log #519: fiat lux

Kindchenschema kontra Kerl-Fresse

Als ich beschlossen hatte, mit der Basis des Artefakts von „Fiat Lux" den aktuellen Fiat 500 zu zitieren, welcher den Fiat Nuova 500 von 1957 zitiert, war das eine Referenz an den Fiat 600, den ersten europäischen „Volkswagen", der diesem Begriff gerecht wird.

Damit hatte ich zugleich die Geschichte der Stromlinie als kulturellem Code einbezogen. Das zieht einen Bogen von Paul Jaray zu Dante Giacosa, streift unausgesprochen Karl Jenschke, Erwin Komenda und Hans Ledwinka. Ich gehe nicht davon aus, daß alle Namen aus dieser Geschichte selbst interessierten Laien geläufig sind.

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Entwurfsarbeit zu "Fiat Lux" (Grafik: WIGL-Design)

Die Konsequenzen der Arbeit dieser Leute sind freilich Allgemeingut und Teil unserer trivialen Mythen. Der formale Angelpunkt, wie ihn schließlich die Designer Willi Gangl und Alfred Urleb aufgegriffen haben, um ihn für unser Projekt weiterzuschreiben, ist zugleich ein Verweis auf markante Prozesse im 20. Jahrhundert.

Da sich dieses Projekt unter anderem Fragen nach dem Geist in der Maschine widmet und dabei das Automobil eine exemplarische Rolle spielt, sind Überlegungen zum autonomen Fahren von Kraftfahrzeugen inbegriffen. Das legt nahe, über ein Ende des Piloten nachzudenken. Steuermann ins Museum? Die kulturelle Deutung eines Problems liegt noch vor uns. Die Betrachtung der Designgeschichte gibt Hinweise, wie brisant die Angelegenheit ist.

Als aus dem Concept Car Fiat Trepiuno von 2004 (Internationaler Auto-Salon Genf) im Jahr 2007 das Serienmodell Fiat 500 hervorging, war damit formal der Fiat Nuova 500 von 1957 zitiert. Betrachtet man das Antlitz des aktuellen 500ers, der zu einem respektablen Verkaufserfolg wurde, ist das Kindchen-Schema unverkennbar.

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Fiat 500 (links) im Kindchenschema und der
verschmitzt dreinblickende Smart

Davor hatte ab 1997 der New Beetle von VW dieses Motiv noch stärker hervorgehoben und als knuddeliges Babyface den VW Typ 1 von Ferdinand Porsche und Designer Erwin Komenda zitiert. Komenda war mit der Stromlinie ebenso befaßt, wie Karl Jenschke, der mit dem Steyr 100 von 1935 die Ära der Streamliner markierte.

Ein Jahr danach bot Jenschke mit dem Steyr 50 ein unverkennbares Stromlinien- Serienauto, das überdies als „österreichscher Volkswagen" promotet wurde, längst bevor jemand einen Volkswagen Käfer kaufen konnte.

Der Spitzname „Steyr Baby" suggeriert Niedlichkeit, die Frontpartie läßt an einen molligen Hundewelpen denken. Niedlich. Das ist doch für einen Teil des Publikums offenbar das Fundament einer Kaufentscheidung. Aber weit öfter wird man ein niedliches Auto sehen, das per Deklaration wenigstens „klein und gemein" sein soll, vorzugsweise aber etwas Böses.

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Der Steyr 50 von Jenschke, genannt "Baby"

Dabei muß sogar eines der finstersten Kapitel unserer Geschichte als Referenzpunkt herhalten. Die irritierende Image-Karriere des VW Golf hat einen biederen Bürgerkäfig zum Kult-Fahrzeug werden lassen. Falls herkömmliches Zubehör nicht reicht, um das Nähkörbchen auf brutal zu bürsten, kommt eben der Reichsadler auf die Heckscheibe. Auch wenn er bei uns ohne Hakenkreuz auskommen muß, wird das Symbol problemlos dechiffriert.

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So unverblümt wie unverschämt: Der zivile Krieger im VW Golf

Eines der Matches, die sich im Straßenbild ereignen, könnte also mit "Kindchenschema kontra Kerl-Fresse" überschrieben werden. Zeigt etwa der historische Willys Jeep noch knorrig seine Zähne, ist das der Robustheit und simplen Bauweise geschuldet, wie sie während des Zweiten Weltkrieges erforderlich schien. Ford führte in der Massenfertigung dieses Modells den nine-slot steel grille ein. Der war "lighter, used fewer resources, and was less costly to produce".

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Der Jeep mit seinem Nine Slot Steel Grille

In der zivilen Folgegeschichte wurde daraus ein verchromtes million dollar grin. Ähnlich beim militärischen High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle, dem Hummvee, der als ziviler Hummer auch den Macho geben muß, aber gleichfalls mit dem verchromten Grinsen über groben Zähnen, wobei der Hummvee und der zivile H1 mit sieben Slots im Kühler auskommen.

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Beetle-Paraphrase: "Weil ich ein Mädchen bin..."

Den Gegenpol zur Kerl-Fresse, blank oder verchromt, gibt der lächelnde Beetle, dessen Kindchen-Schema-Gesicht per Zubehör noch aufgehübscht werden kann. Sehr unwahrscheinlich, daß ein Mann sich seinen Wagen auf solche Art dekorieren würde...

Siehe dazu auch:
+) Leiblichkeit und Weiblichkeit: Die mechanische Braut [link]

-- [Fiat Lux] --


coreresethome
7•16