Log #643: Die Quest III

Die Arbeit am ganzen Leben

Nun liegt erst einmal das 2018er Aprilfestival vor uns, das wieder von Winfried Lehmann kuratiert wird. Dazu hat Lehmann unter anderem Manfred Riedl eingeladen, den wir letzten Oktober im Bergbau-Ort Pölfing Brunn besucht haben. Riedl kommt aus dem Handwerk und hat ins Kunsthandwerk gewechselt.

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Manfred Riedl (links) und Winfried Lehmann

Kohlebergbau, Metallverarbeitung, der Zusammenhang ist fundamental für die Geschichte eines industrialisierten Europas, das für einige Zeit die ganze Welt dominiert hat und den technologischen Vorsprung ausnützte, um sich ganze Kontinente nutzbar zu machen.

Riedl ist ein interessantes Beispiel, wie jemand aus der harten Industriearbeit in einen anderen Lebens- und Tätigkeitsbereich übergeht, bei dem zwar die handwerklichen Fähigkeiten weiter wichtig sind, aber die Arbeitsinhalte nun selbstbestimmt festgelegt werden. Das berührt einen bestimmten historischen Abschnitt, in dem Amerika und Deutschland auf bestem Wege waren, England als die führende Industrienation der Welt zu überflügeln.

Heinrich Bortis notiert einen wesentlichen Punkt in seiner Wirtschaftsgeschichte so: "Mechanisierung in der Industrie wird beschleunigt durch die Standardisierung der Produkte; die Standardisierung dehnt sich rasch auf alle Produktionsbranchen aus."

Es ist diese Standardisierung, durch die Menschen zu Anhängseln von Maschinen werden. Bortis: "Die wissenschaftliche Organisation der Arbeit wird vom Ingenieur Taylor konzipiert; daraus ist der Taylorismus hervorgegangen: Jede Bewegung der Arbeiter wird studiert und so gestaltet, dass sich eine möglichst rasche Kadenz der Produktion ergibt."

Genau hier entfaltet sich die Trennlinie zwischen Handwerker und Industriearbeiter. Der Handwerker entscheidet selbst, wann er was macht und stellt ganze Produkte her. Der Industriearbeiter muß seinen Tagesablauf nach der Uhr richten, wird mit dem Takt der Maschinen synchronisiert, und hat nur mehr mit Teilen des Ganzen zu tun, mit Fragmenten.

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Bortis: "Der Taylorismus verbreitet sich sehr rasch ab 1905, trotz negativer Begleiterscheinungen: Die Steigerung der Kadenz führt zu nervösen Spannungen, Arbeitsmonotonie und Disqualifikation!"

Das sind genau die Effekte, denen Menschen heute ausweichen, wenn sie das alte Handwerk betonen oder wenn sie -- wie Riedl -- zum Kunsthandwerk wechseln. Inhaltliche Selbstbestimmung. Herr der eigenen Zeit sein. Die Arbeit am ganzen Leben und nicht bloß an Fragmenten.

Ich erinnere mich an eine Aussage meines Sohnes, der einige Zeit für gutes Geld in permanenter Nachtschicht am Fließband gearbeitet hat. Er meinte: "Nach zwei Stunden weißt du nicht mehr, was du noch denken sollst." So sehr setzt einem die Monotonie mit der Zeit zu.

Freilich erleben wir grade die nächsten Automatisierungsschritte durch die Vierte Industrielle Revolution, was bedeutet, immer mehr an solchen monotonen Arbeiten werden an Maschinensysteme abgegeben. Bleibt die Frage, wofür dann jene Menschen bezahlt werden sollen, die diese Jobs nicht mehr machen müssen. Apropos! In einem vorigen Eintrag zu diesem Abschnitt der Quest habe ich aus einem Gespräch mit zwei sachkundigen Menschen notiert:

Das ist einerseits mehr denn je eine Ursache von Krankenständen und darf wohl auch mit dem epidemischen Ausmaß von Mobbing in heimischen Betrieben zusammengedacht werden. Auch Vandalenakte mögen teilweise in solchen Irritationen begründet sein. Das handelt aber andrerseits von der steigenden Zahlen scheiternder Menschen, die etwa über bipolare Störungen und andere Probleme unsere gemeinsame Realität völlig verlassen. [Quelle]

Es läßt sich also ohne jede Übertreibung sagen, daß der Wohlstand, den wir heute genießen, einen hohen Preis hat, den einige unter uns bezahlen müssen, andere nicht. Das hat nun eine durchgängige Geschichte von über 150 Jahren.

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Helmut Oberbichler (links) und Manfred Riedl

Bortis: "Als Weiterentwicklung des Taylorismus taucht die Fliessbandarbeit am mobilen Produktionsband 1913 in den Automobilfabriken von Henry Ford auf." Dieses Motiv ist uns allen gut vertraut. Es steht wesentlich für die Zweite Industrielle Revolution. Die Dritte, nämlich die Digitale Revolution, hat sich dann schon innerhalb unserer Biographien vollzogen.

In der Schlußphase des Projektes "Vom Pferd zum Sattelschlepper" ("Dorf 4.0") gab es im vorigen Dezember zwei Meetings. Das erste mit sachkundigen Leuten aus der Industrie, allerdings hauptsächlich von der Management-Ebene: [link] Das zweite mit Handwerkern, die zwar ihr Brot in der Industrie verdient haben, aber parallel immer an diesen grundlegenden Handwerks-Bedingungen festgehalten haben: Selbstbestimmung, eigene Zeiteinteilung, die Arbeit am Ganzen statt bloß an Fragmenten: [link]

Da bleibt nun die interessante Frage, ob denn das Kunsthandwerk jene Nische ergeben könnte, in der wir die handwerklichen Kompetenzen erhalten, die von der Industrie nicht mehr gebraucht und daher nicht mehr bezahlt werden, also nach und nach verschwinden.

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An jenem Abend mit den alten Meistern wurde zum Beispiel ganz ungeschminkt ausgesprochen: Was der Pillich kann, wird nirgends mehr gelernt. Das stirbt aus. Auf dem Foto erörtern die Männer die gelungene Restauration eines Vorkriegs-Motorrades (Grindlay Peerless). Wohin führen also aktuelle technische Entwicklungen und was bedeutet das nicht nur sozial, sondern auch kulturell für uns?

-- [Die Quest] [Dorf 4.0] --


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