20. August 2016

Der Denker als Stubenhocker, das ist keineswegs die älteste Variante abendländischer Spielarten. Das Gehen ist dem Nachdenken sehr zuträglich. Raumüberwindung ist eine eigentümliche Aufregung. Wir üben sie nicht bloß horizontal.

Beschleunigung ist eine der populärsten Optionen, neuerdings in der vertikalen Raumüberwindung sogar jenseits der Schallmauer, ganz ohne Fluggerät. Verlangsamung ist nun auch längst zur Anstrengung geworden, wo wir seit rund zweihundert Jahren in einer permanenten technischen Revolution leben.

log2267a.jpg (14628 Byte)

Wir waren eben unterwegs, einige hundert Kilometer abzuarbeiten, damit ein paar Möglichkeiten im Ansatz auf den Punkt kommen können. Es beginnt oft mit flüchtigen Eindrücken, ersten Ideen, der Bereitschaft zu einem Aufraffen. Wir kann man verläßlich für gelingende Kommunikation sorgen?

Eine Fahrt bietet die nötige Zeit dafür, den Rahmen, aus dem der Alltag herausfällt und zurückbleibt. Konzentration. War es Virilio, der die Ansicht vertrat, das Automobil habe dem öffentlichen Raum ein Ende bereitet? Mobiler Privatraum perforiert den öffentlichen Raum und läßt die Konventionen erodieren, die uns erlaubten, aus der Rolle von Privatpersonen herauszutreten.

Wozu das gut ist? Es ist kein Gemeinwesen denkbar, wenn alle bloß Privatpersonen sein möchten, also am öffentlichen Leben kein Interesse haben. Was das Politische sei, leitet sich in unserer Kultur nicht bloß von politischen Ämtern her (Politike), sondern vor allem auch vom Gemeinwesen (Polis).

log2267b.jpg (26663 Byte)

Winfried Lehmann (links) und Helmut Oberbichler

In der griechischen Antike nannte man die am öffentlichen Leben nicht interessierten Privatpersonen Idiotes. Aber ich greife vor, greife der Fahrt vor, den Gängen durch einen Ort, den Gesprächen.

Winfried Lehmann hatte den Kontakt mit Marko Brajkovic gefunden, Helmut Oberbichler kam mit auf die Reise nach Groznjan, denn das Aprilfestival, für das Lehmann seit einigen Jahren federführend wirkt, soll 2017 einer neuen Konzeption folgen. Lehman möchte die Programmbreite der letzten Jahre herunterfahren, konzentrieren, sucht den Ansatz für eine neue Erzählung, die sich da entfalten, ereignen möge.

log2267c.jpg (33019 Byte)

Marko Brajkovic

Brajkovic ist ein Erzähler, dessen Bedenken quer durch Jahrhunderte fliegt, der einen scheinbar endlosen Strom von Momenten auf seinen Bildern hinterläßt, in einer Flut von Symbolen und Allegorien angeordnet.

In diesem Winkel vor dem Haus kann sich der Geruch von Rosmarin nicht gegen jenen von Farben und Firnis durchsetzen. Das Atelier geht über ein knappes Stiegenhaus in diesen Vorplatz über. Privatraum und öffentlicher Raum haben einen fließenden Übergang.

Das ist eigentliche ein Aspekt vormoderner Zeiten, denn in jenen uns vertrauten Lebensräumen, wo es um geschlossene Ortschaften geht, hat vor über hundert Jahren das Automobil begonnen, den öffentlichen Raum zu dominieren und alle anderen Vehikel, aber auch das Leben der Menschen schlechthin zur Seite zu drängen.

Wenn wir heute etwa Randy Crawford "Streetlife" singen hören, schiebt das romantische Vorstellungen an. Und selbstverständlich finden wir jene südlichen Orte attraktiv, wo Automobile einem das Flanieren nicht verleiden, wenn man die Gassen erkundet.

log2267d.jpg (25812 Byte)

Wie viele Menschen schätzen es an entlegen Orten, daß der Autoverkehr vor der Stadt bleiben muß, würden aber zuhause keinen Streit vermeiden, um genug Parkplätze verfügbar zu wissen, die einem Wegstrecken verkürzen, wo wir zu Fuß gehen?

Es steht wenigstens seit den Peripatetikern außer Streit, daß Gehen sich vorteilhaft auf das Denken, auf Reflexion auswirkt. Die seit Jahren merklich wachsende Popularität von Pilgerfahrten belegt, daß solche Effekte wieder stärker beachtet werden. (Sie würden staunen, wer alles in Ihrem Umfeld schon einen der Jakobswege gegangen ist.)

Gehen. Raumüberwindung. Denken.

Die Metapher von der "geistigen Mobilität" ist eine Referenz an solche Zusammenhänge. Das sind also einige Zusammenhänge, in denen sich hier ein Prozeß anbahnt, der als ein Stück kollektiver Kulturpraxis verstanden werden kann.

Dieser Prozeß schließt derzeit vier Personen ein, deren Geburtsjahre auf verschiedene Zugänge zu dieser Welt verweisen. Lehmann: 1934, Oberbichler: 1948, Krusche: 1956 und Brajkovic: 1966. Was daran wichtig ist, wird hier noch dargelegt werden.

Ich habe aus meinen Leseerfahrungen, aus der Literatur, ein besonderes Faible für die Irrfahrt, die Pilgerreise, die Heldenreise bezogen, kurz: Die Quest. Auch die Weltumsegelung ist ein Motiv diese Genres, zu der dann übrigens die finsteren Seiten der Conquista gehören.

log2267e.jpg (35271 Byte)

Oberbichler wußte sofort, wovon ich rede, wenn dann Namen wie Magellan, Vasco Da Gama und natürlich auch Pizarro anklingen. Von Sir Francis Drake bis Sir Ernest Shackelton reichen die Markierungen tapferer und dubioser Personen; kühne Selbstüberwinder und skrupelloser Verbrecher. Stets aber die Fahrt als ein Angelpunkt. Die Reise.

-- [Die Quest] --

[kontakt] [reset] [krusche]
33•16