log #298: the track Im Mai hat es in Bosnien eine Hitze gehabt, die mir zuhause vorerst
noch fremd gewesen ist. In dieser Hitze fand ich Omarska und Kozarac. In der Region um
Prijedor haben sehr viele Menschen ihr Leben verloren. Nach all den Jahren, während der
mich die Kriege Jugoslawiens beschäftigen, erscheint mir das sehr triviale Bild immer
zutreffender: Die Politik hat die Hunde des Krieges wütend gemacht und von den Ketten
gelassen.
Damit meine ich, der Haß einzelner Ethnien gegeneinander
-- in Jugoslawien sprach man von Völkern und Völkerschaften (narodi i narodnosti) --,
war nicht die Ursache, sondern die Folge der Kriege. Die Eskalationen gehen ganz
wesentlich auf das Konto der politischen Eliten aller Kriegsparteien. Die daraus folgenden
Verbrechen, von einzelnen Taten bis zu Massenereignissen, haben dann vielfältige Akteure
gefunden.
Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer stehen vor
eine rextrem schwierigen Situation. Die Verflechtungen von Leuten aus der Politik, aus
militärischen und paramilitärischen Zirkeln, aus Polizeikreisen und aus jenen des
organisierten Verbrechens sind bis heute virulent. Dazu kommen Legionen von einzelnen
Tätern, die sich aus ganz privaten Gründen zu unerträglichen Schritten aufgerafft
hatten.
Aus Schilderungen einiger Überlebender von Srebrenica,
Omarska, Trnopolje und anderen Stätten des Grauens sind Szenen überliefert, wonach ein
Folteropfer dem vormaligen Peiniger im Alltag wieder begegnen kann. Der bringt etwa als
Briefträger die Post. Solche Momente sind das.
Nichts daran ist neu. Aus dem "Nie wieder!"
nach Auschwitz wurde ein "Schon wieder!" Doch hier, nördlich des
vormaligen Jugoslawien, sind nicht einmal die Ortsnamen der exponiertesten Stätten des
Grauens geläufig.
Es gibt keine öffentliche Wahrnehmung der Bedürfnisse
Überlebender und Angehöriger. In den Postkriegs-Gesellschaften besteht auch wenig
Interesse daran, sich damit zu befassen. Um die Nöte der Betroffen zu lindern, wären
Gelder gefordert, die nicht verfügbar sind. Und es beschämt. Alle. Die Scham blockiert
auf Täter- und Opferseiten.
Ich habe verschiedene Gründe, diesen Spuren in "the track" nachzugehen. Es ist
nur EINE Themenlinie des sich aufblätternden Teilprojektes, doch ich stecke mit starken
Emotionen in diesem Bereich.
Anfang Juli ging es erneut in die Hitze. Da hab ich das
Thema Kozarac in einem "land art"-Projekt aufgegriffen. Eine der
Stationen im Pöllautal ist diesen zusammenhängen gewidmet:
woodsteelhayhoneymilk
(Ein Statement zu Kozarac)
Während nun die Juli-Sonne und erste heftige Regenwetter
auf diese Arbeit einwirken, bereite ich eine Fahrt in das Kosovo vor. Tierarzt Karl Bauer
legt dafür Route und Gangart fest. Wir lassen uns Zeit, wesentlich Punkte zu finden.
(Siehe dazu auch Krusches
log # 1623!)
Die Route bringt uns Zeit für nötige Debatten. Wie
verhalten sich heute Zentrum und Provinz zu einander? Hat sich das Thema
über verschiedene Modernisierungsschübe erledigt? Oder gewinnt es eben neue Brisanz?
Betrifft uns das in der Oststeiermark? Sind das individuell verschiedene Prozesse? Oder
gibt es darin etwas Globales, zumindest Gesamteuropäisches?
Ist ein Terrain wie das Kosovo in der Frage von hausaus
erledigt, weil es eventuell nie auch nur in die Nähe unserer Standards wird aufschließen
können? Wie ist über die düsteren Dinge zu sprechen? Worauf wird sich jemand einlassen,
dessen Traumata aus dem Krieg nie mehr von ihm abfallen werden? Welche Position ist denn
für einen flüchtigen Reisenden überhaupt möglich? Was verlangt Redlichkeit? Was darf
nicht im Verstummen verloren gehen, auch wenn die primär Betroffenen schweigen? Kurz: Was
geht es uns an? Ich hab heute keine Antworten, nur Fragen. Das war schon im ersten Set von "the
track" angeklungen. Es sind einige Antworten fällig!
[the track]
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