Log #637: Objet trouvé

Ich hab im vorigen Eintrag notiert, der Satz "Ich verstehe nichts von Kunst." drücke das Unmögliche aus, denn man könne keinesfalls nichts von Kunst verstehen. Es muß nun nicht vermutet werden, das sei Beuys für die billigen Plätze. Im Gegenteil! Ich berufe mich auf die Summe der Wahrnehmungserfahrungen jedes Menschen, die schon in unserem pränatalen Leben beginnen, sich wie von selbst ereignen und nicht nur ein Zugang zur Kunst sind, sondern wahrscheinlich auch eine wichtige Heimat der Kunst.

Ursula Glaeser hat gerade mit Robert Gabris unser heuriges Kunstsymposion in Stainz abgeschlossen. Die Session mit dem Titel "Kunst als Folge und Konsequenz (Was mir Kunst bedeutet)" fand im Dachbodentheater Stainz satt. Merkwürdig passend, denn Gabris kommt, was seine formale Ausbildung angeht, vom Bühnenbild her. Doch Zeichner ist er seit seinen Kindertagen und aus Passion, man möchte sogar sagen: weil er gar nicht anders kann.

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Es ist genau dieser private Imperativ, der einen so markanten Unterschied zu allerhand Posen macht, die ich derzeit im laufenden Betrieb finde. Diese letzte Debatte im Rahmen des 2017er Kunstsymposions zeigt sich in mancherlei Hinsicht als Schwellensituation, wo nun für mich die ersten Schritte in die Richtung des 2018er Kunstsymposions zu tun sind.

Die Formulierung Folge und Konsequenz ist keineswegs tautologisch. Alles hat Folgen, aber über Folgerichtigkeit (Konsequenz) läßt sich streiten. Genau damit mag dann auch der Unterschied zwischen dem privaten Imperativ eines Künstlers und dem Geltungsbedürfnis der Posierenden liegen. Folge und Folgerichtigkeit sind eben zweierlei Phänomene, das Eine zwingend, das Andere eine Frage der Deutung.

Dabei denke ich, dieses "Ich kann nicht anders" ist nun keine besondere Qualität, sondern schlicht ein Lebensumstand. Qualitäten kommen erst in den Arbeitsergebnissen zum Vorschein; oder sie fehlen.

Wir waren in dieser Nacht im Theater durchaus einig, daß man etwa in der bildenden Kunst Qualitäten unterscheiden könne, aber wir reden nicht gerne darüber. Falsch! Viele reden nicht gerne darüber, ich aber schon. Ich unterhalte mich auch gerne über Kriterien. Das tue ich in der simplen Klarheit, daß wir Kriterien jederzeit verwerfen können. Sie sind kein Korsett, sie sind bloß Markierungen am Wegesrand. Es steht mir dabei völlig frei, die Wege so oder so zu begehen, zu verweilen, abzuzweigen, die Wildnis zu betreten, mich notfalls zu verirren, was auch immer.

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Ich denke, unter anderem genau das macht die Kunst und ihre Gefolgschaften den Tyrannen so zuwider. Jede zu kühne Behauptung, wenn sie jemanden bedrängt oder gar verletzt, kann weggelacht werden. Dazu braucht es keine Gewehre. Das war eventuell auch, was DADA eine so erhebliche Bedeutung verlieh. Mit Gestammel wurde die unerträgliche Dummheit eines Kaisers als Lächerliches weggewischt, während Völker verbluteten.

Daran denke ich gerade, weil wir auf 2018 zugehen, also auch einige Momente über 1918 nachdenken könnten. In diesem Jahr hatte DADA recht behalten und der dumme Kaiser Franz Josef war von einem Kretin namens Karl abgelöst worden, über den Franz Ferdinand, dessen Tod in Sarajevo sie 1914 beklatscht hatten, nichts Freundliches zu sagen wußte. Siehe dazu den kommenden Symposions-Teil "Der Sarajevo-Kontext"!

Aber zurück zum eigentliche Thema. Gabris ist das Beispiel eines Künstlers, der Talent mitbekommen hat, als Kind Lebensumstände hinnehmen mußte, in denen Kunst zu einem Fluchtpunkt werden konnte, sich über die meisten Jahre seiner Existenz im Handwerk geübt hat und dazu Wege fand, eine solide Ausbildung zu erhalten. Das hat schließlich auch noch Inhalte, Tiefe, ist um einen einschlägigen Lebensweg erweitert.

Diese Art in der Kunst zu sein ist unzweifelhaft. Diese Art ein Leben zu führen, jenseits aller Posen, bedeutet mir viel, wenn ich das bei anderen entdecke, weil es eine spezielle Variante dessen zeigt, was ich darunter verstehe, in der Kunst zu sein.

Um kurz auf Beuys zurückzukommen, der gerne damit zitiert wird, jeder Mensch sei ein Künstler. Er hat das präzisiert, man kann es etwa auf Youtube leicht finden. Beuys war überzeugt, jeder Mensch habe das Potential ein Künstler zu sein. Dann wäre aber noch zu klären, was jemand daraus machen möchte.

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Es gab einen sehr anregenden Club 2, den Adolf Holl moderierte, wo Beuys neben Weibel saß, eine Debatte führend, in der er etwa anhand eines konkreten Beispiels, eines unbedarft gemachten Gemäldes, von einer traurigen Gartenzwerg-Kultur sprach. Er benutzte die Analogie des Arztes, der Krankheiten sehen kann, und ordnete das Bild einer "Krüppelform menschlicher Tätigkeit" zu, "die man im Allgemeinen als Kitsch bezeichnet".

Beuys: "Es macht in dieser Weise traurig, als diese Gartenzwerg-Kultur ja nur einen Ausdruck dieses Verkrüppeltseins des Menschen selbst kennzeichnet." Beuys lehnte es erkennbar ab, "dieses Sichgenügetun mit dieser Krüppelform" unter dem Begriff der Kunst "überhaupt zu diskutieren". Das müßte eigentlich dazu führen, daß "einem solchen Menschen andere Menschen beistehen, irgendwie einen Ratschlag geben".

György Ligeti, der ihm gegenüber saß, wandte ein, er habe sich nun in einen Widerspruch begeben, wo er doch meine, jeder Mensch sei ein Künstler. Beuys: "Nein, aber nicht jeder Mensch ist ein Maler!" Dieser Mensch sei vielleicht der beste Gärtner der Welt, wir wissen nicht, aus welchen Lebensumständen dieses Bild entstanden ist.

Beuys betonte erneut: "Wenn ich sage, jeder Mensch ist ein Künstler, dann meine ich doch nicht, jeder Mensch ist ein Komponist oder Maler." Er hob hervor, es sei wichtig, den Menschen "als ein kreatives, schöpferisches Wesen zu beschreiben".

Wie geht da nun mit dem Abend in Stainz zusammen und was hat es mit dem 2018er Kunstsymposion zu tun? Ich habe oben skizziert, worin sich Gabris als Künstler einlöst. Das vorhandene Talent wird unter besonderen Lebensumstände geprägt und in eine langjährige Praxis des Zeichnens geführt.

So darf sich eine wachsende Kompetenz im Handwerk bewähren, doch es geht ihm vor allem auch um die Inhalte, um die Erzählungen, die er hervorbringen möchte. Dabei kommen biographische Prägungen ins Spiel, teilweise radikale Erfahrungen, die ertragen, reflektiert, stellenweise auch in seinen Werken umgesetzt werden möchten.

In all dem entwickelte Gabris erkennbar eine Radikalität, die ihn allerhand Kompromisse meiden läßt. Obwohl also alle Menschen eine Reihe von Grundlagern teilen und genau in diesem Sinne das Beuys'sche "Jeder Mensch ist ein Künstler" als Potentialität verkörpern, führt es eben nicht jeder Mensch in die Aktualität und nicht alle, die es versuchen, schaffen dabei eine Qualität ihrer Arbeiten, zu welcher Gabris in der Lage ist.

Beuys hat betont, der Mensch möge sich selbst als Träger von Fähigkeiten erfahren. Daß darin sehr unterschiedliche Möglichkeiten und Talente liegen, die sich nicht in allen Genres zu hohem Niveau entfalten können, wird einleuchten.

Da mag es dann ein individuelles Glück sein, wenn jemand -- Träger von Fähigkeiten -- seinen Lebensweg und seine Potentiale in Einklang bringen kann, um sich in seinen Möglichkeiten zu üben, was bei einigen Menschen zu bewegenden, berührenden, auch beeindruckenden Werken führt.

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Das halte ich nun für eine wichtige Markierung, wenn ich auf das kommende Arbeitsjahr blicke, auf das nächste Kunstsymposion und auf die Frage, was darin Thema sein soll. Dieser Text steht bewußt im Zusammenhang mit der Themenleiste Objet trouvé, denn hier zeige ich an einer Serie von Beispielen, daß man keinesfalls die Tiefe und die Meisterschaft von Gabris erreicht haben muß, um in die Kunst einzugehen.

Die Blätter in dieser Leiste, ich werde sie nach und nach aufschlagen, sind durch die Bank Beispiele, daß keinerlei langjährige handwerkliche Übung nötig ist, auch keine spezielle Lebenssituation, um das Vorgefundene zu beachten, zu betrachten, zu deuten, dabei einen bestimmten Ausschnitt zu finden, der sich aus einem bestimmten Blickwinkel ergibt, worauf das Objet trouvé erscheint.

Das heißt, hier geht es hauptsächlich um innere Vorgänge, die sich aus meinen Wahrnehmungserfahrungen auf bestimmte Art verfeinern lassen, um dann über ein Medium in Erscheinung zu treten, kommunizierbar zu werden.

Was nun die Kritik für gewöhnlich tut, ist das Vergleichen, um dann zu beschreiben, was der Vergleich erkennen läßt. Also können wir selbstverständlich über Kriterien reden, falls wir das wollen. Also können wir über Qualitäten der künstlerischen Arbeit reden, falls wir das wollen. Durch den Vergleich erhalten wir Kriterien. Die sind nie in Stein gehauen und man kann sie jederzeit verwerfen.

P.S.:
Wenn man Stainz und Gegenwartskunst in einem Atemzug nennt, weist das natürlich auch auf Franz Lex, einen leidenschaftlichern Sammler, der im Stadzentrum sein Café wie eine Galerie ausgestattet hat und dessen Espresso eine Qualität rreicht, die ich in meiner Stadt nicht bekomme.

-- [2017er Kunstsymposion] [Hauslos 2018] --


coreresethome
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