log #559: die quest

Spomenik: Der verstummte Stein

Ich habe in einer ersten Notiz zu diesem Prozeß die Flut von Symbolen und Allegorien erwähnt, welche ich in den Bildern von Marko Brajkovic vorfand. In den Gesprächen erfuhr ich von den zeitgeschichtlichen Dimensionen seiner Arbeiten, aber auch von den Bezügen zu Stoffen der Antike.

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Es ließe sich vielleicht in polemischer Verkürzung sagen: Egal ob Mythos oder Logos, wir erzählen einander die Welt. Ich denke, das tut Brajkovic mit Leidenschaft; die Welt erzählen.

Ich hab in dieser ersten Notiz auch kurz die Wechselbeziehung zwischen privatem und öffentlichem Raum erwähnt. Dazu gibt es in Groznjan ein merkwürdiges Fundstück, das auf seltsame Art illustriert, wovon weiters die Rede sein könnte. Ein irritierndes Statement im öffentlichen Raum.

Ich hatte vor Jahren eine bemerkenswerte Begegnung mit Überlebenden des Todeslagers Omarska, wo auf dem dortigen Bergwerksgelände im "Weißen Haus" von einer serbischen Soldateska systematisch gefoltert und gemordet wurde.

In diesem Zusammenhang wurde mir klargemacht, daß die serbokroatische Sprache noch keinen Begriff für das "Mahnmal" hat. Spomenik bezeichnet das Denkmal, inzwischen auch das Mahnmal, muß also zwei grundverschidene Konzepte repräsentieren.

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Wir haben in Österreich die Erfahrungen, wie etwa der Große Krieg, spätestens aber der Holocaust, Anlässe schufen, über Kriegsdenkmäler hinauszugehen und Mahnmale zu errichten.

Sollte ich den Unterschied in wenigen Worten erklären, liegt er wohl darin, daß man entweder die Verbrechen solcher Kriege verklärt und ihre Opfer zu Helden stilisiert, oder aber mahnt, welche Verbrechen Kriege sind. Das Denkmal dient der Heroisierung von Verbrechen, das Mahnmal rückt solche Herorisierung zurecht.

So oder so, derartige Akzente im öffentlichen Raum, überwiegend Stein gewordene Argumente, sind immer auch eine politische Erzählung, eine Behauptung, manchmal eine Anmaßung.

Ist es nun dem Tourismus geschuldet oder dem Zeitgeschehen, daß am Rande von Groznjan ein Denkmal steht, welches seiner Botschaft beraubt wurde? Man hätte den Stein ja abtragen, entfernen können. So ist es aber nicht geschehen. Er wurde quasi mit Schweigen überschrieben, sein Text gelöscht.

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Oder muß ich annehmen, es seien bloß die Buchstaben in Reparatur, würden überarbeitet und dann zurückgebracht? So oder so, die kommenden Jahre werden es zeigen. Das ist ein ganz bemerkenswertes Statement im öffentlichen Raum. Quasi ein verstummter Stein.

Das ergibt ein interessantes Motiv für den aktuellen Ausgangspunkt unserer Quest. Unsere Arbeit, was immer uns gelingt, ruht auf den Vorleistungen anderer Menschen. (Nur selten wird fast aus dem Nichts etwas geschaffen, was nicht abgeleitet werden konnte.)

Schreiben und Überschreiben. Das Umdeuten und folglich Umschreiben unserer Erzählungen von der Welt ist ein Standardereignis kulturelle Prozesse. So gesehen ergibt dieser verstummte Stein eine symbolträchtige Markierung für den Beginn einer neuen Reise ab.

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Wird seine alte Schrift/Botschaft bloß aufgefrischt? Wird er mit einer neuen Botschaft beschriftet werden? Wird er verschwinden? Diese Fragen zu Kommunikationsakten sind auch politische Fragen zu kulturellen Prozessen.

Europa hat sich in einem fahrlässigen bis zynischen Umgang mit den südslawischen Leuten Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal vergewissert, was die Reise von Verdun über Auschwitz nach Srebrenica gewesen ist.

Wir konnten überprüfen, was wir schon wußten: Jedem Massaker geht ein Krieg der Worte voran. Erst wird der Mitmensch zum "Gegenmenschen" umgedeutet, dann sprachlich aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen, dann beginnt das Morden.

Möglicherweise werden wir in Europa viele Steine neu zu beschriften haben; oder aber wenigstens aktuell zu kommentieren... [link]

-- [Die Quest] --


coreresethome
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