log #456: the track: axiom | 2014

Ein Jahrhundert, zwei Künstler und drei Kriege

Am 28. Juni dieses Jahres gab es ein großes künstlerisches Spektakel, einen Auftritt der Wiener Philharmoniker in Sarajevo. So zeigte sich Europa, genauer, die Europäische Union, in der bosnische Hauptstadt. Und zwar im Gebäude der Nationalbibliothek, das 1914 als Rathaus diente und vom österreichische Thronfolger-Paar kurz vor dessen Ermordung im Juni 1914 besucht worden war.

Das Konzert wie das ganze Veranstaltungsprogramm war als Zeichen des Friedens gedacht, finanziert von der Europäische Union, organisiert und durchgeführt von vier Staaten: Österreich, Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Diese vermutlich gut gemeinte Geste wurde von den Bewohnern und Bewohnerinnen Sarajevos mit sehr unterschiedlichen Emotionen aufgenommen. Das hörte ich bei meinem Aufenthalt in der Stadt kurz nach dieser Gedenkfeier.

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Die nicht gerade lobenden Kommentare bezogen sich keineswegs auf die künstlerische Qualität der Veranstaltung, sondern auf die auffallende Emphatielosigkeit der Veranstalter gegenüber der Lage, in welcher sich die Menschen Sarajevos und des gesamten Landes gerade befinden. Manche empfanden das als Affront.

Meine Reiseimpressionen beschäftigten mich noch einige Zeit intensiv, besonders weil ich vor der Aufgabe stand, zu diesem Gedenkjahr hier in Österreich, im Museum eines oststeirisches Städtchens, als Kuratorin einen künstlerischen Akzent zu setzen. Das führte zur üblichen Fragen, die sich eigentlich jeder Kurator im Prozess der Ausstellungsentstehung stellt: Wie soll ich über das Thema denken? Was möchte ich zeigen und was an das Publikum weitergeben?

Solche Fragen haben in meinem Fall eine zusätzliche Dimension, die sich in erste Linie aufgrund meiner Herkunft zeigt. Ich bin eine gebürtige Serbin, die in Jugoslawien, einem Land, das es nicht mehr gibt, aufgewachsen ist. Die Entstehung Jugoslawiens hat einiges mit dem hundert Jahre zurückliegenden Ereignis zu tun. Ich bin einerseits recht stolz auf meine Herkunft, andrerseits, um die Sache noch komplizierter zu machen, finde ich mein Dasein hier, in Österreich, wo ich schon seit zwei Jahrzehnten lebe, recht angenehm.

Genau diese meine ganz private Perspektive machte mit klar, dass ich künstlerische Positionen finden muss, die dem Publikum neben den historischen Tatsachen, die nicht wegzudenken sind, auch eine sehr private, intime Perspektive ermöglichen. Positionen, die neben den großen historischen Zusammenhängen ebenso die Geschichte der „kleinen Leute" erzählen, welche sich als Objekte dieser historischen Ereignisse erleben mußten.

Der Große Krieg, der Zweite Weltkrieg, die jugoslawischen Kriege der 1990er-Jahre… Ich hoffe, das gelingt mir mit der Auswahl von zwei künstlerischen Positionen, aber viel mehr noch mit dem Künstler Radenko Milak und der Künstlerin Jelena Juresa.

Mirjana Peitler-Selakov

+) Siehe dazu auch:
Beyond Memory / Jenseits der Erinnerung (Bilder einer Epoche)

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Radenko Milak

Jelena Juresa

-- [Die zwei Ausstellungen | Radenko Milak | Jelena Juresa] --


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