20. August 2016 Der
Denker als Stubenhocker, das ist keineswegs die älteste Variante abendländischer
Spielarten. Das Gehen ist dem Nachdenken sehr zuträglich. Raumüberwindung ist eine
eigentümliche Aufregung. Wir üben sie nicht bloß horizontal.
Beschleunigung ist eine der populärsten Optionen,
neuerdings in der vertikalen Raumüberwindung sogar jenseits der Schallmauer, ganz ohne
Fluggerät. Verlangsamung ist nun auch längst zur Anstrengung geworden, wo wir seit rund
zweihundert Jahren in einer permanenten technischen Revolution leben.
Wir waren eben unterwegs, einige hundert Kilometer
abzuarbeiten, damit ein paar Möglichkeiten im Ansatz auf den Punkt kommen können. Es
beginnt oft mit flüchtigen Eindrücken, ersten Ideen, der Bereitschaft zu einem
Aufraffen. Wir kann man verläßlich für gelingende Kommunikation sorgen?
Eine Fahrt bietet die nötige Zeit dafür, den Rahmen, aus
dem der Alltag herausfällt und zurückbleibt. Konzentration. War es Virilio, der die
Ansicht vertrat, das Automobil habe dem öffentlichen Raum ein Ende bereitet? Mobiler
Privatraum perforiert den öffentlichen Raum und läßt die Konventionen erodieren, die
uns erlaubten, aus der Rolle von Privatpersonen herauszutreten.
Wozu das gut ist? Es ist kein Gemeinwesen denkbar,
wenn alle bloß Privatpersonen sein möchten, also am öffentlichen Leben kein
Interesse haben. Was das Politische sei, leitet sich in unserer Kultur nicht
bloß von politischen Ämtern her (Politike), sondern vor allem auch vom Gemeinwesen
(Polis).
Winfried Lehmann (links) und Helmut
Oberbichler
In der griechischen Antike nannte man die am öffentlichen
Leben nicht interessierten Privatpersonen Idiotes. Aber ich greife vor, greife
der Fahrt vor, den Gängen durch einen Ort, den Gesprächen.
Winfried Lehmann hatte den Kontakt mit Marko
Brajkovic gefunden, Helmut Oberbichler kam mit auf die Reise nach Groznjan, denn das Aprilfestival,
für das Lehmann seit einigen Jahren federführend wirkt, soll 2017 einer neuen Konzeption
folgen. Lehman möchte die Programmbreite der letzten Jahre herunterfahren, konzentrieren,
sucht den Ansatz für eine neue Erzählung, die sich da entfalten, ereignen möge.
Marko Brajkovic
Brajkovic ist ein Erzähler, dessen Bedenken quer durch
Jahrhunderte fliegt, der einen scheinbar endlosen Strom von Momenten auf seinen Bildern
hinterläßt, in einer Flut von Symbolen und Allegorien angeordnet.
In diesem Winkel vor dem Haus kann sich der Geruch von
Rosmarin nicht gegen jenen von Farben und Firnis durchsetzen. Das Atelier geht über ein
knappes Stiegenhaus in diesen Vorplatz über. Privatraum und öffentlicher Raum haben
einen fließenden Übergang.
Das ist eigentliche ein Aspekt vormoderner Zeiten, denn in
jenen uns vertrauten Lebensräumen, wo es um geschlossene Ortschaften geht, hat vor über
hundert Jahren das Automobil begonnen, den öffentlichen Raum zu dominieren und alle
anderen Vehikel, aber auch das Leben der Menschen schlechthin zur Seite zu drängen.
Wenn wir heute etwa Randy Crawford "Streetlife"
singen hören, schiebt das romantische Vorstellungen an. Und selbstverständlich finden
wir jene südlichen Orte attraktiv, wo Automobile einem das Flanieren nicht verleiden,
wenn man die Gassen erkundet.
Wie viele Menschen schätzen es an entlegen Orten, daß der
Autoverkehr vor der Stadt bleiben muß, würden aber zuhause keinen Streit vermeiden, um
genug Parkplätze verfügbar zu wissen, die einem Wegstrecken verkürzen, wo wir zu Fuß
gehen?
Es steht wenigstens seit den Peripatetikern außer
Streit, daß Gehen sich vorteilhaft auf das Denken, auf Reflexion auswirkt. Die seit
Jahren merklich wachsende Popularität von Pilgerfahrten belegt, daß solche Effekte
wieder stärker beachtet werden. (Sie würden staunen, wer alles in Ihrem Umfeld schon
einen der Jakobswege gegangen ist.)
Gehen. Raumüberwindung. Denken.
Die Metapher von der "geistigen Mobilität"
ist eine Referenz an solche Zusammenhänge. Das sind also einige Zusammenhänge, in denen
sich hier ein Prozeß anbahnt, der als ein Stück kollektiver Kulturpraxis verstanden
werden kann.
Dieser Prozeß schließt derzeit vier Personen ein, deren
Geburtsjahre auf verschiedene Zugänge zu dieser Welt verweisen. Lehmann: 1934,
Oberbichler: 1948, Krusche: 1956 und Brajkovic: 1966. Was daran wichtig ist, wird hier
noch dargelegt werden.
Ich habe aus meinen Leseerfahrungen, aus der Literatur, ein
besonderes Faible für die Irrfahrt, die Pilgerreise, die Heldenreise bezogen, kurz: Die
Quest. Auch die Weltumsegelung ist ein Motiv diese Genres, zu der dann übrigens die
finsteren Seiten der Conquista gehören.
Oberbichler wußte sofort, wovon ich rede, wenn dann Namen
wie Magellan, Vasco Da Gama und natürlich auch Pizarro anklingen. Von Sir Francis Drake
bis Sir Ernest Shackelton reichen die Markierungen tapferer und dubioser Personen; kühne
Selbstüberwinder und skrupelloser Verbrecher. Stets aber die Fahrt als ein Angelpunkt.
Die Reise.
-- [Die Quest] -- |