log #310:
elektrisiert Ein Teil meiner Familie stammt vom Fuße des Grimming. Rauhe Gegend. Mein
Großvater Richard verbrachte den größten Teil seines Lebens in einer Wohnung, die nur
aus Zimmer und Küche bestand. Das Klo befand sich auf dem Gang, ein Badezimmer gab es
nicht.
Er hat, so viel ich weiß, nie ein Auto
besessen. Mit Mopeds waren ihm schlechte Erfahrungen geblieben, ich sah ihn noch als alten
Mann stets nur auf dem Fahrrad. Der
"Modernisierungssprung" hätte nicht heftiger sein können. Sein Sohn, also mein
Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich verfügten seinerzeit im gleichen Zeitfenster
über wenigstens vier fahrbereite Autos; weitere Autos in Arbeit, Mopeds und
Motorräder, die dabei ebenso im Spiel waren, nicht mitgerechnet.
Mobilisierung, das hieß für uns maximale Motorisierung.
Dabei waren wir keine wohlhabenden Leute. (Es hat in dieser Familie nie ein fabrikneues
Auto gegeben.) |
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Innerhalb zweier
Generationsfolgen hatte es bei uns (doch nicht überall in Europa) einen unfaßbaren
Sprung gegeben, was verfügbare Ressourcen angeht. Essen, sauberes Wasser, Wohnraum und
Energie.
In den 1930er-Jahren war die
Massenmobilität zwar schon gut in Schwung, aber meine Leute sind da noch nicht mit von
der Partie gewesen. Das Versprechen eines "Volkswagens" hatten sich die
Nazi zwar von vielen Leuten gut bezahlen lassen, geliefert wurde dafür allerdings nicht.
(Der VW kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Markt.) Die
Selbstverständlichkeit ein Auto zu besitzen ist also ein sehr junges Phänomen in disem
inzwischen wohlhabenden Land..
Avantourist Bernhard Kober blickt
hier auf ein "Referenzfahrzeug" aus jenen Tagen, das detailgetreue Modell
eines Bugatti Type 41 Royale [link]. Aus der Position meines Großvaters müssen Leute, die sich
einen Bugatti Royale hätten leisten können, unermeßlich reich gewesen sein.
"Even when new, a Royale
with a roadster body by Weinberger was $43,000 USD." Ironischer Weise ist ein
"großbürgerlicher Lebensstil", der letztlich Ausdruck des Versuchs war, es dem
Adel gleichzutun, heute seinerseits das Referenzsystem für das Kleinbürgertum und für
Nachfahren der ländlichen Dienstboten und städtischen Fabriks- Proletarier.
Dieser unseligen Verquickung
verdanken wir eine maßlose Zersiedelung des Landes, denn das eigene Haus mit Garten als
Echo des Schlösschens mit Park wirft heute Kaskaden von Problemen auf. Dazu kommen viel
zu viele viel zu große Autos, denen in absehbarer Zeit einiges von unseren Straßennetzen
verloren gehen wird, weil vor allem kleine Gemeinden deren Erhaltung nicht mehr auf dem
Niveau sicherstellen können, das wir gewohnt sind.
Autos mit Verbrennungsmotoren werden
mutmaßlich noch die nächsten 40, 50 Jahre verfügbar sein. Aber wahrscheinlich nicht als
Basis von Massenmobilität. Ich nehme an, sie werden wieder zu jenen Luxusgütern, die sie
am Anfang ihrer Geschichte waren.
Kleiner Einschub: Für den hier
gezeigten Klassiker im Original müßte man heute, falls er verfügbar wäre,
wahrscheinlich rund 16 Millionen Dollar flüssig machen: "The Kellener- bodied
Royale, 100141, still holds the world record for fetching $8 700 000 USD at Christie's
Auction in 1983. When adjusted for inflation, this price would be over $16 million,
..." [Supercar]
Aber das ist natürlich untypisch. Bei "Forbes" nannte man den Type 41 Royale
"The World's Most Expensive Car" [Forbes]
Warum ich das erzähle? Wir sind von diesen
Bildern tief geprägt. Keine Maschine hat das ganze Antlitz der Welt so grundlegend
verändert wie das Automobil. Die "Leitfossilien" dieser Geschichte haben, egal
in welcher Gewandung, riesigen Hubraum, enormen Durst und einen markanten Klang.
Wir Enkel der Untertanen verzehren uns
anscheinend überwiegend nach den Unarten des Adels, der noble Distanz zum Pöbel
hauptsächlich durch demonstratives Verbrennen von Geld über den Konsum von Luxusgütern
ausdrückt.
Wir haben also für nötige Neuorientierungen
neben den großen ökologischen und sozialen Problemen auch einige kulturelle Probleme zu
bearbeiten, denn hier geht es unter anderem um soziale und kulturelle CODES.
Das Projekt "elektrisiert"
soll Fragen nach solchen Codes gewidmet sein. Bernhard Kober wird daran mitwirken. Weiter
Leute haben schon ihr Interesse angemeldet und Teilthemen eingebracht. Das vorläufige Covermotiv der Arbeits-Website ist einer
Arbeit entnommen, die am 1. Mai 1888 vom zuständigen Patentamt Amerikas als "US
Patent No. 318,970" bestätigt wurde.
Es zeigt ein Stück von Nikola Teslas "System of
Electrical Distribution". |
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Damit will ich nicht
sagen, daß unser "April-Festival 2011" auf eine bloß rational- technische
Ebene gedrängt werden soll. Das Prägende an diesen Geschichten ergibt sich ja auch aus
ästhetischen Phänomenen, aus Codifizierungen von Emotionen etc. Da besteht also ein
weites Tätigkeitsfeld für Kunstschaffende. [Fortsetzung]
[elektrisiert] [flame-log]
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