Log #634: Kunstsymposion An einer Stelle der Albersdorf-Session betonte Data
Scientist Heimo Müller die allgemein herrschende Konkurrenz um Aufmerksamkeit.
Er hatte mit der Psychologin Katharina Asbäck und dem Belgrader Künstler Selman Trtovac
den Themenkomplex „Landkarte der Angst, Zuversicht" aufgemacht. Wo steht
wir also momentan und welche Kräftespiele wirken derzeit? Was wir in frühen Tagen der Netzkultur
noch unter dem Stichwort Medienkonvergenz erörtert haben, ist inzwischen die
Technologie einer Infosphäre, von der wir weitgehend eingesaugt wurden. Darin
hat sich auch erneut völlig verändert, was wir unter Politik verstehen.
Von links: Selman Trtovac, Heimo
Müller und Katharina Asbäck
Unternehmer Ewald Ulrich unterstrich in diesen Tagen einmal
mehr, die Befassung mit Kunst würde für ihn Vorstellungsräume öffnen.
Bemerkenswert war dann auch, was Bürgermeister Peter Moser betonte, da wir über
kulturpolitische Zusammenhänge geredet haben. „Die Provinz hat den Vorteil, daß
sie ein unbeschriebenes Blatt ist."
Eine wichtige Aussage, die unterstreicht, was in einer
Suche nach nächsten Ausgangspunkten wichtig sein könnte. Was wir in alten Diskussionen
als einen Standortnachteil gedeutet hätten, der vor allem vom üblichen Gefälle
zwischen Zentrum und Provinz herrührt, bekommt mittlerweile eine ganz andere
Bedeutung.
Der Zusammenhang:
a) Es war schon längst Unfug, kulturelle Konzepte aus dem Landeszentrum in die
Region zu verlagern, also die Provinz im Kulturbetrieb zu „urbanisieren".
b) Die aktuellen Umbrüche (als globale Phänomene) stellen viele altgediente Konzepte
in Frage, so auch die urbanen Kulturkonzepte.
c) Nun ist die Provinz (Peripherie von Zentren) weder durch gebaute Strukturen,
noch
durch etablierte Kulturbetriebs-Modi übermäßig determiniert, ist in diesen
speziellen
Zusammenhängen eher ein unbeschriebenes Blatt.
d) Was man als Rückständigkeit deuten könnte, mag sich als Ballastfreiheit
erweisen,
in der eine Neuorientierung leichter fällt.
d) Das ist ein interessanter Ausgangspunkt, wenn wir uns fragen, was nun kulturpolitisch
vorrangig sei und hier, in diesem Lebensraum begonnen
werden könnte, um einen
relevanten Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Region zu
leisten.
Das sind Überlegungen für die Dörfer, weil die
Situation in Kleinstädten anders gelagert ist. So hat etwa die
Zehntausend-Seelen-Stadt Gleisdorf gleichermaßen teure Strukturen und teure Bindungen im
Kulturbetrieb, wie das im Landeszentrum Graz üblich ist, bloß im Maßstab dazu kleiner,
woraus sich ferner die interessante Situation ergibt, daß nun unsere drei Dörfer (des
Projektes "Dorf 4.0") zur Provinz der Provinz wurden. Was
bedeutet das für die Praxis?
Die Bürgermeister Robert
Schmierdorfer (links) und Peter Moser
Vorstellungsräume. Kommunikationsräume. Geistiges Leben.
Das Fließgleichgewicht zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung unter dem Ringen,
die gewohnten Standards nicht zu verlieren. Für unseren Lebensraum, in der Region, ist Vollbeschäftigung.gegeben.
Manche Orte, wie Ludersdorf, wo Moser wirkt, haben einen enormen Zuzug, wodurch sich das
soziale Klima im Dorf völlig verändert.
Künstler Selman Trtovac hat unter anderem betont:
"Es gibt in armen Ländern ja nicht weniger Geistigkeit als in reichen
Ländern." Das verweist auf die Frage, wie nun Talente, Bedürfnisse und
Angebote sich aufeinander beziehen mögen, denn die Talente findet man überall. Sie
werden von der Natur blind verstreut. Früher hieß das unerbittlich, die Talente müssen
in die Zentren abwandern, um reüssieren zu können. Will irgendjemand diese Kräftespiele
ändern?
Was im Bezirk Weiz und in angrenzenden Räumen an a) bildungsbürgerlicher
Repräsentationskultur eingerichtet wurde, b) in Nischen an Gegenwartskunst
Platz erhält, um c) vom kreativen Schaffen der Hobby-Liga umgeben zu sein, ist
evident. Was daran mehr der Geselligkeit als einem raffinierten geistigen Leben gewidmet
ist, will aber öffentlich nicht diskutiert werden.
Kulturamts-Leiter Patrick Schnabl
(links) neben Kulturarbeiter Oswald Schechter
Ich hab mich in der Debatte mit Kulturamts-Leiter Patrick
Schnabl auf einen speziellen Punkt bezogen. In der Volkskultur gab es eine
spektakulären "Sündenfall" der teilweise bis heute nicht korrigiert
wurde. Schon im 18. Jahrhundert suchten sich Teile eines damals neuen Bildungsbürgertums
auf dem kulturellen Feld Mündel, die bevormundet werden konnten.
Das erwies sich als brauchbare Strategie, um sich selbst
sozial zu legitimieren. Es wurde im Rückblick unter anderem als eine Verfahrensweise
verstanden, die half, Minderwertigkeitsgefühle gegenüber dem aufstrebenden
Bildungsbürgertum und den alten Eliten (Adel und Klerus) zu dämpfen. Das ist
selbstverständlich eine Form des Mißbrauchs.
Die Volkskultur, wie wir sie heute kennen und erleben, ist
davon immer noch nicht bereinigt. Regionale Kulturpolitik, wo sie in den Zentren der
Provinz das Kulturleben urbanisiert hat, ist von solchen Problemen ebenfalls betroffen.
Wo ich mich bezüglich der Wissens- und Kulturarbeit in der
Tradition der Eigenständigen Regionalentwicklung sehe, muß diese Pose (sich
Mündel zu suchen) ausgeschlossen bleiben. Wenn wir das nun mit der Unbeschriebenheit
des Blattes zusammendenken, worauf Bürgermeister Moser in seinen Aussagen über das
Leben in den Dörfern verwies, haben wir einige offene Fragen von gravierender Natur vor
uns. Dazu gehört meines Erachtens:
+) Gelingt uns hinreichende Trennschärfe zu Strategien und
Produkten der
Unterhaltungsindustrie,
+) im Eingehen auf die Lebensrealitäten von Dörfern, die sich in guter Reichweite zu
größeren Städten mit ihren Kulturangeboten befinden,
+) um auf die Potentiale der fraglos vorhandenen Geistigkeit (Trtovac)
einzugehen,
+) ohne dabei urbane Konzepte zu reproduzieren?
Die Künstler Selman Trtovac (links)
und Martin Krusche
Dabei scheint mir auch die Frage interessant,
ob in der Region die boomende Eventitis einmal etwas reduziert werden könnte, um
Ressourcen freizumachen, mit denen dann für eine Weile an solchen Überlegungen zu
arbeiten wäre. Damit meine ich allerdings Projekte der Kommunen, denn privaten
Akteurinnen und Akteuren muß man da nichts zurufen.
Politik und Verwaltung der Region müssen sich
eventuell schon gelegentlich dieser oder jener Sinnfrage stellen. Wie könnte man sonst
die Verwendung öffentlicher Gelder rechtfertigen, wenn es seit Jahren oder gar
Jahrzehnten keinerlei Ideenpapiere oder Konzepte mehr gibt, denen ich Intentionen und
Zielsetzungen der Politik entnehmen kann? Anders gefragt: Mit welchen kulturpolitischen
Anliegen werden hier öffentliche Gelder beansprucht und konsumiert?
Es bleibt ja untern Strich für uns alle die
Frage offen, welchen relevanten Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Region wir zu
leisten meinen. Siehe zu diesen Überlegungen auch die Notiz "Über die
drei Dörfer"!
-- [Kunstsymposion:
Kulturpolitik] --
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