Log #648: Der Sarajevo-Kontext Es ist ein Schlüsselwort: Sarajevo.
Dieses Wort löst sehr unterschiedliche Erzählungen aus, von denen eine davon handelt,
daß Gavro Princip mit seinen Schüssen nahe der Lateinerbrücke die Ursache des Ersten
Weltkrieges geworden sei.
Historische Markierung auf dem Weg
nach Sarajevo
Eine sehr bequeme Deutung, die verschleiern
soll, daß Österreich seit den ersten Balkankriegen des 20. Jahrhunderts wußte, mit dem
winzigen Serbien werde nicht zu spaßen sein, wenn man die Kolonialisierung des Balkans
voranbringen wolle, wofür die Annexion Bosniens ein unmißverständlicher Vorbote war.
Während der Feldzüge von 1912 und 1913
verloren die Osmanen völlig die Kontrolle über die "Europäische Türkei",
so nannte man damals den Balkan. Sie mußten sich schließlich aus der Region
zurückziehen, womit die Habsburger an ihrer alten Militärgrenze plötzlich neue
Gegenüber hatten, darunter aber kein Imperium.
Leo Trotzki hatte damals als Journalist
erschütternde Berichte verfaßt, die uns noch heute einen Eindruck bieten, daß sich
selbst völlig zerlumpte Bauern in Strohpantoffeln, von denen nicht einmal jeder ein
Gewehr bekommen konnte, weil es an allem fehlte, gegen übermächtige Gegner für die
Sache der Südslawen mobilisieren ließen.
Conrad von Hötzendorf wollte damals dieses
vom Kampf gegen die Osmanen völlig erschöpfte Serbien so schnell wie möglich angreifen
und niederschlagen, brauchte also dringend einen Kriegsgrund, mit dem er Kaiser Franz
Josef überzeugen konnte. (Daß des Kaisers Truppen dann 1914 gleich einmal den ersten
Feldzug gegen die Südslawen verloren, steht nicht einmal in Fußnoten auf den immer noch
reichlich vorhandenen Kriegsdenkmälern unseres Landes.)
Drei Zeiten, drei Wir-Konzepte
Worauf blicken wir derzeit, wenn wir zurückblicken? Im
Fenster zwischen 1918 und 2018 haben drei Generationen Platz, innerhalb derer man einander
real begegnen konnte und so quer durch hundert Jahre des Geschehens vom persönlichen
Anschauungen erfahren konnte.
Also etwa mein Großvater Richard, der aus dem 19.
Jahrhundert stammt und beide Weltkriege überlebt hat, mein Vater Hubert, der einen dieser
Kriege überstand, wenn auch brutal beschädigt, und ich. Das bedeutet, es waren in
realer sozialer Begegnung verschiedene Lebenszusammenhänge aus persönlich Erlebtem
erfahrbar. So kontrastreich, als hätten sie auf verschiedenen Planeten stattgefunden.
Ich hab in meinem persönlichen Logbuch am 18. Jänner 2018
bezüglich jenes rasanten 20. Jahrhunderts notiert: In diesem Zeitfenster finde ich drei
sehr markante Slogans aus den auffallenden ideologischen Konstruktionen der jeweils
dominanten Wir- Konstruktionen:
+) Für Gott, Kaiser und Vaterland!
+) Ein Volk, ein Reich, ein Führer!
+) Österreich zuerst!
Kein Vaterland ohne seinen Vater, den Kaiser, der
von Gott legitimiert wurde. Diese Hierarchie ist gut überschaubar, das
Legitimationskonzept simpel. Danach mußte man ideologisch etwas mehr Aufwand treiben, um
zu begrüßen, daß angeblich alles aus dem Volk komme und der einzelne ohne das Volk
nichts sei, innerhalb dessen sich aber eine mörderische Führungsschicht einrichten
konnte wie eine Feudalherrschaft.
Das Reich als Drittes Reich ist da zwar
einer Liebäugelei mit der Symbolkraft des Imperium Romanum und des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation geschuldet, meinte aber ganz pragmatisch:
Eroberung von Lebensraum als Euphemismus für das Rauben von Rohstoffen und
erschließen vorteilhafter Märkte.
Die Nazi taten genau das, was vor ihnen schon Habsburger
und Hohenzollern getan haben. Sie versuchten, die von ihnen verschnarchte Kolonialisierung
der Welt zu revidieren, neu zu ordnen. Der Führer galt als leibhaftiges Versprechen,
dieses Sammelsurium beieinander zu halten. Er versprach seiner Gefolgschaft den
entsprechenden Lohn aus der Beute, die vom Ermorden und Vertreiben anderer Menschen blieb.
Der Kalemegdan, die Festung über
Beograd
Wir wußten seit jenen Kaisern Roms, die ihr Portrait in
Münzen schlagen ließen, daß kein Mensch etwas so Abstraktes wie ein Reich
verehren kann, aber mit einzelnen Personen, die entsprechend inszeniert und überhöht
werden, geht sich das aus: "Mein Führer!" Künstler Herms Fritz hat
diese Art der Ego-Nummer treffend und knapp formuliert, hat damit zugleich auch die
Omnipotenzphantasien solcher Führer-Figuren eingefangen:„I, des san mir olle ohne
eich".
Beim 2017er Kunstsymposion hatten wir ein Set zum
Thema „Landkarte der Angst, Zuversicht", zu dem der Ausgangspunkt von
Heimo Müller und Selman Trtovac kam: [link]
Dabei mußte ich einen Aspekt in der Schublade lassen, der dabei den Rahmen gesprengt
hätte.
Von den Wölfen wissen wir heute, daß sie -- entgegen
ihrem Ruf -- sehr soziale Wesen sind und sogar Verwundete im Rudel pflegen. Aber die
Tierwelt kennt kein medizinisches Personal. Wenn daher eine Kreatur attackiert wird und
nicht entkommen kann, ist das gewöhnlich ihr Tod.
Wir sind, so nehme ich an, die einzige Spezies, welche sich
innerhalb ihrer Art den Langzeitfolgen von Grausamkeit uns Schrecken stellen muß. Nur wir
Menschen sind gerüstet, solcher Ereignisse zu überleben. (Die kleinen Nischen, wo
Menschen sich aufraffen, mißhandelte Tiere zu retten, ausgespart. Nicht umsonst nennt uns
eine Redensart den "geprügelten Hund" als ein Wesen, mit dem wir sehr
vorsichtig umgehen müssen.)
Es besteht kein Zweifel, daß mit der Gewalttätigkeit, die
überlebt werden kann, eine entsetzliche Saat gestreut wird, die unweigerlich aufgeht,
wenn wir nicht all unsere Fertigkeiten darauf verwenden, die Not Betroffener zu lindern
und weitere Grausamkeiten zwischen Menschen zu unterbinden. Das ist einer der
Zusammenhänge, warum ich an diesem Motiv der drei Generationen sehr interessiert bin. Ich
hab den oben gezeigten kleinen Triptychon hier auf einem eigenen Blatt aufgelöst und die
Fotos in größerer Ansicht auf der Projektleiste deponiert: [link]
Weshalb wurden in Omarska die
Gefangenen, deren Tod beschlossene
Sache war, davor noch systematisch gefoltert?
Die Geschichtsschreibung ist unmißverständlich. Unsere
Leute haben in den zwei großen Kriegen des 20. Jahrhunderts entsetzliche Dinge getan und
erlitten. Speziell mein Vater war davon auf besondere Art betroffen und meine Familie
hatte eher Täter denn Mitläufer aufzuweisen. Das changiert alles zwischen individuellen
Schlägen und kollektiven Traumata.
Geht man weiter zurück, besagen Funde und Untersuchungen,
daß mit der Neolithischen Revolution und der Seßhaftwerdung der Menschen Arten
der Grausamkeiten auftauchten, offenbar auch vorsätzliches Foltern, wie es davor --
soweit man bisher weiß -- nicht geschehen ist. Mißhandlungsspuren an Knochenfunden in
Gräbern von Massakern belegen das. Wir sind also offenkundig geübte Spezialisten dieses
Genres mit einer Jahrtausendtradition.
Sind erst einmal bewaffnete Horden unterwegs, bleibt meist
nur mehr, sie entweder abzuschrecken oder zu entwaffnen, was ohne Gewaltanwendung nicht
möglich ist. Daher ist es von allgemeinem Interesse, sich darüber auszutauschen, welche
sozialen, kulturellen und politischen Mittel möglich und nötig sind, um das Hochgehen
bewaffneter Konflikte zu verhindern.
-- [Der Sarajevo-Kontext]
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