log #360: the track Ich habe vor Jahren das künstlerische
Langzeitprojekt "the long distance howl" in Gang gebracht. Der aktuelle
Abschnitt "the track" hatte als jüngsten Höhepunkt eine Session mit
den "Kollektiven Aktionen" aus Moskau [link], die
momentan auf Einladunbg von Boris Groys den russichen Pavillon der Biennale in Venedig
bespielen: [link]
Sergei Romashko (links) und Sergei
Letov von den "Kollektiven Aktionen"
Ich darf also geltend machen, daß wir im künstlerischen
Bereich ein für die "Provinz" untypisches Niveau fahren. Dazu haben wir mit dem
Projekt "kunst ost" eine soziokulturelle Basis geschaffen, die hier in
der Region kulturpolitisch neue Möglichkeiten auslotet: [link]
Es war in letzter Zeit öfter davon zu reden, daß in
dieser Gesellschaft momentan Stagnation und Kompetenzverlust zu immer weitreichenderen
Phänomenen werden. Wer vor diesem Hintergrund das Herunterkürzen von Kulturbudgets als
ein probates Mittel ansieht, um Finazlagen zu stabilisieren, stutzt damit eines der
wenigen Felder gesellschaftlichen Lebens zurück, wo Wahrnehmung, Reflexion,
unkonventionelles Denkvermögen und verschiedene Kreativitätsformen der Menschen nicht
nur erwünscht sind, sondern grundlegende Anforderungen ergeben. (Siehe dazu: "gegen stagnation und kompetenzverlust"!)
Schon vor etlichen Jahren entstand eine Debatte darüber,
wie eine zunehmende Deindustrialisierung in Europa zu einem "Neuen
Proletariat" führen würde. Gabor Steingart schrieb beispielsweise 2006 im
"Spiegel": "Der neue Arme ist kein Wiedergänger des alten. Vor allem
an seinem mangelnden Bildungsinteresse erkennen wir den Unterschied. Er besitzt keine
Bildung, aber er strebt ihr auch nicht entgegen." [Quelle]
Ich hab solche Leute in meinem Bickfeld, sogar in
unmittelbarer Nachbarschaft. Da bestätigt sich, was Steingart notiert: "...der
Prolet von heute besitzt mehr Geld als die Arbeiter vergangener Generationen und wenn er
im Anzapfen des Sozialstaats eine gewisse Fertigkeit entwickelt hat, verfügt er über ein
Haushaltseinkommen, das mit dem von Streifenpolizisten, Lagerarbeitern und Taxifahrern
allemal mithalten kann. "
Damit wir uns richtig verstehen: Ich würde mich jederzeit
weigern, in eine Debatte über "Sozialschmarotzer" einzustimmen. Ich
halte es für einen Fortschritt, daß etwa ein Alkoholkranker (die Betonung liegt auf
"Kranker"!), nicht in völligem Elend lebt.
Wir könnten freilich über "Leistung" reden,
auch in solchen Zusammenhängen. Aber wir sollten vor allem einmal darüber reden, welches
Versagen sich diese Gesellschaft leistet, wenn zum Beispiel ein Bildungsniveau, für das
nach dem Zweiten Weltkrieg noch so aufwendig gerungen wurde, in einem der teuersten
Bildungssysteme Europas derart absackt, wenn der Mangel an grundlegenden Kompetenzen bei
immer mehr Menschen offensichtlich wird.
Es verkommt inzwischen langsam zur Plattitüde, wenn jemand
daran erinnert, daß in den letzten Jahren einer Weltbankenkrise Österreichs Zahl der
Millionäre kräftig zugenommnen hat. Die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit im
Gemeinwesen ist also akuter denn je.
Über Kunst und Kultur debattieren: "talking
communities"
Zurück zum Kulturbereich, der da, wo ich arbeite, ja nicht
"gefördert" wird, sondern KOFINANZIERT. Das heißt, Leute wie ich realisieren
kulturelle Vorhaben, bei denen gelegentlich öffentliche Stellen in die Mitfinanzierung
einsteigen. Seit der letzten Jahreswende kommt dabei keine oststeirische Kommune vor, auch
nicht die eine oder andere Regionsformation. Wir schaffen das völlig auf uns gestellt,
mit Kofinanzierungen von Land, Bund und EU.
Oh! Nicht zu vergessen, beim heurigen "Aprilfestival"
war eine Gemeinde mit 150,- Euro und eine andere mit 300,- Euro, eine ürbige mit
Getränken und belegten Broten mit im Spiel, um einigen tausend Euro Sachkosten und einer
Menge ehrenamtlicher Arbeit von unserer Seite doch etwas gegenüberzustellen.
Das bedeutet auch, wir bringen Geld in die Region, von dem
diese Region profitiert, wozu sie aber vorerst eher nichts beiträgt. Und die
"Allgemeinheit"? Bei einer plumpen Debatte über "Leistungsträger"
und den Rest der Gesellschaft fällt leicht unter den Tisch, daß jede tüchtige
Produzentin, jeder tüchtige Kaufmann auch zahlungskräftige Kundschaft braucht, um die
Früchte ihrer wie seiner Tüchtigkeit genießen zu können.
Es muß also eine GESAMTSITUATION im Auge behalten werden,
wenn ein Lebensraum blühen soll. Einige wenige "Supertüchtige" wären kein
Garant dafür. Übrigens! So tüchtig können die Tüchtigen ja nicht gewesen sein, wenn
ich mir etwa vom Wirtschaftslaandesrat bestätigen lasse, daß diese Region noch mehr
florieren könnte, wenn sie die Facharbeitskräfte in jener Anzahl hätte, die gebraucht
würde. Haben sie aber nicht! Dazu die Kluft, über welche talentierte Frauen vorerst kaum
kommen. (Quelle: "Kronen Zeitung",
sehe dazu auch: "Warum wir?"!)
Wir haben mit "kunst ost" nun schon
einige Zeit belegt, daß wir konsequent und kontinuierlich an relevanten Themen der Region
arbeiten, zugleich auch in der Beteiligung Kunstschaffender an diesen Themenbearbeitungen
erhebliches Niveau halten.
Wie erwähnt, auf regionaler Ebene ist die finanzielle
Beteiligung von Kommunen dafür momentan weitgehend auf Null gestellt. Dazu kommt ein
Kuriosum auf Bundesebene.
Michael Wimmer ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer
von Educult, legte (mit Berufung auf
die APA) gerade dar, daß das Kunstbudget
des Bundes laut Kunstbericht 2009 rund 91,24 Mio. Euro betrug, während
Regierungsinserate, die bei Österrteichs Presse gebucht werden, diesen Betrag längst
übersteigen: "Die Branche schätzt, dass für diese Zuwendungen zur politischen
Werbung allein in Tageszeitungen mit rund 95 Mio. pro Jahr bereits mehr als für das
gesamte zeitgenössische Kunstschaffen ausgegeben wird." [Quelle]
Wimmer betont in diesem Artikel auch, daß die Politik zur
Zeit wohl lieber mit dem Boulevard als mit Kunst- und Kulturschaffenden kommuniziert: "Mein
Befund: Es macht keinen Sinn, eine vermutete Allianz zwischen Politik und freien Szenen
weiter zu strapazieren. Eine solche wurde längst einseitig aufgekündigt."
Das korrespondiert mit meiner Einschätzung, daß zwei
Sphären auseinandergebrochen seien und die Kommunikation zwischen ihnen weitgehend
verloren gegangen ist. Politik und Zivilgesellschaft haben ernsthafte
Verständigungsprobleme entstehen lassen. (Siehe dazu mein Log #1720 vom April
dieses Jahres!) Das schafft inzwischen Frontstellungen, die längst als eine ernsthafte
Gefährdung des sozialen Friedens beschreibbar sind.
Siehe zu diesen Aspekten auch: "Brennt
Papier?" (Mit Zeitungen kann eine Welt in Brand gesetzt werden)! [link]
[the track]
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