Log #649: Kunstsymposion Ich schrieb eben in einer kleinen Korrespondenz mit Mark Blaschitz
vom Kollektiv SPLITTERWERK:
"denkräume, möglichkeitsräume. da müßte man ja fast in kategorien der
architektur drüber reden". Das hat gesessen! Seine Antwort: "in der
architektur(sprache) sind das leider seit jahrzehnten vollkommen verbrannte
begriffe..." Seit Jahrzehnten! Na, da bin ich ja wunderbar auf Stand
;-)
Es wäre nun nicht das erste Mal, daß ich mich in so einer
Diskrepanz zum Stand der laufenden Diskurse bei den SPITTERWERKERN befinde. Oder
aber: In verschiedenen Milieus herrschen unterschiedliche Jargons vor. Es ist dann sehr
interessant, welche Kontraste sich bei allfälligen Schnittpunkten der Begriffe ergeben.
Ich setze als bekannt voraus, daß ich in solchen Fragen
etwas pedantisch bin. Als Lyriker
hab ich mich daran gewöhnt, daß in manchen Gefügen jedes Wort zählt, auch an welcher
Stelle es in einer Äußerung vorkommt. Im Alltagsdiskurs geht es weniger streng her, aber
ich muß auf einem Aspekt bestehen: Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon
wir reden.
Jüngst haben Edith Hemmrich und Mark Blaschitz in ihrem
Grazer Project Space eine Ausstellung mit Arbeiten von Sir Peter Cook mitten im
Aufbau eingefroren, weil die Situation einer kippenden Kommunikation ihnen plötzlich
keine andere Option mehr empfahl. Siehe dazu den Eintrag vom 25. Oktober 2017!
Hier schimmert für mich ein unendlich
wichtiges Detail von Kunstpraxis und Kulturarbeit durch. Das Ringen um
Folgerichtigkeit im Prozeßhaften. Wir arbeiten in hohem Ausmaß mit immateriellen
Gütern, mit Inhalten des Denkens. Wer da auf Folgerichtigkeit verzichtet, dann auch auf
Konsequenz, löst die ganze Arbeit in Dunst auf.
Der Vollständigkeit halber sei
angemerkt: Dieses Prinzip nimmt keinerlei Schaden vom Irrtum, vom Irrweg. Auch darin zeigt
sich ja im besten Fall Folgerichtigkeit, die einem Prozeß nützen kann. Man braucht dann
bloß die Position aufzugeben, die das Ergebnis des unbrauchbaren Weges ist und wird im
günstigsten Fall dabei klüger geworden sein.
Ich staune noch gelegentlich, wie vielen Menschen das
überhaupt nicht klar zu sein scheint. Das ist meine einzig brauchbare Erklärung, warum
so oft interessante Prozesse in eine hohle Geste übergehen, um schließlich eine
Simulation zu ergeben, etwas Behauptetes, das keiner Überprüfung standhält.
Ich denke, wer in seinem Tun keine Irrtümer erkennen
läßt, diskreditiert die geleistete Arbeit oder legt mindestens offen, daß es an
adäquaten Denkprozessen gefehlt hat. Ich hatte gerade erst Gelegenheit, einige solcher
Aspekte mit Gerald Gigler zu erörtern, der im Landesdienst tätig ist und mit dem ich vor
Jahren eine mögliche Implementierung von Agenda der Kunst und Kultur in das EU-Programm LEADER
debattiert hab, da gab es das Programm LEADER Kultur noch längst nicht. Siehe
dazu eine Notiz von 2006, in der kurioserweise beide vorkommen, Blaschitz und Gigler: [link]
Ich war bei dieser jüngsten Erörterung auch
zu einer Schilderung Giglers gelangt, wie er in Frankreich die Höhlenmalereien von Cro-
Magnon-Menschen bestaunt hatte, Äußerungen, welchen Eindruck ihm diese uralten
Werke gemacht haben. Das betrifft die Jungsteinzeit,
die mich inzwischen immer wieder stark beschäftigt, die Ära der Neolithischen
Revolution. Siehe dazu etwa meine Notizen zu Schletz bei Asparn an der Zaya und zu
den offenbar völlig neuen Gewaltexzessen jener Zeit: [link] Es war also eine
Zeit, in der Menschen das symbolische Denken energisch voranbrachten. |
Cro-Magnon-Schädel
(Foto: 120, GNU Licence) |
Was wir als Kunst
kennen, ist die Frucht solcher Prozesse. Die erschreckende Fähigkeit des Menschen,
Lebewesen zu foltern, offenbar auch. Vielleicht darf ich beides nennen, um die
Bedeutung einer Wertschätzung für Folgerichtigkeit zu unterstreichen. Wenig
überraschend, daß ich mit Gigler auch zu erörtern hatte, was die Tendenz zur Simulation
von a) Kompetenzen und b) Arbeitsergebnissen im Gemeinwesen bewirkt. Wenn ich es milde
beurteile, würde ich es für eine Entlastungsstrategie halten, um in der Begegnung mit
der Welt eine Komplexitätsreduktion zu schaffen und sich weniger fürchten zu müssen, wo
man auf Unbegreifliches stößt.
Die Simulation von Arbeitsergebnissen wird
dann zu einem Dekorationsgeschäft. Das mag einem manche Vorteile bringen.
Position, Sozialprestige, was auch immer. Aber in solchem Metier (Wissens- und
Kulturarbeit, Politik, Bildungswesen etc.) vergeudet man durch derlei Simulationen
natürlich ein Leben, mindestens sein eigenes, womöglich auch das anderer. (Zugegeben,
das war eben ein subjektives Werturteil.)
Aus all dem mögen sich einige
Orientierungspunkte ergeben, die auf dem Weg zum kommenden Kunstsymposion ebenso
Gewicht haben, wie auch in der längerfristigen Perspektive einer regionalen Wissens- und
Kulturarbeit. Das sind übrigens wichtige Details für den Prozeß "Dorf
4.0", in dem wir praktisch erproben, was solche Annahmen taugen. Siehe dazu
aktuell das Booklet "Regionale
Kulturarbeit"!
Prozeßhafte Arbeit, mit der man die
Simulation und das Errichten von Fassaden meidet, ist gewöhnlich zeitintensiv und
schließt schnelle Ergebnisse, schnell verwertbare Ergebnisse weitgehend aus. Es gibt auch
keine guten Gründe, in diesen Bereichen auf Beschleunigung zu setzen. Zwar haben Projekte
zeitliche Grenzen und Budgets erschöpfen sich, aber das spricht keinesfalls für
Beschleunigungstechniken in der Kulturarbeit.
Aus derlei üblichen Begrenzungen leiten sich
andere Schlüsse ab. Etwa kollektive Kulturpraxis, um verfügbare Ressourcen besser
nützen zu können. Und komplementäre Themen-Anordnung, so daß mit begrenzten Zeit- und
Geldressourcen überschaubare Teilthemen bearbeitet werden können, die sich aber
komplementär anordnen lassen, so daß große Themenstellungen letztlich bewältigbar
werden. (Das war doch jetzt nicht so schwierig, oder?)
-- [2018er Kunstsymposion] [Dorf 4.0] --
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