehen kann, als beim Zugriff auf
all das in einer großen Geste zu Tode zu stürzen. Schließlich Kain und Abel, die
einander son fremd geworden sind, daß einer den anderen totschlägt.
Da überrascht dann natürlich nicht, daß all diese
menschlichen Möglichkeiten als Ausdruck symbolischen Denkens -- befeuert von Emotionen --
seit der Antike in diesen zwei verwandten Formen in Erscheinung treten:
1. als Artes liberales (Freie Künste) und
2. Artes mechanicae (Praktische Künste).
Auch wenn wir die Beudetungszuschreibungen über die Jahrtausende stets in Bewegung sehen,
also auch stets neu verhandeln müssen, bleibt doch diese Grundsituation durchgängig,
egal, wie wir die zwei Felder der Kunst und der Kunstfertigkeit gerade inhaltlich
gewichten. Das sind Zusammenhänge, in denen ich auszuloten versuche, wo derzeit Volkskultur,
Popkultur und Gegenwartskunst lebendige und lebhafte Schnittstellen haben,
zeigen.
Michaela Bruckmüller in der
Akademie Graz (Foto: Ursula Glaeser)
Apropos Schnittstellen. Während sich das verdichtet, ist
Ursula Glaeser vom Kulturbüro Stainz mit ihren aktuellen Vorhaben in einer
nächsten Ebene angelangt. Während ich diesen Text verfasse, dürften sie und Künstlerin
Michaela Bruckmüller gerade das Frühstück beginnen, nachdem sie am Vortag Bruckmüllers
Ausstellung in der Akademie Graz aufgebaut haben (Wie ich vermuten darf, mit
Unterstützung von Astrid Kury.)
Siehe dazu: "…sollst
sanft in meinen Armen schlafen… oder das dualistische System der toxischen Flora"!
Damit erweitert Glaeser nicht nur ihre bisherige Praxis der "Walking
Conference", das ergibt auch eine Verknüpfung mit dem GISAlab, wo nun
Glaeser und Kury mit Mirjana Peitler-Selakov eine Zusammenarbeit begonnen haben; siehe: [link]
So ist ein Feld beschreibbar, wo inspirierte Menschen
einerseits ihre eigenständigen Vorhaben realisieren, wo sich andererseits
Berührungspunkte auftun, an denen Themen und Überlegungen auf andere Felder umschlagen.
Das sind Zonen eines geistigen Lebens, die das kulturelle Klima einer Region ausmachen, wo
die Kultur nicht zur Magd des Marketings gemacht wird, sondern dem gewidmet bleibt, was
uns symbolisches Denken seit einigen Jahrtausenden ermöglicht: An nächste Klarheiten zu
arbeiten und dabei intensive Wahrnehmungserfahrungen zu sammeln, was eine wichtige
Grundlage der Reflexion ist. Ohne all das wären wir als Spezies längst erledigt, was
jenen zu denken geben sollte, die gerne großspurig raushauen: "Wozu brauchen wir
Kunst?"
Die Antwort liegt allein schon darin, daß uns die
Evolution dieses Potential seit rund zehntausend Jahren erhalten hat; jene Evolution, die
nichts Bestimmtes plant, sondern bloß herumprobiert, was einer Spezies nützt, um dabei
alles zu verwerfen, was sich nicht bewährt.
-- [Die Quest III] --
core | reset | home
8•18 |