log #255: kunst ost Voluntary
Arts
(Was bedeutet das in den Vorhaben von kunst ost"?)
Von Martin Krusche
Wir haben "Vier Genres" als
grundlegendes Felder-Ensemble unserer Arbeit markiert und sie als komplementär
angelegte Felder definiert, also nicht hierarchisch zu einander in Stellung
gebracht. (Siehe dazu auch "next code" log #215!)
+) Alltagskultur
+) Voluntary Arts
+) Kunsthandwerk
+) Gegenwartskunst
Auch wenn jeder der Begriffe stets neu
auf seine aktuelle Inhalte geprüft werden muß, scheinen uns drei davon einigermaßen
vertraut. Den vierten, nämlich Voluntary Arts", habe ich
"importiert", weshalb eine kleine Erläuterung nützlich sein dürfte.
BELFAST
In Europa herrschen aufgrund der vielfältigen
Ethnien und Vorgeschichten höchst unterschiedliche Kulturbegriffe. Während in
Österreich eine gewisse Prüderie zu finden ist, wenn es um die Klärung der
Verhältnisse zwischen Gegenwartskunst und den übrigen Genres geht, haben andere Länder
eine Tradition, die in dieser Sache zu selbstbewußten Positionen geführt hat. Wo jemand
nicht dem Genre Gegenwartskunst zuzurechnen wäre, stehen andere Positionen frei, auf den
selbstbwußt Platz genommen wird.
Was ist Kunst? Es gibt einen westlichen
Kunstkanon, der mindestens seit Marcel Duchamp auf Entwicklungen gestützt ist, mit denen
sich sehr viele Menschen bei uns nicht einlassen möchten, obwohl sie kreative und
künstlerische Praktiken pflegen, die oft zu einem sehr hohen Niveau der Arbeiten führen.
So bestehen (durch selbstgewählte Distanz) einige Diskrepanzen, die im regionalen
Kulturgeschehen erhebliche Wirkung entfalten können.
Ich sehe in unserer Region eine dominante
Präsenz von Menschen, die sich in genau diesem Sinn mit großem Engagement und
auffallender Kontinuität in einem Nahverhältnis zum Kunstfeld"
aufhalten, dabei aber keinen Notwendigkeit sehen, sich in die Diskurse zur Gegenwartskunst
einzubringen oder sich in Einrichtungen der Gegenwartskunst zu exponieren. Da kommt es
dann gelegentlich zu merkwürdigen Konfrontationen, die scheinbare Trennlinien zwischen
Künstlern" und Hobbykünstlern" markieren, ohne daß in der Folge
die Positionen geklärt und daher die Trennlinien genauer bestimmt würden. Die
Diskrepanzen bleiben nebulos.
Die Agenda der Gegenwartskunst lassen sich über
einschlägige Diskurse und über die Präsenz in ihren Einrichtungen sowie in vielfachen
Zwischenräumen" durchaus darstellen. Aber was ist mit den anderen Bereichen?
Was wir heute (im Westen) unter Kunst"
verstehen, wurde in der europäischen Antike überwiegend als Handwerk verstanden. Daß
wir Kunst" als ein größeres Ganzes begreifen, in dem die vielfältigen
Künste aufgegangen sind, ist überhaupt recht jung. Es wurzelt unter anderem in der
Auffassung von einem Gesamtkunstwerkes", wie Richard Wagner sie entwickelt
hatte. Mitte der 1960er-Jahre verwarf schließlich mindestens Marcel Duchamp praktisch
alle gängigen Regeln der Kunst" und gab uns eigentlich bis heute einiges zu
klären auf.
BELFAST
In dieser (polemisch verkürzten) Skizze wird
schon deutlich, daß Die Kunst", welche ich in unseren Vorhaben der
Deutlichkeit halber lieber Gegenwartskunst" nenne, erstens keine statische
Kategorie ist und zweitens als ursprünglich Die Künste" =
Techné" gemeinsame Quellen mit dem Handwerk, dem Kunsthandwerk und den
Angewandten Künsten" hat.
Wo kommen da nun jene Praktiken zur Geltung, die
als außerberufliche, kreative Tätigkeiten in der Freizeit von Menschen deren Leben
bereichern sollen? Freizeit als Regenerationsfeld für die breite Bevölkerung ist ein
sehr junges soziales Phänomen. Die Befassung mit Kunst war eben noch den Eliten und deren
Personal vorbehalten.
Der Begriff Hobbykunst", wie
er in Österreich quasi hinter dem Rücken jener angewandt wird, die sich im solchen Sinn
kreativ betätigen, ist aus verschiedenen Gründen in unserem Kulturprojekt nicht
brauchbar. Hauptsächlich weil ihn jene, auf die er angewandt wird, meist energisch
ablehnen. Dann aber auch, weil Kunstschaffende der Region, die sich selbst explizit auf
das Feld der Gegenwartskunst reklamieren, weder für ihre Positionen noch für jene der Amateure"
(= franz. für Liebhaberinnen und Liebhaber) Kriterien nennen und darüber Diskurse
führen.
Es gibt zumindest keine öffentliche Diskurse
dazu. Ich habe in den letzten Jahren kaum Weg gefunden, in der Sache auch nur ein
Mindestmaß an Debatten zu initiieren. Also habe ich mich an anderen Orten umgesehen, wie
da mit der Angelegenheit verfahren wird.
Als das durch Europa wandernde International
Symposium on Electronic Art" (ISEA") in Belfast tagte, hat diese
Stadt in vielfacher Hinsicht tiefe Eindrücke bei mir hinterlassen. Sie hat eine
Besonderheit, die für unsere Sache Relevanz zeigt. In Belfast residiert eine sehr
Einrichtung, von der sich hilfreiche Anregungen für das Thema beziehen lassen. Das Arts Council of Northern Ireland" ist den Voluntary
Arts" gewidmet: Our mission is to place the arts at the heart of our
social, economic and creative life". Hier ist also (andere Kulturgeschichte!),
von Arts und nicht von Art die Rede, von Künsten, nicht von der Kunst. |
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Es ist unsere Mission,
die Künste im Herzen unseres sozialen, wirtschaftlichen und kreativen Lebens zu
platzieren": www.artscouncil-ni.org.
In einer Informationsschrift des Arts Council of Northern Ireland"
heißt es präzisierend:
Voluntary Arts is the term for the arts
activities that people carry out nonprofessionally, for self-improvement, social
networking, leisure and pleasure purposes. The art form range is wide and includes dance,
drama, literature, music, media, visual arts, crafts, applied arts, folk arts and
festivals."
Voluntary Arts wird als ein Ausdruck
für künstlerische Aktivitäten gebraucht, die von Menschen außerberuflich gepflegt
werden, also nicht mit Broterwerb verknüpft sind: Zur eigenen Entwicklung, für
soziales Netzwerken, zu Entspannung, Muße und Vergnügen." Die erklärte
Bandbreite beinhaltet nebst diversen Kunstformen auch Volkskunst und Festivals.
Die professionell begleitete Bewegung der Voluntary
Arts legt ein selbstbewußtes Auftreten der Akteurinnen und Akteure nahe:
Voluntary Arts activity plays a vital role in promoting health, wellbeing and
community cohesion, contributing an estimated 50 million to the UK arts economy each year.
More than half of the UKs adult population is engaged in some form of voluntary arts
or crafts
"
Die Aktivitäten der Voluntary Arts
spielen eine vitale Rolle in der Betonung von Gesundheit, Wohlbefinden und sozialen
Zusammenhalt". Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung des Vereinigten
Königreiches sei auf diese oder jene Art mit Voluntary Arts und Kunsthandwerk
befaßt. Man weiß auch verschiedene Prominenz des Kunstgschehens zu nennen, die ihre
Wurzeln im Reich der Voluntary Arts hat.
Wir haben also die Möglichkeit, aus diesem
Bereich Inspiration zu beziehen, wie sich die verschiedenen Felder als unterschiedlich
darstellen lassen, ohne daß wir in Wertungen fallen, bei denen jemand sein Gesicht
verlieren muß. Die Tätigkeitsbereich sind unterschiedlich, werden von
verschiedenen Intentionen belebt und verlangen nach durchaus unterschiedlichen Strukturen
und Begleitmaßnahmen. Aber es gibt Berührungspunkt und vor allem, wie schon erwähnt,
GEMEINSAME QUELLEN.
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