Log #638: Der Sarajevo-Kontext Ich bin bei der Titelfindung für das 2018er Kunstsymposion
von einer Metapher ausgegangen, von der Vorstellung eines Moiré-Effektes; siehe
dazu: "Interferenzen". Zur Themenstellung habe ich derzeit
dreierlei im Auge, die Kunst, die aktuellen technischen Umwälzungen und die Zeitspanne
1918-2018.
Sarajevo
Das gliedert sich vorerst in diese drei
definierten Teilbereiche:
a) 1918-2018: Der
Sarajevo-Kontext (Zeitspanne 1918-2018)
b) Hauslos: Was
draußen zu sehen ist (Kunst)
c) Mythos Puch V: Zugkraft
und Ladekapazität (technische Umwälzungen)
Mit dem Großen Krieg hatte Europa
seine damals akute Modernisierungskrise bewältigt und seinen Überschuß an jungen
Männern verbrannt, denn jene Zeiten waren vorbei, als man von uns aus die zweit-, dritt-
und viertgeborenen Söhne in die Welt schicken konnte, um autochthone Völker anzugreifen,
die Länder auszutöten und zu kolonialisieren. (Ich folge da den Thesen von Gunnar
Heinsohn.)
Sarajevo stand im ersten Teil des 20.
Jahrhunderts symbolhaft für dieses Geschehen, am Ende dieses Jahrhunderts ebenso. Zu
solchen Fragen nach Kräftespielen und nach dem Symbolischen paßt auf etwas gespenstische
Art, daß sich Ende November 2017, also in diesen Tagen, ein verurteilter Kriegsverbrecher
in Den Haag vor seinem Richter das Leben nahm, weil er sich seiner Verantwortung nicht
stellen mochte:
"Nachdem die Urteile gegen sechs
bosnische Kroaten am Mittwoch bestätigt worden waren, nahm einer von ihnen, der frühere
General Slobodan Praljak, einen Schluck aus einer kleinen braunen Flasche und erklärte,
er werde das Urteil nicht akzeptieren und habe sich soeben vergiftet." [Quelle]
Nun bin ich während des 2017er
Kunstsymposions mit Data Scientist Heimo Müller und Künstler Selman Trtovac
übereingekommen, daß wir uns im wechselseitigen Austausch diesem Symbolgehalt
Sarajevo in einigen Aspekten widmen wollen, um Momente dieser 1918-2017-Situation
herauszuarbeiten.
Auch das hat seine Vorgeschichte, da Trtovac
dabei war, als wir uns 2013 und 2014 mit KUnstsymposion dem Zeitfenster 1914-2014 gewidmet
hatten. Dazu waren 2013 zwei Fotos nebeneinander zu legen, welche mich in den 1970ern und
ihn in den 1980ern zeigen.
Damals war zu notieren: "Einer der
Punkte dabei: Während vor Selman ein realer Krieg lag, lag hinter mir
der von Legenden und allerlei Lügen überlagerte Krieg meiner Leute. Was uns heute
ausmacht, ist fraglos von den recht unterschiedlichen Konsequenzen genau dieser
Dispositionen geprägt." [Eintrag
#441]
Selman Trtovac (links) und Martin
Krusche
In jenem Eintrag ist der Roman "Old
Danube House" von Walter Grond erwähnt, mit dem sich Grond unter anderem
der Stadt Sarajevo in den Kriegstagen der 1990er gewidmet hatte. Dieses Buch war, bevor es
erschien, in meinen Händen erst ein Stapel von Manuskriptblättern und Quellmaterial
gewesen, um darauf zu ragieren.
So entstand der Ausgangspunkt jener Form von Netzkultur-Projekt,
welches sich derzeit als "The Long Distance Howl" bald im 15. Jahr
seiner Laufzeit befindet. Jenes Vorläuferprojekt "[house] über das fremde und die
peripherie (ein salon)" geht auf das Jahr 2000 zurück. Siehe zu den Fotos auch
eine Notiz für "The Track: Axiom | 2014" mit dem Querverweis: "...Ich
hab damals freilich noch keine Vorstellung gehabt, wie tief mich mein eigenes
Projekt-Konzept in den gewählten Zielbereich bringen würde...": [link]
Im August 2015 hatten Müller, Trtovac und ich
gemeinsam eine "Beograd-Session" absolviert: [link]
Die war ihrerseits ein Stück Vorgeschichte zur jetzigen Arbeitssituation, da sich die
beiden Männer für das 2017er Kunstsymposion dem Thema "Landkarte der
Angst" gewidmet haben: [link]
Technologisch bedingte Veränderungsschübe in
einer globalisierten Welt, die heute davon gekennzeichnet ist, daß überzählige Söhne
aus anderen Weltgegenden nach Europa drängen. Europa war über mehrere Jahrhunderte den
Völkern, die von seinen überschüssigen Söhnen angegriffen wurden, in der Waffentechnik
und Kriegserfahrung überlegen.
Was uns heute an jungen Männern über
Flüchtlingswellen erreicht, hat nicht die Mittel, um Armeen aufzustellen und
auszurüsten. Also kommen sie, so Gunnar Heinsohn, unbewaffnet zu uns. Eine bemerkenswerte
Herausforderung für den wohlhabenden Teil Europas.
Sarajevo
Da ich meinen Großvater Richard gekannt habe,
bin ich dem gesamten 20. Jahrhundert verbunden, denn er war noch im 19. Jahrhundert zur
Welt gekommen. In dieser Zeit, den nun mehr als hundert Jahren, haben sich drei
industrielle Revolutionen ereignet, zwei davon innerhalb meiner eigenen Lebensspanne.
Während Müller und ich im Frieden aufwachsen
durften, war Trtovac mit einem realen Krieg konfrontiert. Ich denke, wir werden Sarajevo
zu besuchen haben, um auf symbolischer Ebene einige Bezugspunkte zu überprüfen, die uns
dabei nützen, dieses 20. Jahrhundert, dem wir entwachsen sind, heute anders zu verstehen
als in den Tagen unserer Jugend, die vom Kalten Krieg bestimmt und vom Zweiten
Weltkrieg getönt waren.
-- [Der Sarajevo-Kontext]
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