log #579: kunstsymposion Diverse
Zeitfenster, überlappend...
Wie soll ich das alles ordnen? Lassen sich Betrachtungen wie fliegende Bälle in der
Luft halten? Im Augenblick bedeutet es schreiben, schreiben, schreiben, um das Ganze etwas
besser greifbar zu machen. Dann sollten sich daraus konkrete Ereignisse für das Jahr 2017
ableiten lassen.
Unsere Kunstsymposien von 2013 und 2014 waren mir ein Bezugssystem, um Leute
aus Bosnien, Österreich und Serbien an den gemeinsamen Tisch zu holen. Ich höre heute
manchmal, das Wort Leute würde bei uns eher unbestimmt bis despektierlich
aufgefaßt.
Ein Sarajevo-Moment, gemalt
von Radenko Milak
Ich hab aus den balkanischen Zusammenhängen immer noch ein Faible für Leute.
Das ergab sich durch eine kleine Sprachlektion. Ein Beispiel: Wenn mehrere Männer
zusammenstehen, sind das bis fünf Personen noch Männer (pet muškaraca),
ab sechs Personen aber Leute (šest ljudi). Also fünf Männer und sechs
Leute.
Andrerseits hab ich öfter für unser deutsches Wort Landsleute die Version Landsmenschen
gehört. Das gefiel mir ebenso gut. Ich bin sehr anfällig für den Klang von Worten.
Daher bleibt mir manches dann länger hängen, drängt sich als beliebtes Detail vor
anderes.
Zurück zum eigentlichen Thema. Im Jahr 2013 hatte ich für „the
track: axiom | südost" Franz Ferdinand und seine Frau auf dem Cover der
Projekt-Website (siehe oben!), gemalt von Radenko Milak: [link] Dieses
Symposion sollte uns auf das danach kommende Jahr vorbereiten, wo es mir um das
Zeitfenster 1914/2014 ging.
In Sarajevo: Arbeiten von Radenko
Milak und Selman Trtovac
Dai kam dann ein weiterführendes Motiv auf das Cover der nächsten
Projekt-Website. Ein Foto, das ich in einer Galerie in Sarajevo aufgenommen hatte. Es
zeigt von Radenko Milak gemalte Portraits zweier Herren, Gavrilo Princip und Charlie
Chaplin.
Davor liegt die Nachbildung des Unterarmes eines realen Mörders,
angefertigt von Selman Trtovac. Das war für „the track: axiom | südost"
gedacht: [link]
Dazu gehörten damals zwei Ausstellungen mit Bezügen zum Ersten und zum Zweiten
Weltkrieg, die ich in meiner Befassung damit stets als Ensemble sah, als eine Art Zweiten
Dreißigjährigen Krieg.
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Radenko Milak |
Jelena Juresa |
Ich schrieb heute in meinem Logbuch: Denke ich an
Europa, dann derzeit vor allem an gemeinsames Erinnern. [Quelle] Es geht um
dieses Motiv, das nun (2017) von keinen vergleichbaren Erinnerungsdaten belegt ist. So hat
etwa der 300. Geburtstag von Maria Theresia kein vergleichbares Gewicht.
Allerdings könnte man den 200. Geburtstag des Fahrrades durchaus so betonen.
Die erste offiziell notierte Ausfahrt des Forstbeamten Karl Drais steht
mitten in einer bemerkenswerten Ereigniskette, die schlußendlich von Automobilen handelt
und von motorisierten militärischen Verbänden, welche das Kriegsgeschehen im 20.
Jahrhundert fundamental veränderten. Ich habe das mit all seiner Komplexität quer durch
das 19. Jahrhundert eben in "Herr Turner und die Temeraire"
zusammenzufassen versucht: [link]
Das 2017er Kunstsymposion trägt den Titel Konvergenz.
Das bedeutet primär: sich einander zuneigen. Das kann von Zuneigung handeln. Oder von
etwas zurückhaltenderen Gemeinsamkeiten.
Radenko Milak
Historiker Eric Hobbsbawm widmete dem 20.
Jahrhundert ein wesentliches Buch, dessen Titel „Das Zeitalter der Extreme"
lautet. Auf den ersten Seiten präzisiert er als seinen Gegenstand das „Kurze 20.
Jahrhundert" und markiert es „von 1914 bis 1991".
Damit meint Hobbsbawm das Zeitfenster vom Ausbruch des Großen Krieges
bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion; als Österreicher meine ich dazu auch: bis zum
anbrechenden Untergang Jugoslawiens.
Aus dem Arbeits-Zeitfenster 1914 bis 2014 war vor Jahren für mich das
größere Zeitfenster 1814-1914-2014 geworden. (1814: Wiener Kongreß nach den Napoleonischen
Kriegen.) Nun schält sich gerade das Motiv 1817 bis 2017 heraus. Mit
zweihundert Jahren (plus/minus) Betrachtungszeitraum läßt sich also im Moment gut
zurechtkommen...
-- [2017er
Kunstsymposion] --
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