Log #636: Objet trouvé Das Vorgefundene kann über die Wahl des Standpunktes
und des Blickwinkels speziell aufgewertet werden. In dem Moment, wo ich mich
abwende, dem Objekt meine Aufmerksamkeit entziehe, fällt es ins Triviale
zurück, bedeutet nichts anderes als sein Funktion.
Totenmaske des Filippo Brunelleschi
im Museo dell'Opera del Duomo,
Florenz (Foto: Sailko, Creative Commons)
Diese Zugang, von dem ich hier über einige
Schritte erzählen möchte, setzt die Idee vom Beobachter voraus. So eine
Möglichkeit, Beobachter zu sein, stützt sich auf ein Konzept namens Zentralperspektive,
das Filippo Brunelleschi (1377 bis 1446) zugeschrieben wird.
Hans Belting hat in seinem Buch "Florenz
und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks." allerdings dargelegt,
daß diese Entwicklung in Europas Kulturgeschichte ohne eine Theorie des Sehens
aus der arabischen Kultur damals wohl nicht zustandekommen wäre.
Damit möchte ich auch betont wissen, daß "Unsere
Kultur", "Unsere Identität" und viele denkbare "Wurzeln
Europas" durch weit mehr als tausend Jahre des kontinuierlichen Austausches mit
arabischen Kulturschaffenden entstanden sind.
Künstler Martin Krusche
Ich hab im Vorlauf zum 2017er Kunstsymposion
"Artist is Obsolete: Kunst und Technik" für mich ein komplexes Themenpaket
angelegt, das mir Spielraum geben würde, im laufenden Prozeß einen entsprechenden
Schwerpunkt herauszuarbeiten, dabei andere Teile zurückzulassen. Dieses Paket sah so aus:
Martin Krusche: Hauslos | Maschinerie |
Kunst
(Das komplementäre Themenpaket Koexistenz)
[Quelle]
Dazu gab es einige Basis-Statements:
-- [Hauslos |
Maschinerie
| Kunst] --
Nun, auf dem Weg zum 2018er Kunstsymposion,
beschäftigt mich augenblicklich det Bereich "Hauslos" und ich erkunde
erst einmal den öffentlichen Raum, das allgemein Zugängliche, wo jene Momente dingfest
gemacht werden können, in denen der zielgerichtete Blick das absichtslose Schauen
ablöst. Durch Bedeutungszuweisung wird das Werk sichtbar. Das heißt auch, wir
machen andauernd ästhetische Erfahrungen, also Wahrnehmungserfahrungen.
Das ist überall möglich, geschieht Tag für
Tag, hängt in den Ergebnissen völlig von den eigenen Vorlieben ab, von bevorzugten
Bahnen der persönlichen Wahrnehmung. Das führt zu einem Punkt, den ich in das kommende
Jahr hinein stärker bearbeiten möchte. Oft hört man den Satz
"Ich verstehe nichts von
Kunst."
Genau betrachtet ist es gar nicht möglich,
nichts von Kunst zu verstehen. Von den zwei wesentlichsten Zugängen, ist einer
allen Menschen auf jeden Fall verfügbar, nämlich die sinnliche Erfahrung, aus der wir
schließen: Gefällt mir/nicht, sagt mir etwas/nichts, mag ich/nicht.
Der andere Zugang, jener über die Regeln
der Kunst, steht zwar auch allen Menschen offen, doch er verlangt einen
vorsätzlichen Wissenserwerb, was von einer Anstrengung handelt, die nicht alle
Menschen in Angriff nehmen möchten.
Während man also seine Geschmacksbildung
über Wahrnehmungserfahrungen ohnehin wie von selbst absolviert, was schon in einem
pränatalen Zustand des Menschen beginnt, ist die Geschmacksbildung über die Regeln der
Kunst ein vollkommen anders gelagerter Prozeß.
Die individuellen Wahrnehmungserfahrungen
müssen nie zur Diskussion stehen, erlauben uns auch sehr apodiktische Auffassungen, die
man nicht verteidigen muß, weil sie völlig individueller Freiheit unterliegen.
Die Regeln der Kunst stehen permanent in
Diskussion, können stets verworfen und neu verhandelt werden. Wie man es auch dreht, es
ist schon so, daß man also nicht nichts von Kunst verstehen kann. Selbst wenn man
abstreitet, daß Kunst etwas von irgendwelcher Relevanz sei, ist das ein
Kunsturteil von der Art, wie man sie in unserer Kulturgeschichte schon mehr als einmal
erfahren hat.
Wir sind eine Spezies, welche Dinge denken
kann, die es nicht gibt. Dieses symbolische Denken hat uns evolutionäre Vorteile
verschafft. Die Kunst ist einer der Belege für diese Fähigkeit und ein wesentliche
Praxisfeld dieser menschlichen Besonderheit.
-- [Hauslos 2018] --
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